Zum Inhalt springen

Bildungsfinanzierung

Verwaltung des Mangels statt politischer Initiative

Stellungnahme der AG Bildungsfinanzierung zum „Personalkonzept – Schule“ (ungekürzt)

Das 150-seitige Personalkonzept für die Bremer und Bremerhavener Schulen, das von der Bildungsbehörde lange vorbereitet und in einer Sondersitzung der Deputation vorgestellt wurde, trägt seinen Namen leider zu unrecht: Es handelt sich nicht um ein Konzept, sondern lediglich um eine unvollständige Darstellung der misslichen Lage und eine Fortschreibung der Maßnahmen, die in den letzten Jahren ergriffen wurden, um die immer größeren Lücken in der Personalversorgung zu stopfen. Und diese Maßnahmen reichen bekanntlich nicht aus, wie die drastische Kritik der Schulen, der Personalräte, der Gewerkschaft und der Elternvertretungen immer wieder betont hat.

Zu den Missständen haben langfristige Versäumnisse geführt, deren Quellen wieder einmal nicht angegangen werden. Mehr als eine Fortsetzung der Notmaßnahmen, insbesondere das Setzen auf Seiteneinsteiger*innen und die Schaffung neuer, pädagogisch notdürftig qualifizierter Berufsgruppen, ist in dem vorgelegten Papier nicht erkennbar.

Das Konzept enthält weder Schritte zu einer durchgreifenden Ausweitung und Verbesserung der Lehrer*innen- und Erzieher*innen-Ausbildung, noch Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität der pädagogischen Berufe. Wenn auf diesen beiden Gebieten keine sichtbaren Initiativen ergriffen werden, wird sich die gegenwärtige Misere bis in die 2030-er Jahre fortsetzen.

Im Folgenden nehmen wir Stellung zu den einzelnen Abschnitten des Papiers der Senatorin für Kinder und Bildung und nennen realistische und zielführende Maßnahmen, die zu einer wirklichen Verbesserung beitragen können.

Zahl der Schüler*innen

Die Prognose der Behörde erscheint realistisch, d.h. wir werden im Land Bremen 2030 ca. 5000 Schüler*innen mehr haben als heute. Der Zuwachs leitet sich aus der Zahl der Geburten und den Fluchtbewegungen ab. Allerdings wird dabei nicht bewertet, dass die weiterhin hohe Kinderarmut und die Zuwanderung den Förderbedarf der Schulen über das bisherige Maß hinaus erhöhen werden.

Lehrkräftebedarf

Die Bedarfsprognose wird aus der voraussichtlichen Zahl der Pensionierungen und dem Mehrbedarf laut aktueller Zuweisungsrichtlinie für die neuen, zusätzlichen Klassenverbände errechnet. Hinzu kommt der Zusatzbedarf durch die geplanten weiteren Ganztagsschulen in der Primarstufe. Bis zum Schuljahr 2030/31 müssen hiernach im Land 2612 Vollzeiteinheiten neu besetzt werden. Nicht erwähnt wird in diesem Zusammenhang, dass schon in den letzten Jahren eine hohe Zahl von Stellen nicht besetzt werden konnte. Zu Beginn des laufenden Schuljahres waren es 96. Aufgrund der Tatsache, dass ein Teil der Lehrkräfte in Teilzeit arbeitet, liegt der Bedarf an neu einzustellenden Personen höher als 2612 Vollzeiteinheiten, nämlich bei 3150. Bei dieser Umrechnung wird von der Behörde der Faktor von 1,205 Personen auf eine Stelle angesetzt. Dieser ist sehr niedrig berechnet. Im Schuljahr 2021/22 füllten in der Stadtgemeinde Bremen 5807 Lehrkräfte 4675 Vollzeiteinheiten aus, der Faktor betrug 1,242. Legt man diesen höheren Faktor zu Grunde, so liegt der Bedarf an Personen bei 3244, also um 94 höher. Und nichts deutet auf einen künftigen Rückgang der Teilzeitquote hin. Vielmehr ist zu befürchten, dass auf Grund der gewachsenen Arbeitsbelastung die Teilzeitquote steigen wird. Die gesamte Behördenprognose schreibt bei den Arbeitsbedingungen den Status quo fort. Mehrbedarf durch Entlastungen ist bis 2030 nicht eingeplant, obwohl er dringend notwendig ist. Die in den letzten Jahren gestiegene Belastung bewirkt zudem Frühpensionierungen und senkt die Attraktivität des Lehrer*innenberufs – eine Negativ-Spirale.

Bedarf durch inklusive Beschulung

Für die Bereiche Hören und Kommunikation, Sehen und visuelle Wahrnehmung, körperlich-motorische Entwicklung, Autismus, Wahrnehmung und Entwicklung wird ein leicht steigender Anteil von 2% auf 2,2% der Schüler*innen angenommen. Im Bereich Lernen, Sprache und Verhalten verzeichnet die Behörde eine starken Anstieg in den letzten Jahren und rechnet für die Zeit bis 2030 mit einer Quote von 10-10,5%. Zur Erinnerung: In der Studie von Klemm/Preuss-Lausitz von 2008, mit der damals begründet wurde, dass man ohne eine Erhöhung der sonderpädagogischen Lehrkapazitäten mit der Inklusion beginnen könne, wurde von einer LSV-Quote von 4,5% ausgegangen! Die Folgen dieser Fehlprognose hatten insbesondere die Grund- und Oberschulen zu tragen, die in den letzten 15 Jahren unter dem ständigen Mangel an Förderkapazität zu leiden hatten.

Da die Grundschulen im Bereich LSV zurzeit eine Globalzuweisung von 7,2% erhalten, besteht hier ein scheinbarer Überhang an sonderpädagogischer Kapazität von 52,7 Stellen. An den Oberschulen dagegen, an denen durch die Statuierung der Kinder der reale Bedarf abgebildet wird, gibt es ein Defizit von 119 Stellen. Zusammenfassend wird für den Bereich der inklusionspädagogischen/sonderpädagogischen Lehrkräfte perspektivisch ein Mehrbedarf von 328,3 Stellen angenommen.

Bedarf an nicht unterrichtendem Personal

Auch hier wird erheblicher Mehrbedarf festgestellt. In der Stadtgemeinde Bremen werden zurzeit 121 Sozialarbeiter*innen auf 65 Stellen an den Schulen und 16 Stellen in temporären Lerngruppen beschäftigt. Um wie beabsichtigt alle Schulen mit einer Stelle Sozialarbeit auszustatten, müssen weitere 40 Stellen geschaffen werden. Noch größer ist der Mehrbedarf für die pädagogische Arbeit im Ganztag. Zurzeit sind an den stadtbremischen Grundschulen 590 Erzieher*innen und andere pädagogische Fachkräfte auf 319 Stellen beschäftigt. Eine Erfüllung des angekündigten Ganztagsanspruchs an den Grundschulen erfordert nach Berechnung der Behörde zusätzlich 220 Stellen, und das bei unveränderter Arbeitszeitregelung, die den Erzieher*innen so gut wie keine Zeiten für Vor- und Nachbereitung bzw. für Kooperation in den multiprofessionellen Teams lässt. Aufgrund des Fachkräftemangels werden in dem Papier auch reduzierte Versionen durchgerechnet, Bei nur 85% Abdeckung beträgt der Zusatzbedarf 143 Vollzeiteinheiten, bei 75% zusätzlich 100 Vollzeiteinheiten.

Ausbildungskapazitäten und Nachwuchsgewinnung

Die Daten aus der Universität Bremen zeigen auf, dass die Zahl der Abiturient*innen, die sich für ein Lehramtsstudium einschreiben, seit 2017/18 zurückgegangen ist. Sie sank im Primarbereich von 218 auf 144, für Oberschule/Gymnasium von 451 auf 301 und in der Beruflichen Bildung von 73 auf 41. Der Studiengang für Inklusive Pädagogik als Hauptfach wurde nach seiner Schließung 2006 im Studienjahr 2018/19 wieder neu eingerichtet und nimmt seitdem 20 bis 28 Erstsemester auf. Eine wesentliche Ursache für das Absinken dürfte in der gesunkenen Attraktivität des Lehrer*innen-Berufs liegen. Nicht zu vernachlässigen sind jedoch auch die mangelhaften Lehrkapazitäten, die dazu führen, dass viele Fächer zulassungsbeschränkt sind. In der Primarstufe sind dies Inklusive Pädagogik, Deutsch, Elementarmathematik, Englisch und Ästhetische Bildung. Für die Oberschule und das Gymnasium gibt es einen NC für Biologie, Chemie, Deutsch, Englisch, Ästhetische Bildung, Geographie, Geschichte und Politik-Arbeit-Wirtschaft. Die gesamten Erstsemesterzahlen gelten für das Bachelor-Studium. Die Kapazitäten für den anschließenden Master werden jeweils auf die Zahl und die Fächerkombinationen der Bachelor-Absolvent*innen abgestimmt. Die Zahl der Abschlüsse im Master ist seit 2018 ebenfalls gesunken (von 321 auf 230). In der Perspektive bedeuten diese Anfänger- und Absolventenzahlen, dass schon bald eine größere Zahl von Plätzen im anschließenden Referendariat nicht mehr besetzt werden kann.

Die Prognosen der Bildungsbehörde beschränken sich auf die Lehrer*innen-Ausbildung. Auf den zweiten Teil des Nachwuchsproblems geht die Darstellung nicht ein, nämlich die Erzieher*innen-Ausbildung. Und hier sieht es nicht besser aus. Die jährlich veröffentlichten Daten zeigen: Die Zahl der Schüler*innen im traditionellen Fachschul-Modell (zwei Jahre Vollzeit mit anschließendem Anerkennungsjahr) ist von 2018 bis 2022 von 246 auf 226 gesunken. Das neue duale Modell (drei Jahre Praxis mit Teilzeit-Schule) weist zwar einen Zuwachs von 43 auf 59 auf, konnte den Rückgang im Vollzeitmodell jedoch nicht kompensieren.

Aktuelle und geplante Maßnahmen der Bildungsbehörde

Im abschließenden Teil des Papiers stellt die Senatorin für Kinder und Bildung vor, welche Maßnahmen bisher eingeleitet wurden, um die Personalversorgung der Schulen aufrecht zu erhalten, und was in der nächsten Zeit geplant ist. Der erste Schritt war die – erst nach langem Drängen des Personalrats und der Gewerkschaft erfolgte – Aufstockung der Referendariatsplätze von 400 auf knapp 600. Parallel dazu wurde der Seiteneinstieg für Bewerber*innen mit akademischem Abschluss ohne pädagogisches Studium ermöglicht. Hier gibt es je nach den Voraussetzungen drei Varianten. Außerdem wird vermehrt auf die Einstellung von Bewerber*innen mit ausländischer Lehramtsqualifikation gesetzt. Die hohen bürokratischen Hürden wurden gesenkt. Sowohl für diese Gruppe als auch für die Seiteneinsteiger*innen gibt es große Aufgaben der Weiterbildung und Einarbeitung. Das stellt nicht nur das LIS und die Universität vor neue Anforderungen, sondern auch die Kollegien und die Schulleitungen. Diese Arbeit wird von ihnen in der Regel ohne ausreichende Entlastungen geleistet. Es bedarf daher dringend einer Ausweitung der Mentor*innen-Entlastungsstunden für die verschiedenen Varianten der Einarbeitung und Begleitung. Dem großen Mangel im Bereich der Sonderpädagogik versucht man durch einen seit Jahren laufenden Weiterbildungs-Studiengang für bereits tätige Lehrkräfte zu begegnen. Hier wurden einige Erfolge erzielt, u.a. deshalb, weil Entlastungsstunden für die Teilnehmer*innen gewährt wurden. Aber alle diese Maßnahmen reichen nicht aus, um den aktuellen und sich in Zukunft vergrößernden Mangel zu beheben. Es müssen neue Wege gegangen werden. Wie diese aussehen sollen, darüber gibt es unterschiedliche, ja sogar gegensätzliche Vorstellungen.

Die Pläne der Bildungsbehörde sind darauf konzentriert, die Wege zum Seiteneinstieg in den Schuldienst noch weiter zu öffnen, ergänzend dazu eine neue Beschäftigten-Gruppe zur Betreuung von Schüler*innen zu schaffen und die fachspezifischen Lücken durch Weiterbildungen für bereits eingestellte Lehrkräfte zu füllen. So sollen zunehmend „Ein-Fach-Lehrkräfte“ pädagogisch qualifiziert und eingearbeitet werden. Außerdem wird ein Berufsfeld „unterrichtsergänzende Tätigkeiten“ geplant, wobei die Qualifikationsvoraussetzungen und die Definition des schulischen Einsatzes noch unklar sind. Die Weiterbildungen für bereits Beschäftigte sollen insbesondere die Inklusive Pädagogik, Deutsch als Zweitsprache und Musik in der Grundschule zum Schwerpunkt haben. Im Verhältnis zu diesen ausführlich beschriebenen Not-Plänen fallen die Maßnahmen zur Gewinnung originärer, voll ausgebildeter Lehrkräfte relativ bescheiden aus. Im Wesentlichen geht es dabei um die Verbesserung der Übergänge zwischen Studium, Referendariat und Schuldienst. Ein kleines Modellprojekt in der gymnasialen Oberstufe mit 15 Schüler*innen soll der Berufsorientierung für das Lehramt dienen. Über das zweite große Problemfeld, das im Zusammenhang mit den Ganztagsplänen noch dringender wird, schweigt sich das Konzept aus: Die Gewinnung von mehr Erzieher*innen.

Was notwendig ist

Das Personalkonzept der Senatorin für Kinder und Bildung zeigt keinerlei Perspektiven auf, wie die Situation an den Schulen bis 2030 verbessert werden kann. Das Bildungsressort allein kann diese Aufgabe auch gar nicht lösen. Die Versäumnisse der letzten 15 Jahre wiegen schwer. Insbesondere die Vernachlässigung der Lehrer*innen- und Erzieher*innen-Ausbildung und die ständige Unterfinanzierung der Schulen haben eine Notsituation bewirkt. Aber sich in den nächsten Jahren nur mit Feuerwehr-Maßnahmen „durchzuwursteln“ bedeutet, den Bildungsnotstand für ein weiteres Jahrzehnt in Kauf zu nehmen. Der Fachkräftemangel an den Schulen ist mittelfristig nur zu beheben, wenn eine Reihe von aufeinander abgestimmten Maßnahmen von der Politik eingeleitet wird: Ohne eine verbesserte, ausgeweitete und besser finanzierte Ausbildung und ohne eine deutlich sichtbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen an den Schulen wird der Mangel über das Jahr 2030 hinaus fortgeschrieben.

Die Erstausbildung von Lehrkräften und anderen pädagogischen Fachkräften ist eine Aufgabe des Wissenschaftsbereichs. Der Senat ist gefordert, verbindliche Vereinbarungen mit den Hochschulen über den Ausbau der entsprechenden Studiengänge zu treffen und hierfür zweckgebunden finanzielle Mittel zuzuweisen. Das LIS ist so auszustatten, dass neben der Ausbildung der Referendar*innen die geplanten umfangreichen Weiterbildungen in guter Qualität durchgeführt werden können. Es bedarf zusätzlicher  Stundenentlastungen, die den Kollegien für die Unterstützung von neu Einsteigenden zur Verfügung gestellt werden – für die Betreuung der Studierenden in den Praxisphasen, für die Mentoren der Referendar*innen, für die Begleitung und Unterstützung der Seiteneinsteiger*innen. Darüber hinaus muss es weitere Entlastungsmaßnahmen für die Kollegien geben. Nur so kann an den Schulen ein Klima entstehen, das die Attraktivität der pädagogischen Berufe wieder erhöht.