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Debatte

Vom Wachhund zum Propheten der Wahrheit

Eine Antwort auf den Text „Vom Zwinger in die Filterblase“ (Werner Pfau, bildungsmagaz!n 02 /22)

Lieber Werner,

einige deiner Aussagen machen mich tatsächlich fassungslos, da sie ein Politikverständnis offenbaren, das ich in meiner Gewerkschaft nicht erwartet hätte. Auf der anderen Seite ist aber vor allem der Aspekt meines letzten Kommentars besonders spannend, auf den du nicht eingehst, da ich hier einen Silberstreif am Horizont zu sehen glaube, der uns eine gemeinsame politische Arbeit wieder ermöglichen könnte.

Zunächst gehe ich aber auf den Kreuzzug gegen die Anthro-posophie ein, auf dem sich das Bildungsmagazin derzeit zu befinden scheint. Aus welchem Grund ihr ausgerechnet diese eher marginale Gruppe als Feind entdeckt habt, bleibt mir schleierhaft, ist mir aber auch egal, da ich zu keiner dieser Gruppen gehöre. Dennoch muss man schon von einer ausgesprochenen Hybris beseelt sein, wenn man, zumal als Lehrer, allen anthroposophischen Ärzten die Kompetenz zur Beurteilung von Erkrankungen und Impfungen abspricht. Du beziehst dich dabei auf „die Koryphäen“ der Virologie und deren uneingeschränkte Deutungshoheit. Wissenschaftlicher Diskurs scheint obsolet geworden zu sein.

 

Dieses eindimensionale Politikverständnis zeigt sich ebenfalls in der Bezugnahme auf correctiv.org und andere Fakten-Checker. Diese neuen, privatwirtschaftlich finanzierten und gesteuerten Bastionen der Deutungshoheit, die suggerieren, es gäbe in derartigen Themenbereichen die eine Wahrheit und die eine Wissenschaft, sind nicht nur unseriös, sondern für die Demokratie auch ausgesprochen gefährlich. Eine Demokratie lebt nicht von konsensualen oder absoluten Wahrheiten, sondern vom kritischen und grundlegenden Diskurs. Wohin ein dogmatisches Politikverständnis führt, wird im Folgenden deutlich.

Zum einen kritisierst du die Aussage eines Kinderarztes, welche besagt, dass eine bessere Immunisierung durch eine Erkrankung als durch eine wiederholte Impfung gegeben sei. Diese nennst du sozialdarwinistisch, unterschlägst aber den Umstand, dass sie sich lediglich auf Kinder und Jugendliche bezieht, die kaum ein Risiko haben, schwer an Corona zu erkranken oder „Long COVID“ Symptome auszubilden.¹ Sogar das menschliche Immunsystem wird von dir an dieser Stelle als esoterische Weltsicht dargestellt, obwohl die Funktionsweise dieser körpereigenen Abwehr doch wissenschaftlicher Konsens ist. Oder denkst du der Mensch könne nur durch die Segnungen von Big Pharma gesund, bzw. gar nicht erst krank werden? Für mich ist eine solche Weltsicht abwegig. Die Pharmaindustrie hingegen wird sicher dankbar sein, dass auch Schulen und Lehrer diese Sicht auf die Menschen multiplizieren und so die Gewinne sprudeln lassen.

 

Als zweiten Punkt kritisierst du, erneut bezugnehmend auf eine Faktencheck-Seite, die Studie aus Harvard. Deine Kritik bezieht sich dabei allerdings nicht auf die Inhalte der Studie, sondern darauf, dass der Autor sich, wahrscheinlich unter öffentlichem und interuniversitärem Druck, von einer „impfkritischen Instrumentalisierung“ distanziert hat. Diese nachträgliche Distanzierung schmälert allerdings nicht in geringster Weise die Evidenz der Studienergebnisse.

 

Nun möchte ich aber auf den Silberstreif eingehen, der mir Hoffnung macht. Er nährt sich aus dem zentralen Aspekt, auf den du nicht eingegangen bist. Die Kritik also, dass es in Gesellschaft und Schule zu einer offenen und direkten Diskriminierung der Menschen gekommen ist, die sich gegen eine Impfung entschieden haben. Einigen wir uns also darauf, dass die politische, mediale und gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung derjenigen, die eine Impfung ablehnen, ein Fehler war, der unserer Zivilgesellschaft nicht erneut passieren darf, und schauen wir gemeinsam nach vorn, um die Pandemie endlich hinter uns zu lassen.

 

Mit solidarischen Grüßen Gunnar Weber

 

1             Zu Long Covid bei Kindern gibt es bislang, auch aufgrund der geringen Zahl, keine belastbaren Daten, wie wir im aktuellen Ärzteblatt lesen können. Die schweren oder gar tödlichen Fälle einer Corona Erkrankung bei Kindern bitte ich dich selbst im RKI Dashboard nachzuschauen.

Lieber Gunnar,

Du hattest seinerzeit behauptet, 'immer mehr Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen' würden sich 'kritisch zur Impfung von Kindern und Jugendlichen äußern', da diese Gruppe eher durch die Impfung als durch Covid19 gefährdet ist'. Ich hatte darauf entgegnet, dass die Berufsverbände der Pädiatrie sowie die Koryphäen der Virologie sich, mindestens im Falle Jugendlicher, eindeutig für die Impfung ausgesprochen haben, du hingegen keine Belege zu deiner Behauptung geliefert hattest. Nun lieferst Du sie, wie du sagst, nach. Nun gut, sehen wir sie uns an.

1.

Du berufst dich auf zwei Quellen, nämlich einen Verein 'für individuelle Impfentscheidung' sowie die 'Ärzte für Aufklärung'. Ernsthaft? Erstens war deine These nicht, dass es eine Minderheit von Impfskeptischen im medizinischen Bereich gebe, sondern dass 'immer mehr' kritische Stimmen zu hören seien. Aus 'immer mehr' wird 'zwei' – die Differenz kehrst Du vornehm unter den Tisch. Das ist, mit Verlaub, unredlich.

2.

Zweitens ist es um die Seriosität besagter Quellen nicht zum Besten bestellt. Im Vorstand der 'Arzte für individuelle Impfentscheidung' sitzen laut Wikipedia vier Ärzte aus dem anthroposophischem Spektrum. Sie hatten sich bereits 2006 gegründet (!) und u.a. gegen die Masern-Impfung agitiert. Für ihre Aussagen zu Covid 19 sind sie vom Paul-Ehrlich-Institut wie auch dem Präsidenten der Bundesärztekammer kritisiert worden¹. Die 'Ärzte für Aufklärung' haben wiederum ähnlich Fragwürdiges verbreitet, weshalb es bei Correctiv.org einen Faktencheck dazu gibt.² So wird dort ein Vertreter mit den Worten zitiert: 'Wir werden dabei' – bei der Impfung, WP - gentechnisch manipuliert'. Dabei ist eine Infiltration des Genoms durch die MNA-Impfstoffe gar nicht möglich. Auch hinter dieser zweiten von dir zitierten Initiative stehen übrigens Ärzte mit einer Nähe zur Homöopathie.

3.

Um die vermeintliche Wirkungslosigkeit der kleinen Spritze zu demonstrieren, berufst Du dich auf eine Harvard-Studie, die, man verzeihe das Wortspiel, viral gegangen ist. Leider ist auch sie durch eine Nachrichtenagentur geprüft und für irreführend befunden worden³. Einer der Verfasser, ein Forscher namens Subranian, hat sich von dem Versuch einer impfkritischen Instrumentalisierung seiner Ergebnisse distanziert und sagt: Seine Analyse bekräftige „die Impfung als wichtige Strategie zur Verringerung der Infektion und der Übertragung, zusammen mit dem Händewaschen, dem Tragen von Masken, guter Belüftung und räumlicher Distanz."

4.

Weiter wirfst du mir vor, ich würde Gegner der Impfung pauschal als sozialdarwinistisch oder esoterisch stigmatisieren. Das gibt mir zu denken – wenn ich schon jemand Unrecht tue, sollte es wenigstens nicht pauschal geschehen. Greifen wir uns also ein Exempel heraus. Nehmen wir Joost Deerberg, der mit folgenden Worten zitiert wird: „Haben wir den Mut, die Erkrankung durchzumachen?“ Denn, so der Hamburger Kinderarzt: „Der Nutzen einer durchgemachten Infektion ist höher. Kinder und Erwachsene besitzen eine erhöhte Immunität.“⁴ Solche Plädoyers für freiwillige Infektion gründen auf einem esoterischen Naturverständnis, wonach unser Körper bereits über alle Mittel verfügt, mit neuen Erregern fertig zu werden, wenn man ihn nur ließe und nicht mit medizinischen Errungenschaften malträtierte. Leider hat Mutter Natur weder die Pest noch Covid verhindert. Wer dann stirbt, dessen Immunsystem war wohl nicht hart genug. Derlei zynische Parteinahme für natürliche Auslese läuft auf Sozialdarwinismus hinaus. Aber vielleicht war ich in der Auswahl meines Beispiels ja einseitig? Kinderarzt Deerberg vertritt die von Dir geschätzten 'Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung'.

5.

Wäre die Gesellschaft deinen Deerbergs und Konsorten gefolgt, hätte die Pandemie viel höhere Opferzahlen produziert, im Verhältnis auch unter Jugendlichen. Zum Glück haben Schulen die Impfkampagnen unter anderem mit mobilen Angeboten unterstützt und sich nicht auf den von dir propagierten Impf-Agnostizismus versteift: Es ist wie bei der Existenz des lieben Gottes – man könne laut deinen Einlassungen nicht genau wissen, ob die Vakzination helfe oder nicht, daher verlange das Neutralitätsgebot von uns, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen, den Forschungszweig der Virologie einerseits und dein Häuflein anthroposophischer Naturverehrer andererseits.

6.

Schließlich behauptest Du, die Impfkampagne diene lediglich dazu, die Unterversorgung des Gesundheitswesens zu vertuschen. Ein schönes Beispiel für den Missbrauch eines richtigen Arguments unter Verwendung eines falschen Umkehrschlusses: Gewiss ist das Gesundheitswesen einer sträflichen Kürzungspolitik unterworfen worden. Daraus zu machen, bei reichlich vorhanden und gut ausgestatteten Intensivstationen wäre die eiserne Lunge ein Luftkurort, erfüllt den Tatbestand der Verdrehung. Denn auch bei guter Ausstattung möchte niemand überhaupt erst in die Klinik müssen – wozu wiederum das Vakzin hilft. 

Lieber Werner,

sehr gern würde ich mich mit dir mal wieder bei einem Bier streiten und kritische Diskussionen führen, teile aber deine Zuversicht nicht, dass wir damit warten können, bis „die letzte Welle abgeebbt ist“. Wer darauf wartet, dass keine Infektionswelle mehr kommt, das Coronavirus gar besiegt wird, hängt offenbar noch immer dem Zero-Covid Gedanken an. Es wird aber kein Leben nach Corona, nur ein Leben mit Corona geben. Dem genannten kritischen Diskurs müssen wir uns also sofort stellen, um eine freie und offene Gesellschaft vor der Errichtung einer geschlossenen und ausgrenzenden Gemeinschaft zu schützen. Wir stellen dieser Tage die Weichen für unser weiteres Zusammenleben und sollten uns schleunigst die Frage stellen, wie wir uns dieses für unsere Zukunft und die unserer Kinder wünschen.

Zunächst möchte ich aber gern die Quellen nachliefern, die dir in unserem letzten Artikel gefehlt haben. Bezüglich der Ärzt*innen, die sich kritisch zur Impfung, vor allem der der Kinder äußern, empfehle ich die Stellungnahmen von „Ärzte für Aufklärung“ und „Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V.“. Weiterhin lohnt der Blick auf die aktuelle Empfehlung der STIKO zur Altersgruppe der Fünf- bis Elfjährigen1, die inhaltsgleich auch in der Empfehlung für die 12-18-Jährigen formuliert wurde. Erst nach massivem politischem und öffentlichem Druck, passte die STIKO diese Empfehlung an. Die Bewertung der Glaubwürdigkeit und Plausibilität dieser Korrektur der STIKO bleibt dabei selbstverständlich jedem selbst überlassen.

Mir ist an dieser Stelle nicht daran gelegen, zu entscheiden, welche wissenschaftliche Sicht, welches Modell oder welche Lösung richtig ist. Mir stößt aber auf, dass in der Schule kaum dieser Dissens, sondern eher ein einseitiger Konsens dargestellt und abgebildet wird.

Die Impfung wird als einziger und alternativloser Weg aus der Pandemie dargestellt. Ebenso der Umgang mit dieser Bedrohung durch Schulschließungen, Homeschooling, Lockdowns und die Einführung ausgrenzender 2-G-Regelungen.2 Diese Darstellung ist falsch, einseitig und widerspricht jeder Vorstellung von Ausgewogenheit und Neutralität, der die Schulen sich verpflichtet haben3.

Das transportierte Mantra, die Impfung schütze nicht nur das Individuum, sondern auch die Gesellschaft, führt unter dem Banner der „Pandemie der Ungeimpften“ und dem Deckmantel der Solidarität dazu, dass Ausgrenzung und Diskriminierung (nicht nur eine angebliche) legitimiert, staatlich gefördert und nun sogar gesetzlich verankert werden. Dies geschieht, obwohl eigentlich ein wissenschaftlicher Konsens besteht, dass der Fremdschutz durch die Impfung nach kurzer Zeit nur noch so gering ist, dass sich die Solidarität einzig und allein auf die Angst vor der Überlastung der Intensivstationen eines in den letzten 20 Jahren kaputt gesparten und marktwirtschaftlichen Prozessen unterworfenen Gesundheitssystems beziehen kann. So stellt Christian Drosten bereits im November klar: „Es gibt im Moment ein Narrativ, das ich für vollkommen falsch halte: Die Pandemie der Ungeimpften. […] Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften, wir haben eine Pandemie“4. RKI-Chef Wieler erklärt eine Woche zuvor: „Das Wort Herdenimmunität haben wir gestrichen“5. Abschließend sei auf eine Studie der Harvard-Universität6 verwiesen, die keine Korrelation zwischen der Impfquote und der Entwicklung der Infektionszahlen feststellen konnte, was sich aktuell auch darin zeigt, dass Bremen sowohl Impfprimus als auch Inzidenzspitzenreiter ist (Stand: 02.01.2022).

Diese Fakten müssen in der Schule abgebildet werden, um ein differenziertes Bild der aktuellen Lage zu vermitteln. Das Gegenteil findet aber in allen Bereichen der Schule statt. Entgegen der auch von dir gewünschten Aufklärung findet Werbung für die Impfung statt und der Aufbau von Druck und Zwang gegenüber den sogenannten „Ungeimpften“ wird mitgetragen und tatkräftig unterstützt. (2G-Regelungen bei Klassenfahrten, Elternabenden, Infoveranstaltungen, Exkursionen etc.)

Wir sind uns aber absolut einig in der Forderung, dass Schule eine Aufklärungsverpflichtung hat, der sie in allen Bereichen nachkommen muss. Dabei müssen Vor- und Nachteile der Impfung ebenso transportiert werden wie die gesellschaftlichen Ausgrenzungs- und Diskriminierungsprozesse, wenn sie auch negative Assoziationen wecken, oder vielleicht auch gerade deswegen. In keinem Fall aber dürfen wir diese gesellschaftlichen Prozesse in der Schule unreflektiert reproduzieren, zumindest dann nicht, wenn Einigkeit darüber besteht, dass weder die Mehrheit lernen darf, dass Ausgrenzung legitim ist, noch eine Minderheit Diskriminierungserfahrungen machen soll.

Unsere Aufgabe als Lehrerinnen und Lehrer ist es also mitnichten, ein „Spaltpilz“ zu sein, der eine Position inhaltlich und moralisch überhöht und die Gegner pauschal als „rechtspopulistisch“, „sozialdarwinistisch“ oder „esoterisch“ stigmatisiert, sondern ein differenziertes Bild zu vermitteln und Ansatzpunkte zu finden, die unsere Gesellschaft zusammenführen und nicht spalten.

Wenn die Impfung ausschließlich dazu in der Lage ist, schwere Verläufe in einem signifikanten Maß zu verringern, nicht aber Wellen zu brechen oder gar das Virus zu besiegen, verbleibt ihre gesellschaftliche Wirksamkeit in der angenommenen Entlastung des Gesundheitssystems. Die Lösung kann angesichts der hohen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Kosten aber nicht sein, dass wir versuchen, die Bedrohung dem Gesundheitssystem anzupassen, sondern dieses der Bedrohung.

Darüber sollten wir alsbald sprechen und debattieren, um möglicherweise wieder einen politischen Nenner zu finden und die tatsächlich Verantwortlichen daran zu erinnern, dass ihre Fürsorgepflicht nicht darin besteht, das Volk zu einer Impfung zu gängeln oder gar zu zwingen, sondern ein Gesundheitssystem vorzuhalten, das den realen aktuellen und künftigen Bedrohungen gewachsen ist.

Mit solidarischen Grüßen,Gunnar Weber, im Namen von 35 weiteren GEW-Kolleg*innen aus dem Bildungsbereich

Quellen:

Bekenntnisse eines Wachhundes

Eine Antwort auf die Stellungnahme von Gunnar Weber und Unterzeichneten

1. In der letzten Ausgabe dieser Zeitschrift sprachen sich Gunnar Weber und weitere GEW-Mitglieder (siehe Text weiter unten auf der Seite) in eindringlichen Worten gegen eine angebliche Diskriminierung Ungeimpfter in der Bildung und anderswo aus. Es drohe eine Spaltung der Gesellschaft durch die staatliche Politik, würden weitere Einschränkungen eingeführt. Selten ist ein Text so durch die Ereignisse überholt worden wie dieser. Mittlerweile sind die Zahlen explodiert und Ungeimpften ist der Zutritt zu fast allem verwehrt, eine allgemeine Impflicht rückt näher. Zu dieser kann man kritisch stehen, wie es beispielsweise die Bremer Gesundheitssenatorin tut. Dennoch betont auch sie, das Impftempo müsse dringend beschleunigt werden, unter anderem durch Aufklärung.

2. Die in der Stellungnahme vielbeschworene Freiwilligkeit der Impfung kann nicht heißen, dass die Entscheidung sich allein im Privaten abspiele, als individuelle Risikoabwägung ohne Bezug auf andere. Vermutlich wäre das bei einer durch Zeckenbiss erworbenen Hirnhautentzündung der Fall; wer die Impfung ablehnt, steckt bei eintretender Infektion niemanden an.

Bei Covid-19 ist das anders. Die Impfung dagegen ist ihrem Wesen nach eine kollektive Maßnahme. Der Schutz einer Person gegen einen ersten oder erneuten Ausbruch ist um so größer, je höher der Impfgrad der Gesamtbevölkerung ist. Im Hinblick auf die aggressive Delta-Variante hatte das RKI ja bereits im Sommer 2021 eine Impfquote von 85% angemahnt. Wer also Schutz für notwendig erachtet, muss nach freier Erwägung auch wollen, ja ist sogar darauf angewiesen, dass andere mitziehen und die Impfung nicht bloß als unverbindliches ‚Angebot‘ ansehen. Das könnte man als den epidemiologischen Imperativ bezeichnen. Ihn den skeptisch Gesinnten zu erklären, heißt nicht Druck ausüben, sondern an Einsicht zu appellieren. Wo stattdessen moralische Empörung auftrumpft und eine Stigmatisierung Ungeimpfter, da ist eure Sorge vollkommen berechtigt.

3. Doch weshalb stellt ihr Behauptungen wie die folgende auf? ‚Immer mehr ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen sprechen sich gegen eine Impfung von Kindern und Jugendlichen aus‘. Zunächst gilt es zwischen den beiden Gruppen zu unterscheiden: Bei Kindern lässt sich debattieren, obwohl Claudia Bernhardt schon eine Impfstation für sie vorbereitet. Jugendlichen ab zwölf hingegen legt die Ständige Impfkommission schon seit August 2021 nahe, den Schritt zu tun. Desgleichen ruft die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin dazu auf, unter Verweis auf Untersuchungen bei zehn Millionen Fällen. Christian Drosten empfiehlt es und würde übrigens, wie er dem WDR sagt, auch sein eigenes Kind unter zwölf impfen lassen.

Das sind drei seriöse wissenschaftliche Stimmen für die Notwendigkeit der Impfung in besagter Gruppe. Eure Belege für das Gegenteil konnte ich leider nicht überprüfen – ihr liefert ja keine. Eine solche Berufung auf ominösen Ungenannte offenbart in Zeiten, wo impfskeptische Gruppen reichlich Fake News verbreiten, bedenklichen Stil.

4. Fragwürdig ist auch die Wortwahl in Bezug auf Beschäftigte in der Bildung, die sich für das Impfen, unter Umständen sogar als Pflicht, einsetzen. Im Text heißt es, diese sollten sich nicht zu ‚Wachhunden‘ oder ‚Erfüllungsgehilfen‘ der ‚staatlichen Corona-Politik‘ machen. Klingt der eine Begriff nach gefletschten Zähnen, weckt der andere irritierende politische Assoziationen, mit finsteren staatlichen Machenschaften, deren Büttel man nicht werden dürfe. Es sei dahingestellt, ob Staaten eher von humanitären oder ordnungspolitischen Motiven getrieben sind. Doch so gut wie alle Regierungen auf der Welt, über Parteigrenzen hinweg, verfügen seuchenpolitische Maßnahmen. Die einzigen, die sich offen dagegen aussprechen, sind rechtspopulistische Kräfte wie Trump und die AfD; vielleicht wollen sie dem Schöpfer nicht ins Handwerk pfuschen oder nach sozialdarwinistischer Manier der Natur ihren Lauf lassen, worin sie sich nebenbei mit esoterischen Gemütern treffen. Gegen solchen Irrationalismus, der Köpfe vernebelt und Seuchenschutz behindert, sehe ich mich als Lehrer in der bescheidenen Pflicht, etwas Aufklärung zu betreiben. Mit Glück gelingt es mir, einen kleinen Spaltpilz in die Gemeinde zu säen und Einzelne abtrünnig zu machen. Falls mich das zu einem ‚Erfüllungsgehilfen’ macht, ist das eben so. Nachher, wenn die letzte Welle abgebt ist, können wir gerne kritische Diskussionen führen, etwa über die skandalös schlechten Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen. Wir säßen gemeinsam im selben Raum, ohne Maske, bei einem kühlen Bier, und wir hätten zumindest ein Problem weniger.

Ausgegrenzt! | Stellungnahme 2 zur Corona-Impfpolitik

Von Gunnar Weber, Elke Henocque und Angelika Hofner im Namen von 22 weiteren Kolleginnen und Kollegen

Die Frage, die uns umtreibt ist, wie es sein kann, dass die Entscheidung, ein freiwilliges Impfangebot nicht anzunehmen, zum Ausschlusskriterium sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe wird und welche Rolle wir als Schulen und als Kolleg*innen in diesem Prozess spielen wollen.

Wer hätte vor Corona für möglich gehalten, dass der Status „geimpft“ bzw. „ungeimpft“ ein stigmatisierendes Distinktionsmerkmal werden könnte? Also, was geschieht hier? Verurteilung, Schuldzuweisung und Ausgrenzung durch, mal mehr mal weniger, nahestehende Menschen. Der soziale Riss verläuft mitten durch Familien, Freundes- und Bekanntenkreise sowie Belegschaften und Kollegien. Es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Frage danach, wie wir zukünftig leben wollen, beschäftigt uns als professionelle Pädagog:innen im Besonderen und ganz zentral in unseren beruflichen Kontexten, in denen wir verantwortungsvolle Beziehungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen leisten wollen.

Hier müssen wir unserem Auftrag gerecht werden und dürfen uns nicht an einer Politik beteiligen, die den Druck auf jene erhöhen soll, die sich nicht freiwillig für eine freiwillige Impfung entscheiden. Wir müssen also auch die Schüler:innen und Kolleg:innen schützen und unterstützen, die nicht der derzeitigen Mehrheit angehören. Wir machen uns Sorgen um Kinder und Jugendliche, die dem vielfachen Druck durch Impfung aus dem Weg gehen wollen, obwohl sich immer mehr Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen kritisch zur Impfung von Kindern und Jugendlichen äußern, da diese Gruppe eher durch die Impfung als durch Covid 19 gefährdet ist.

Wir erwarten, dass kein Druck auf Schüler:innen und Kolleg:innen von Seiten der Personalvertretungen und der GEW ausgeübt wird, sondern dass - im Gegenteil - politischer und rechtlicher Schutz gegen den Druck von Behörde und Politik geleistet wird. Wir dürfen uns nicht zu Wachhunden und Erfüllungsgehilfen einer Corona-Politik machen, die unsere Gesellschaft entzweit und einzelne Bevölkerungsgruppen an den Rand drängt, sondern müssen uns gemeinsam und solidarisch gegen diese Politik der Spaltung zur Wehr setzen. Solidarische Grüße