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Diskussion

Verdacht, Rationalisierung und Wahn

Drei Versuche zur Kritik des Verschwörungsdenkens

Frankfurter Sky-line: Sie kommt in vielen Verschwörungstheorien vor. Foto: Werner Pfau

Die schlimmsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt.

Georg Christoph Lichtenberg

 

Gegen den grassierenden Verschwörungswahn der letzten Jahre meldet sich vermehrt Kritik zu Wort. Durch Rationalität soll seinem Treiben Einhalt geboten werden. Doch nähert so mancher Beitrag, anstatt Aufklärung zu liefern, sich der Staatsbürgerkunde an. Da lässt – exemplarisch -  die Bundeszentrale für politische Bildung 2018 einen Journalisten namens Max Muth mit folgender Herleitung zu Wort kommen: „Die Welt ist kompliziert. Krieg und Zerstörung, Finanzkrisen, Armut und Hungersnöte – vieles von dem, was auf der Welt passiert, ist schwer zu verstehen. Die meisten Menschen machen sich darüber nur wenige Gedanken. Verschwörungsgläubige dagegen suchen nach einem Grund für alles. Und die Theorien tun ihnen den Gefallen und liefern für eine chaotisch erscheinende Welt einfache Erklärungen.“

So oder in ähnlichem Duktus tönt es, wenn nicht auf allen, dann doch auf vielen Kanälen. Derartige Sentenzen setzen dem Verschwörungsdenken, das wahrlich Kritik nötig hätte, biedermeierliche Resignation als Rezept entgegen. Propagiert wird das Bild vermeintlicher Abgeklärtheit, die es aufgegeben hat, nach 'Gründen' zu suchen, da Gewalt und Armut einfach zu komplex sind, um jemals erschöpfend verstanden werden zu können. Nicht nur ist die Kur so schlimm wie die Krankheit, auch wird die Spezifik des Verschwörungswahns verfehlt, wo er zur Suche nach Gründen fürs Unergründliche verharmlost wird. Denn Ursachenforschung interessiert seine Adepten kaum: Sie verlangt es nach Schuldigen. Und einfach sind sind die aus diesem Bedürfnis geborenen Gedankenwelten ebenso wenig.

 

Erste Zurückweisung: Schlagwort Vereinfachung

Was immer als diabolischer Plan imaginiert wird, entspricht in der Regel nicht dem logischen Prinzip von Ockhams 'Rasiermesser', wonach unter gleich schlüssigen Erklärungsansätzen der einfachste zu bevorzugen sei. Im Gegenteil bedarf es einiger geistiger Kapriolen zur argumentativen Panzerung der jeweiligen Konstrukte. Corona ist das beste Beispiel: Am einfachsten wäre es allemal, anzunehmen, dass es sich um die Entstehung eines neuen Virus durch Mutation handelt. Die gegenteilige Annahme des Menschengemachten verkompliziert die Dinge eher, erfordert Folgekonstruktionen, um zu erklären, wieso die Macht, die das Virus im Labor gezüchtet haben soll (USA; Russland, Israel...), am Ende selbst von ihm betroffen ist; mit der Idee, es ginge um perfide Ablenkung der Massen oder das Etablieren neuer Überwachungstechnologien lassen sich derlei Widersprüche kreativ überbrücken, ohne Dazwischenkunft von so lästigen Dingen wie empirischen Belegen.

Man nehme die nationalistische Idee der 'Umvolkung': Tatsachen anzuerkennen, etwa dass Menschen vor Not oder Verfolgung flüchten, folgt simpler Beobachtung, ihre Flucht zum Element einer ausgeklügelten Invasionsstrategie zu verrätseln, zeugt allerdings von lebhafter Phantasie. Allein die Geheimhaltung all dessen, was ausgemalt wird, setzte einen unglaublichen Aufwand und Planung von langer Hand voraus; was an solchen Theorien 'einfach' sein soll, bleibt das Geheimnis von Muth und Gleichgesinnten. Denkt man in Kategorien psychischer Energie, erschiene es ohnehin am einfachsten, dem gesellschaftlichen Mainstream zu folgen, also das wiederzukäuen, was am Vortag in der Bildzeitung stand oder auf Facebook kursierte.

 

Zweite Zurückweisung: Titelentzug statt Kritik

Neuerdings ist ein Streit über die bloße Benennung des Phänomens entbrannt: In Bezug auf Verschwörungen soll man eher mit den Termini Phantasie oder Glauben operieren, wohingegen der deskriptive Begriff  'Theorie' widerrufen wird, als ob es sich um einen Ehrentitel handele, der geeignet wäre, Unbedarfte zu überrumpeln. Dies kommt von Leuten, die in der Regel kein Problem mit der Existenz theologischer Fakultäten an Universitäten haben und von denen auch kaum je ein Zweifel am Theoriecharakter postmoderner Ergüsse von Leuten wie Derrida oder Deleuze zu hören war. Wer andererseits einmal Auftritte von prominenten Exponenten der verschwörungstheoretischen Szene, etwa Ken Jebsen, verfolgt hat, dürfte festgestellt haben, dass dabei viel Wert auf den Schein von Wissenschaftlichkeit gelegt wird. Ihn gilt es solchen zu enthüllen, doch dafür muss man sich auf eine Widerlegung einlassen, anstatt den Verantwortlichen a priori das Recht aufs Seriosität verbürgende Attribut zu entziehen. Das vor jeder Prüfung verhängte Verdikt verfällt selbst in jenen Dogmatismus, den es an Verschwörungstheorien zu kritisieren vorgibt. Stattdessen gilt es zu analysieren, in welches Verhältnis die Elemente von Pseudowissenschaft, Phantastik und Glaube treten, wenn sie sich zum Verschwörungswahn verbinden.

 

Erster Versuch: Theorie als Rationalisierung

Jegliches ideologische Denken besteht in der Setzung von Prämissen, die selbst der Überprüfung entzogen sind, denen gleichwohl die ganze Welt subsumiert wird. Am Anfang der Verschwörungstheorie steht, als Differentia Spezifica, ein Verdacht. Er richtet sich auf eine Person oder Personengruppe, die für das Übel des Weltlaufs, eingebildetes oder reales, verantwortlich sein soll. Ist das Ressentiment gegenüber dem gewählten Objekt stark genug und der Verdacht entsprechend aufgeladen, finden sich 'Beweise'. Selektiv gewählte Fakten werden zur Anreicherung der 'Theorie' herangezogen, Widersprüche ausgeschaltet durch die Idee, sie seien Teil des perfiden Plans, ausgestreut zum Zweck der Diversion. Derlei Zirkelschlüsse dichten das Gedankengebäude ab. Eine 'Theoriebildung' solchen Typs dürfte dem verwandt sein, was in der Psychologie als Rationalisierung bezeichnet wird. Mögliches wird zu Wirklichem. In Kreisläufen der Selbstbestätigung stellt autosuggestiv sich Gewissheit ein.

 

Zweiter Versuch: Moderner Animismus

Der oder die Konspirateure gewinnen an Macht, wie kaum eine wirkliche Institution sie haben kann. Je übermächtiger sie gezeichnet werden, desto stärker gleicht solches Denken sich dem Wahn an; Analogien zur Gedankenwelt der Paranoiden kommen an dieser Stelle zu ihrem Recht. Die konspirative Gruppe wächst im Kopf des nunmehr Verschwörungsgläubigen zur gleichsam transzendenten Kraft heran. Schließlich landet der Verdacht, der sich in den Kokon seiner Theorie eingesponnen hat, bei glaubenstypischem Dezisionismus. Dem vormodernen Animismus gleichend, wittert der Erleuchtete hinter allem Übel das berechnende Tun von Individuen, die über der Wirklichkeit stehen, sie durchschauen und instrumentalisieren. Selbst wo es um Gruppen geht, geraten diese in solcher Perspektive zum jeweils kollektiven Individuum, indem unterschiedliche Anschauungen, Interessen, Ziele zwischen den Angehörigen der Gruppe getilgt werden. Das Musterbeispiel ist auch hier der Antisemitismus, für den der amerikanische Bankier wie auch die polnische Kommunistin gleichermaßen als Ausführende des großen Plans fungieren, sofern sie nur beide jüdischer Herkunft sind.

Der Historiker Wolfgang Wippermann siedelt den Ursprung verschwörungstheoretischen Denkens in antiken Vorstellungen an, wie sie u.a. der Gnosis eigen waren: Ihr erschien die Wirklichkeit als Schauplatz für den ewigen Kampf von Gut und Böse in göttlicher oder dämonischer Gestalt. Gelegentlich wird der Kult des Manichäismus zum Vergleich herangezogen. Derlei historische Parallelen mögen zutreffen, erklären jedoch nicht die Konjunktur von Verschwörungsphantasien in einer sich für aufgeklärt haltenden Moderne.

 

Dritter Versuch: Gesellschaftliche Dimensionen

Verschwörungsgläubige fallen einerseits, gemäß animistischer Logik, in vormoderne Denkformen zurück, insofern sie den Einfluss des Zufalls leugnen: Hinter allem hat ein Subjekt, in allem höhere Bedeutung zu stecken. Phantasien von jüdischer Brunnenvergiftung oder weiblicher Hexerei haben denn auch schon in mittelalterlichen Zeiten ihr Unwesen getrieben. Dagegen ist später die Aufklärung mit ihrer Kritik am Aberglauben zu Felde gezogen, Kant 1766 in seinen 'Träume(n) eines Geistersehers' oder Hegel 1807, gelegentlich seiner Abrechnung mit der Physiognomik. Dass zwei Jahrhunderte später die Begeisterung fürs Konspirative blüht, stellt nebenbei dem mittlerweile staatlich etablierten Bildungswesen, das sich in aufklärerischer Tradition sieht, kein gutes Zeugnis aus.

Die aufkommenden bürgerlich kapitalistischen Gesellschaften haben den Menschen zwar sukzessive aus persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen feudaler Art emanzipiert, doch an ihre Stelle traten abstraktere und anonymere Mächte, verkörpert in den Zyklen des Marktes, seinen Wirtschaftskrisen, des Zugriffs bürokratischer Apparate, all dies versachlicht in den vermeintlich unangreifbaren Gesetzen, die über sozialen Auf- oder Abstieg entscheiden. Zu den ersten, die das damit verbundene Unbehagen registrierten, gehört neben Max Weber die Frankfurter Schule. Leo Löwenthal schrieb 1948, im Zuge seiner Forschungen zu rechter Agitation in den USA über den Geisteszustand der dafür Empfänglichen: „...ihr Gefühl, ausgeliefert zu sein, wird dazu benutzt, den Glauben zu nähren, dass sie das Produkt einer permanenten Verschwörung seien.“

So entpolitisiert das Verschwörungsdenken wirkliche Herrschaftsverhältnisse zur stets nur betrügerisch aufgepflanzten Fassade, zum Mittel eines privaten Machtstrebens, das sich letztlich selbst Zweck ist. Die Konspirateure stehen quasi exterritorial zur Gesellschaft, prägen diese, ohne von ihr geprägt zu sein. Ihre Ausschaltung würde die Harmonie, deren das Ganze offenbar doch fähig ist, wiederherstellen. Der Verschwörungsglaube hat, und gebe er sich noch so kritisch, Störenfriede im Visier. Seine Systemkritik bleibt stets die Menschenjagd.

 

Nachtrag zu Marx

Entgegen anderslautenden Gerüchten wäre übrigens die Marxsche Theorie ein Antidot gegen den  Verschwörungswahn. Marx verwendet, unter anderem in den Ausführungen zum 'Warenfetisch', keine geringe Energie auf den Nachweis, dass das Vertrauen auf die segensstiftende Wirkung des Profitprinzips und andere gesellschaftliche Ideologien aus den Erscheinungsformen von Geld und Ware herrühren. Nicht etwa manipulativer Priestertrug sondern Alltagserfahrungen im Umgang mit dem Markt, von dem man abhängig ist, sind ihr Springquell. Wer sein Wohl verfolgt, muss sich in die Konkurrenz begeben, die ihm ihre Gesetze mehr oder weniger – bei 'Strafe seines Unterganges' – aufzwingt. Das gilt ausdrücklich auch für diejenigen, die im Dienst des Kapitalwachstums leitend tätig sind – der Begriff der Charaktermaske bringt dies auf den Punkt. Marx schreibt: „Zur Vermeidung möglicher Missverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt (…) den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.“ Wer Kapitalismuskritik mit der Klage über egoistische 'Heuschrecken' verwechselt, ist jedenfalls näher am Verschwörungswahn als an Marx.