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Kernfragen der GEW Teil 16

Vier Komma zwei Prozent

Seit Jahren drängt die GEW auf „mehr Geld für Bildung“. Die Argumente sind fundiert.

Bernd Winkelmann, ehemaliger GEW Landesvorstandssprecher
Bernd Winkelmann, ehemaliger GEW Landesvorstandssprecher (1999-2019)

4,2 Prozent des „BIP“ (Bruttoinlandsprodukt) beziehen sich auf oftmals schwer zu vermittelnde Berechnungsmodalitäten. Gemessen wird, allgemein formuliert, wie viel ein Staat eingedenk seiner Wirtschaftsleistung für Bildung verwendet. Derartige Daten bilden deshalb in den politischen Auseinandersetzungen um die Bildungsfinanzierung eine äußerst relevante Größe. Im gewerkschaftlichen Kontext herrschen zu diesem konkreten Anteil von 4,2% drei Einschätzungen vor:

„Zu wenig“ – „unterdurchschnittlich“ – „konstant schlecht“

Dazu im Einzelnen: Wenn weiterhin der PISA-Merksatz gilt, dass in keinem anderen Land die Abhängigkeit des Bildungserfolges der Kinder vom sozialen Status der Eltern so ausgeprägt ist wie in der Bundesrepublik, dann erscheint ein erster Verdacht auf mangelnde Ausfinanzierung naheliegend. Betrachtet man marode Schulgebäude, mangelnde Personalentwicklung und veraltete materielle Ausstattungen genauer, dann sind wir auf der Bewertungsskala tatsächlich bei „zu wenig“ angelangt.

Eine Auseinandersetzung mit „Anteilen“ drängt zum Vergleich, die Statistiken der OECD liefern das Material. Bei den Bildungsausgaben insgesamt liegt Deutschland deutlich hinter den führenden Nationen zurück; Norwegen, Neuseeland und die USA geben beispielsweise mehr als 6% vom BIP für Bildung aus. Zieht man die Ausgaben für die Primar- und Sekundarstufe heran, so belegt Deutschland einen unterdurchschnittlichen Rang als 27. von 35 Ländern (vergl. Schrooten 2021, S. 32 ff.). Alles in allem sprechen wir von einer Unterdeckung im Bildungsbereich von über 42 Mrd. € (vergl. Modellrechnung Kaphegyi 2017, S. 21) – ohne Inklusion, BaFöG-Erhöhung und die Integration Geflüchteter. Rechnet man diese Posten hinzu, kommt man auf mehr als 56 Mrd. € (vergl. ebenda, S. 22).

Trotz der groß inszenierten politischen Zusagen, auf Bildungsgipfeln und in Parteiprogrammen sowie der wiederholten Mitteilungen, man gebe für Bildung mehr Geld denn je aus, bleibt eine Tatsache bestehen: Der letzte bessere Prozentsatz als 4,2 im Weltländervergleich resultiert aus den 90-er Jahren des letzten Jahrhunderts, deutlich höhere Werte weisen die Jahrzehnte davor aus (vergl. Himpele 2007, S. 25). Das ist nichts anderes als konstant schlecht.

Die Unterfinanzierung ist ein Angriff auf die Menschenrechte

Die ganze Aufregung um die Finanzierung des Bildungswesens ist berechtigt. Letztendlich nämlich läuft es darauf hinaus, ob eine „vollständige () und freie () Entfaltung der Persönlichkeit“ (GEW 2013, S. 33) gelingen kann und soll. Von der Realisierung dieses Rechtes auf Bildung hängt somit u.a. ab, inwieweit Mitglieder einer Gesellschaft befähigt werden, „ihre gesellschaftliche Lage zu erkennen und individuelle und kollektive Mittel zu deren Veränderung zu nutzen“ (ebenda, S. 34).

Eingebunden ist diese Argumentation, das leitet Kophegyi ab, in eine von der UN verabschiedeten Konzeption unteilbarer Menschenrechte (vergl. Kophegyi 2017, S. 7), die nicht nur politische Freiheitsrechte beinhaltet, sondern auch bürgerliche und soziale, beispielsweise „die Befreiung von Armut, von Arbeits- und Bildungslosigkeit ...“ (ebenda). Er kommt zu dem Schluss, dass die Umsetzung gerade dieser unteilbaren Rechte „die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts hätte verhindern können“ (ebenda). Die tatsächliche politische Entwicklung war eine andere, das ist bekannt.

Die derzeitige Wirtschaftsordnung zerstört die Gesellschaft

Die Vertreter*innen dieser Ordnung greifen an der Stelle an, wo die elementaren Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden müssten. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir harte wirtschaftliche Krisen, zunehmende ökologische Extremsituationen, eine konstante Armut und eine Zunahme menschenfeindlicher Einstellungen erlebt. Dies ging einher mit dem Abbau des sog. „Wohlfahrtsstaates“.

Steuersenkungen für Wohlhabende, Privatisierung profitträchtiger staatlicher Bereiche und Prekarisierung der Lohnarbeit (vergl. ebenda, S. 10ff.) sind Kennzeichen dieses Vorgehens. Insofern ist der Kampf um jedes Zehntel Prozent beim BIP notwendig und ehrenwert, nur die wirtschaftlichen Machtverhältnisse verkehren damit die Argumentationsrichtung. Der eigentliche Ausgangspunkt müsste die Definition dessen sein, was „gute Bildung“ heute ausmacht und nicht, was das enge Budget der Bildungseinrichtungen gerade noch hergibt.

Die Zustandsbeschreibungen sind erdrückend, die Trends aber nicht neu

Weit vor unserer Zeit gab es schon einmal eine Ampelregierung, die erste in einem westdeutschen Bundesland. Diese Geschichte spielt in Bremen, denn bei der Bürgerschaftswahl 1991 verlor die SPD 11,7 Prozentpunkte und erstmals seit zwanzig Jahren wieder die absolute Mehrheit der Sitze. Die daraufhin gebildete Dreier-Koalition stellte mit Nachdruck Weichen: Mit Verweis auf das Sanierungsprogramm zur Tilgung der hohen Schulden des Bundeslandes unterließ es der Ampel-Senat, ein Mindestmaß an personeller Vorsorge im Bildungsbereich zu treffen. Die reale Alterspyramide der bremischen Lehrkräfte sowie die fach- und schulstufenbezogenen Bedarfe wurden ignoriert, so dass nach dem vollständigen Einstellungsstopp zwischen 1982 und 1988 nunmehr „eine nur noch schwer zu korrigierende `Einstellungslücke´“ (Burger 1993, S. 3) entstand.

Aber nicht nur der Abbau von Stellen im Öffentlichen Dienst ist mit der Ampel verbunden. Gerade mit Bezug auf die Gegenwart soll daran erinnert werden, dass die bildungspolitische Debatte damals von der Ausstattung und Struktur des Bildungssystems auf die innere Schulentwicklung gelenkt wurde. Mängel wurden „individualisiert“: Die Qualität schulischen Lernens sei zu verbessern – und die liege in der Hand der Pädagog*innen.

In einem vorläufigen Fazit ist nicht nur die bundesrepublikanische Unterfinanzierung insgesamt zu bedenken, sondern auch ein „innerdeutscher“ Vergleich heranzuziehen. Der in diesem Zusammenhang wirklich aussagekräftige ist jener zwischen den Stadtstaaten. 2017 stellte die zuständige Senatorin fest, dass unser Bundesland bei den Pro-Kopf-Ausgaben für Schüler*innen 2.000 € hinter Hamburg und Berlin zurückliege (Die Senatorin für Kinder und Bildung 2017). Versprochen wurde ein „Aufholen“. Dies allerdings ist nicht gelungen: Mittlerweile liegt Hamburg um 2.500 € vorne, Berlin gar um 3.200 € (vergl. Schrooten 2021, S. 23).

Die GEW hat sich gut vorbereitet

Die Bildungsfinanzierung ist ein in der GEW naheliegender Weise tief verwurzeltes Thema. Mit der Initiative „Bildung. Weiter denken!“ erreichten wir eine neue Stufe des koordinierten Vorgehens. Dies gelang mit der Idee, sich innerhalb der Organisation über „gute Bildung“ verbindlich zu verständigen (vergl. GEW 2017a), alle Bildungsbereiche von der Kita bis zur Weiterbildung einzubeziehen sowie insbesondere die Bundesorganisation und die 16 Landesverbände durch gemeinsame Aktivitäten verstärkt zu verknüpfen, und zwar unter Beteiligung möglichst vieler Mitglieder.

So konnte dieses als „sperrig“ angesehene Thema anhand eingängiger Beispiele verständlich gemacht und mit klaren Botschaften in der „konkreten Relevanz für den Alltag“ (Heidn u.a. 2021, S. 48) versehen werden: Verankert bei den eigenen Kolleg*innen, nachvollziehbar in der Bevölkerung im Allgemeinen und durchaus aufklärend-konfrontativ gegenüber politischen Entscheidern. Die Richtung der Argumentation bestand darin, gute Bildung als „gesamtgesellschaftliches Anliegen“ zu verdeutlichen und nicht als „ausschließliche Interessenvertretung von pädagogisch Beschäftigten“ (ebenda, S. 42).

Umverteilung des Reichtums

Fünf Jahre nach Gründung der Initiative können wir in aller Bescheidenheit feststellen, dass einiges geklappt hat: Die mit den intensiv vorbereiteten Aktionszeiträumen vorgenommene Konzentration auf einen Inhalt (Integration/Inklusion, Gebäude, Arbeitsbelastung) bündelte die Aktivitäten der Organisation in einem überschaubaren Zeitraum an vielen Orten. „A 13 für alle“ beispielsweise erhielt dadurch eine bislang nicht gekannte Präsenz in der Öffentlichkeit und konnte in einigen Bundesländern durchgesetzt werden.

Die Ausarbeitung von umfangreichen Expertisen ermöglichte eine Sammlung von Fakten und Argumenten, mit der nicht nur die Bedarfe beziffert, sondern gleichzeitig die Finanzierbarkeit unserer Vorstellungen nachgewiesen wurde. Mit dem dazu vorgelegten Steuerkonzept positioniert sich die GEW unverkennbar i.S. einer Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums (Spitzensteuersatz, Vermögens-, Erbschafts- und Reichensteuer; vergl. Eicker-Wolf u.a. 2016).

Auf fundierter Grundlage argumentieren zu können, befördert die Kommunikation nach innen, wenn die vielschichtigen Informationswege unserer Organisation denn genutzt werden, sowie die Lobbyarbeit, gerade in der Bundespolitik. Und als Marlis Tepe „In Bildung unterwegs“ war, 2017 und 2019 auch im Lande Bremen, begegneten sich die verschiedenen Ebenen und wurden aufeinander bezogen, das praktische Beispiel in einer Bildungseinrichtung und die Verallgemeinerung zur Lage der Republik.

Weitere Aspekte ließen sich benennen. Das Erzielen von Erfolgen jedoch bleibt mühselig.

Die GEW will gesellschaftlichen Druck entfalten

So ist es jedenfalls beschlossen (vergl. GEW 2017b). Die GEW, auch dieser Gedanke ist in den Dokumenten des Freiburger Gewerkschaftstages vermerkt, arbeitet zu diesem Zweck mit „allen sozial engagierten und fortschrittlichen Kräften zusammen“ und „beteiligt sich an (entsprechenden) gesellschaftlichen Bündnissen“ (ebenda). Dies gelang überzeugend mit dem „Appell für mehr Geld in der Bildung!“ (GEW 2017c). Ebenso hervorzuheben sind die in unserem Bundesland erfolgten Bündnisaktivitäten unter den Titeln „Vorfahrt für Bildung“ (Bremer Bündnis für Bildung o.J.) bzw. „Bildung. Zukunft. Jetzt“ (vergl. GEW Bremerhaven 2019).

Der „Bündnisbeschluss“ offenbart jedoch ebenfalls, wie anspruchsvoll er hinsichtlich seiner politischen Umsetzung ist, denn die Anforderungen sind nun einmal hoch: Es bedarf eines „breiten gesellschaftlichen Konsens(es)“, um die zitierte „strukturelle und systembedingte Unterfinanzierung des Bildungswesens zu beseitigen“ (Fuchs, Heidn 2018). Ausschließlich mit den „üblichen“ Partnern gelinge das nicht, das zeigten die letzten Jahre, so kritische Stimmen, welche ihrerseits die Prüfung „antagonistischer Kooperationen“ vorschlugen.

Nur in einer gerechten Gesellschaft

Bei allen notwendigen Überlegungen muss die GEW glaubwürdig bleiben. Richtige finanzpolitische Kernforderungen wie die Abschaffung des Kooperationsverbotes, der Wegfall der Schuldenbremse oder die Abkehr von Privatisierungen im Bildungswesen engen ihrerseits allerdings Bündnisse ein.

Die Widersprüchlichkeit zwischen systembedingter Unterfinanzierung und eines als notwendig erachteten breiten gesellschaftlichen Bündnisses ist in der GEW nicht gelöst. Es genügt nicht, wie Eva Borst so richtig schreibt, „nur Chancengleichheit zu fordern. … Bildungsgerechtigkeit setzt eine gerechte Gesellschaft voraus ...“ (Borst 2013, S. 4). Sie fährt fort: „Jedes Argument für soziale Gerechtigkeit (ist) ein Angriff auf das neoliberale Wirtschaftssystem“ (ebenda, S. 6).

Insofern sind die „4,2 Prozent“ kein Versehen. Wenn Bildung einseitigen wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wird, ist die freie und vollständige Entfaltung der Persönlichkeit (s.o. GEW 2013) nicht die Bezugsgröße. Vielmehr werden berechtigte Interessen der Menschen unterlaufen durch Entpolitisierung und scheinbar „alternativlose Sachzwänge“.

In diesem Zusammenhang fordert die zur kapitalistischen Ökonomie arbeitende Regisseurin Carmen Losmann eine Abkehr von der Profitorientierung unseres Wirtschaftssystems: „Die Radikalität der erforderlichen Maßnahmen entspricht der Radikalität der Probleme, vor denen wir stehen“ (Adorján 2021). Das könnte immerhin ein Leitgedanke sein. Die Diskussion um Bündnisse und deren Wirksamkeit ist mithin längst nicht beendet. 

Quellen:

  • Adorján (2021): Schlecht gedacht, Interview mit Carmen Losmann in der SZ vom 8.11.21
  • Borst (2013): Schule 2.0 – Über den Bildungsbegriff, Berlin
  • Bremer Bündnis für Bildung (o.J.): Vorfahrt für Bildung!, Bremen
  • Burger (1993): Operation gelungen – Patient tot, Bremen
  • Die Senatorin für Kinder und Bildung (2017): Fachpolitisches Handlungskonzept Kinder und Bildung, Bremen
  • Eicker-Wolf u.a. (2016): Richtig gerechnet! Das Steuerkonzept der GEW – Aktualisierung und Neuberechnung, Frankfurt
  • Fuchs, Heidn (2018): Impulse für eine künftige Bündnisarbeit der GEW, Frankfurt
  • GEW (2013): Bildung als Menschenrecht erfordert Widerstand gegen Ökonomisierung und Privatisierung des Bildungswesens, Beschluss 3.5 zum Bundesgewerkschaftstag, Düsseldorf
  • GEW (2017a): Mehr Geld für Bildung! Eine Initiative der GEW stellt sich vor, Frankfurt
  • GEW (2017b): Für eine bessere Finanzierung und Ausstattung des Bildungswesens, Beschluss 1.2 des Bundesgewerkschaftstages, Freiburg
  • GEW (2017c): Appell für mehr Geld in der Bildung!, Frankfurt
  • GEW Bremerhaven (2019): „Zukunft Jetzt“ - „Bildung Jetzt“, Informationen des Stadtverbandsvorstandes, Ausgabe 3/4, Bremerhaven
  • Heidn u.a. (2021): Evaluationsbericht der Initiative „Bildung. Weiter denken!“ 2017-2021, Frankfurt
  • Himpele (2007): Bildungsfinanzierung in Deutschland, Berlin
  • Kaphegyi (2017): Bildungsfinanzierung. Weiter denken: Wachstum, Inklusion und Demokratie, Frankfurt a.M.
  • Schrooten (2021): Bildungsfinanzierung – Fokus Schule, Frankfurt a.M.