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„Unter den gegebenen Bedingungen wäre ein Sondervermögen die beste Lösung“

Interview mit Prof. Rudolf Hickel

Immobilien Bremen hat im Haushaltsausschuss einen Bericht vorgelegt, demzufolge der Sanierungsbedarf der Bremer Schulen ca. 675 Mio. € beträgt. Welche Möglichkeiten hat das Land Bremen, diese riesige Aufgabe zu lösen?

Am Anfang steht die klare Feststellung, dass die Aufgabe zügig gelöst werden muss. Die 675 Mio. € sind eher vorsichtig geschätzt. Gut finde ich, dass die Sanierungsbedarfe projektbezogen, von den einzelnen Schulen her berechnet worden sind. Da wird keine heiße Luft produziert. Die Politik muss erstens anerkennen, dass dieser Sanierungsbedarf zügig angegangen werden muss. Zweitens ist aber auch klar: In den bremischen Haushalten bis 2019 gibt es kaum finanziellen Spielraum für diese Sonderausgaben. Die beiden Haushalte 2018 und 2019 stehen unter dem Druck, die Neuverschuldung auf null zu führen. Wenn das nicht gelingt, gibt es die Sanierungshilfe mit 300 Mio. € pro Jahr zur Unterstützung des Schuldenabbaus nicht aus Berlin.  Ab 2020 sieht das anders aus. Dann verfügt das Land Bremen auch Dank des erfolgreichen Engagements des Bremer Senats pro Jahr über 480 Mio. €, von denen ein Teil jedoch in den Schuldenstandabbau fließen muss. Also, die Schuldenbremse dominiert die Haushaltspolitik. Die Sanierungsmittel für die Schulen sind nicht über die Aufnahme von Krediten finanzierbar. Das ist eigentlich ein finanzpolitischer Witz. Denn wenigstens die Ersatzinvestitionen zum Erhalt des öffentlichen Kapitalstocks dürfen über Kredite finanziert werden.

Also muss sich der Senat erstens zu der Aufgabe bekennen und zweitens Möglichkeiten suchen, sie zu finanzieren. Zu fordern, die Schuldenbremse abzubauen, ist im Prinzip richtig. Aber die aktuelle Forderung aus Bremen, auch noch im Alleingang, wäre sinnloser Populismus. Deshalb müssen intelligente Modelle zur Finanzierung unter dem Deckel der Schuldenbremse gefunden werden. Dabei ist für mich aus der Sicht unabdingbarer staatlicher Funktionserfüllung wichtig, die Entscheidung in der Kompetenz des öffentlichen Haushaltes zu realisieren. Denn es geht um fundamentale öffentliche Aufgaben, die auch demokratisch zu kontrollieren sind.

Welches sind die Optionen jenseits der Schuldenbremse? Die erste Möglichkeit wäre, dass ein Teil der Finanzierung vom Bund kommt, da ist ja einiges in Bewegung durch das neue kommunale Investitionsprogramm. Man bräuchte eigentlich stärkere Unterstützung aus Berlin. Vor allem ist das rigorose „Kooperationsverbot“ in Bildungsfragen zwischen dem Bund und den Ländern vom Tisch, das damals übrigens von einem namhaften Bundestagsabgeordneten aus Bremen propagiert worden ist.

Die zweite Möglichkeit, die ich sehe, ist die Gründung eines Sonder-Investitionsfonds, eines „Sondervermögens Schulbau und -sanierung“, das als eigene Gesellschaft aus dem offiziellen Haushalt ausgegliedert ist und vor allem Zugang zum Kreditmarkt hat. Solche Sondervermögen hatte Bremen in der Vergangenheit mehrfach. Sie sind durch die Finanzsenatorin soweit wie möglich abgeschafft worden. Die berechtigte Kritik war, dass unkontrollierte und intransparente Schattenhaushalte entstanden sind. Die Intransparenz muss verhindert und Kontrolle gesichert werden. Aber es ist das einzige Instrument, mit dem sich der Staat den Zugang zum Kapitalmarkt schaffen kann. Schließlich werden öffentliche Infrastrukturinvestitionen möglich, die durch die Schuldenbremse verhindert werden. Alle sind sich einig, dass der dadurch entstandene Sanierungsstau abgebaut werden muss. Wenn die Handelskammer die Kreditaufnahme ablehnt, dann muss sie sagen, ob die auch aus ihrer Sicht zentrale Aufgabe Sicherung einer zukunftsfähigen Bildung durch Steuererhöhungen – etwa der Gewerbesteuer – finanziert werden soll. Die Flucht in die Forderung nach Ausgabensenkungen ist unseriös. Zum einen sind öffentliche Ausgaben in den letzten Jahrzehnten bereits gekürzt worden. Zweitens müssen dann die Kürzungsbereiche für eine Gesamtsumme von über 670 Mio. € im Schulbereich auch politisch genannt werden. Also, wenn man ein Sondervermögen öffentlich gut kontrolliert und auch innerhalb des Haushaltsplans öffentlich darüber berichtet, dann ist das zurzeit das einzige Instrument, um die öffentliche Aufgabe verantwortungsvoll unter Nutzung der Kreditfinanzierung zu erledigen.
 

Was spricht grundsätzlich dafür, eine solche Aufgabe über Kreditfinanzierung zu lösen?

Ich bin aus ökonomischen und finanzwissenschaftlichen Gründen ein strikter Gegner der Schuldenbremse. Damit wurde dem Parlament der finanzwirtschaftliche Verstand abgesprochen. Da mag ja gelegentlich etwas dran sein. Aber die Entscheidung über begründete Ausgaben und deren Finanzierung steht dabei nicht am Anfang. Vielmehr wird Haushaltspolitik vom Prinzip des Neuverschuldungsverbots aus gedacht. Vor dieser Schuldenbremsenmanie stand im Art. 115 des Grundgesetzes, dass öffentliche Investitionen über Kredite sinnvollerweise zu finanzieren sind. Dieser Grundsatz basiert auf einem betriebswirtschaftlich zutiefst vernünftigen Gedanken: Wenn ein Unternehmen in Bau-und Ausrüstungsinvestitionen sowie in die Software investiert, dann ist es geradezu betriebswirtschaftlich geboten, Kredite aufzunehmen. Die später profitablen Investitionen bringen Erlöse, aus denen die Zinsausgaben und die Tilgung des Schuldendienstes finanziert werden. Wenn man so will: die nächste Generation dieser Firma hat die ökonomischen Vorteile und wird deshalb auch an der Finanzierung über den Kapitaldienst beteiligt. Niemand käme auf den Vorwurf, die heutige Unternehmensgeneration vererbe verantwortungslos eine Schuld an die künftige Unternehmensgeneration.

Dieser betriebswirtschaftliche Finanzierungsgrundsatz ist auf den öffentlichen Sektor übertragbar. Wenn wir über Investitionen in die Bildungs-Infrastruktur die Gesellschaft reicher machen, dann liegt die gesellschaftliche Rendite auf der Hand. Die Folgen sind spätere Mehreinnahmen durch Steuern. In der finanzwissenschaftlichen Literatur ist daher vom „investment approach“ im Rahmen der staatlichen Haushaltsfinanzierung die Rede. Dahinter steckt auch das betriebswirtschaftliche Prinzip intergenerativer Last- und Vorteilsverteilung. Wenn die Investitionen einen Beitrag zur gesellschaftlichen Produktivitätssicherung leisten - und davon kann bei der Bildung ausgegangen werden – dann profitiert davon die kommende Generation, die später in Arbeit geht und Steuern zahlt. Sie ist der Nutznießer der heutigen öffentlichen Investitionen und wird deshalb über Steuern an der Finanzierung beteiligt. In der künftigen Generation gibt es allerdings das sattsam bekannte Verteilungsproblem. Vor allem in früheren

Hochzinsphasen erwarben die Vermögenden Staatsschuldtitel und bezogen die staatlich finanzierten Zinsen. Dagegen wurden die Zinsausgaben etwa aus der Lohnsteuer der Beschäftigten oder der Mehrwertsteuer finanziert. Dieses Verteilungsproblem, das heute in der Niedrigzinsphase an Schärfe verloren hat, muss die kommende Generation lösen – etwa durch eine stärkere Besteuerung der Einkommens- und Vermögensstarken.

Jedenfalls ist der politisch dümmste Satz, mit dem die Schuldenbremse begründet wird, der Behauptung von den Lasten, die mit der Schuldenaufnahme an künftige Generationen vererbt werden. Spiegelbildlich dazu lebe die heutige Generation wegen dieser Lastverschiebung ins Saus und Braus. Was für ein Blödsinn, der dann auch noch mit dem frauenfeindlichen Vergleich eines staatlich seriösen Haushalts mit der „schwäbischen Hausfrau“ zu rechtfertigen versucht wird.  Dabei ist die Rolle des Staates in der Gesamtwirtschaft nicht mit diesem mikroökonomischen Reduktionismus zu erfassen. Was wir mit derart abstrusen Phantasien aus der Welt des Neoliberalismus erzeugen, sind doch schwere Entwicklungsdefizite der Gesellschaft. Wir sehen auch in Bremen die negative Auswirkung: Die Neuverschuldung wurde abgebaut und es wurde zu wenig in die Bildungsinfrastruktur investiert. Und jetzt haben wir einen Sanierungsstau, der die kommende Generation mangels infrastruktureller Ausstattung belastet. Die Politik, die verspricht, der kommenden Generation keine monetären Schulden zu hinterlassen, vererbt meistens schwere gesellschaftliche Defizite an die nächste Generation. All dies sind starke Argumente, die für die Abschaffung der Schuldenbremse sprechen.

Es gibt ein einziges Gegenargument, dass berücksichtigt werden muss: In der Vergangenheit war die Politik oft nicht in der Lage, das Instrument der Verschuldung vernünftig einzusetzen. Wegen des Verzichts auf Steuererhöhungen sind oftmals ohne Widerstände auch unsinnige Ausgaben kreditfinanziert worden. Ein schlimmes Beispiel lieferte die rot-grüne Steuerpolitik der Schröder/Fischer-Bundesregierung Anfang 2000. Die Steuersätze der Unternehmenswirtschaft wurden massiv gesenkt. Der versprochene Investitions- und Wachstumsimpuls ist ausgeblieben. Am Ende stiegen die Staatsschulden. Eine schuldenfinanzierte Steuersenkungspolitik ist unverantwortlich. Auf dem Hintergrund dieser Missgriffe bleibt es dabei: Kreditfinanzierte Investitionen sind rational, wenn auch kontrolliert wird, dass sie der Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Basis dienen.

Staatliche Kreditfinanzierung muss auch auf dem Hintergrund der Frage, wer investiert und wer spart beantwortet werden. Klassischerweise bilden die privaten Haushalte Sparüberschüsse, die von den Unternehmen und dem Staat im Rahmen der Kreditfinanzierung abgeschöpft und der Gesamtwirtschaft per Ausgaben wieder zugeführt werden. Zurzeit haben wir das Problem: Die privaten Haushalte bilden jährlich ca. 170 Mrd. Überschuss. Früher haben Staat und Unternehmen diesen Überschuss als Kredite übernommen. Jetzt hat sich der Staat zurückgezogen und bildet selbst Überschüsse, d.h. er spart. Gleichzeitig setzen die Unternehmen vermehrt ihre hohen einbehaltenen Gewinne zur Finanzierung ein. Die Unternehmenswirtschaft fällt als Kreditabschöpfer aus. Im Gegenteil, die Unternehmen sparen in wachsendem Ausmaß auch. Dadurch wird die Gesamtwirtschaft belastet. Die Transformation der Überschüsse durch volkswirtschaftliche Ausgaben stockt. Diese Lücke vermag der Staat durch kreditfinanzierte Infrastrukturinvestitionen zu bekämpfen. Auch deshalb ist die Schuldenbremse gesamtwirtschaftlich ein Fehler. Wäre sie wieder überwunden, dann hätte auch der Stadtstaat vermehrten Spielraum für eine generationengerechte Politik. Derzeit sind wird dazu verdammt, einen Weg unterhalb der Schuldenbremse zu finden, mit dem die Finanzierung des Sanierungsbedarfs von Schulen im Zweitstädtestaat möglich wird.

 

Diejenigen, die die Schuldenbremse verteidigen, empfehlen gleichzeitig öffentlich-private Partnerschaften für diese Aufgaben.

Unsere Finanzsenatorin Karoline Linnert hat zu Recht im Interview im Weser-Kurier davor gewarnt, unter dem Druck durch die Schuldenbremse auf „Auswegfinanzierungen“ umzusteigen. Denn die Schuldenbremse erhöht den Zugriff auf Finanzierungsmodelle mit privaten Investoren. Da gibt es zwei Modelle: Das radikalste, das in Deutschland zum Glück bisher noch niemand praktiziert, das den Schulbau zum Immobilienprojekt erklärt und einem privaten Immobilienfonds übergibt. Damit würde er zum Spekulationsobjekt. Das zweite Modell ist eine Zwischenform: die „öffentlich-private Partnerschaft“ (ÖPP). Wir haben ganz viele negative Beispiele, welche Konsequenzen dieses Modell haben kann. Das berühmteste Beispiel ist die Stadt Offenbach, der nach 13 Jahren die Rückkehr in den kommunalen Haushalt erschwert wird. Wir sehen die Folgen auch beim Autobahnbau, z.B. bei der A1 Bremen-Hamburg. Das Geschäft scheint ganz einfach. Der private Partner baut das Objekt, finanziert es vor und bekommt 20 oder 25 Jahre das Eigentumsrecht. In dieser Zeit muss der Staat als Nutzer Miete zahlen. Und hier besteht das Problem, dass dieses Geschäftsmodell oft nicht aufgeht und der Druck der Mieterhöhung entsteht. Die Rechnungshöfe haben bei ihren Überprüfungen dieser Art von Projekten festgestellt, dass sie letztlich teurer und vor allem nicht gestaltbar sind.

 

Und nach 25 Jahren sind diese Schulen schon wieder sanierungsbedürftig.

Das ist ein weiteres wichtiges Argument. Die Rationalität des privaten Geschäftsmodells besagt, die Kosten niedrig zu halten. Es besteht dort gar kein Interesse an einer Nachhaltigkeit der Baumaßnahmen über die 20 Jahre hinaus. Denn dann sind die Investoren raus. Und die Erwartung auf hohe Renditen eines Immobilienfonds bergen immer das Risiko von Mieterhöhungen. Die Infrastrukturinvestitionen müssen bei dem bleiben, der sie finanziert: dermStaat. Ich plädiere – wie gesagt - für ein staatliches Sondervermögen mit Zugang zu den Kreditmärkten und Übergabe der Gesamtkompetenz an „Immobilien Bremen“, eine Anstalt des öffentlichen Rechts.  Aber diese braucht eine deutlich bessere Personalausstattung. Oft werden ÖPP-Projekte damit begründet, dass beim Staat die qualifizierten Mitarbeiter fehlen. Diese Diskussion gibt es auch in Bremen. Damit schiebt man die Verantwortung für alle ungelösten Probleme „Immobilien Bremen“ zu und verschweigt, dass man dort unter dem Einspardruck Personal abgebaut hat, das jetzt dringend benötigt wird. Jetzt wird aus dieser politisch geschaffenen Not auf die Privatisierungsideologie gesetzt. Natürlich hat „Immobilien Bremen“ heute Probleme bei der Suche nach Fachkräften. Auch nimmt die Konkurrenz um Fachkräfte in diesem Bereich mit der Privatwirtschaft zu. Aber, es ist ärgerlich, jetzt zu sagen die Anstalt sei zur Erfüllung der Aufgaben „unfähig“, wenn man sie unfähig gehalten hat.

 

Wie beurteilst du das Berliner Modell?

In Berlin wird bei der HOWOGE, einer Wohnungsgesellschaft, die zu 100% im Besitz des Landes ist, eine Tochter für die Investitionen im Schulbereich gegründet. Deren Vorteil, sie kann am Kapitalmarkt Kredite besorgen. Damit wird gegenüber einer radikalen Privatisierungsvariante vermeiden, den Schulbau zum Spekulationsobjekt zu küren. Aber auch hier wird – wie bei ÖPP-Projekten - das Eigentum für 20 bis 25 Jahre übergeben und dieses in dieser Zeit vom Senat angemietet. Dabei entsteht entweder das Risiko der zu zahlenden Miete oder aber der Überwälzung von Kosten auf die Mieter im Hauptgeschäft. Dieses Berliner Modell sollte man nicht verteufeln, aber man sollte die Risiken diskutieren. Wenn man in Bremen ähnlich vorgehen und die GEWOBA beauftragen würde, dann müsste diese ebenso wie die HOWOGE eine komplett neue Abteilung aufbauen, die für den Schulbau kompetent ist.

 

Die Bundesregierung bevorzugt ÖPP-Modelle. Kann es passieren, dass sie über den Sanierungsbeirat Bremen verbietet, ein Sondervermögen zu gründen?

So etwas könnte versucht werden, wäre aber ein ungerechtfertigter Eingriff in die Haushaltskompetenz Bremens. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass die Diskussion über die Folgen der Schuldenbremse inzwischen in ganz Deutschland geführt wird. Wir leben nicht mehr auf einer Insel, die haushaltspolitisch „Exotisches“ verlangt. Alle Länder merken, dass sie durch die Schuldenbremse ein Finanzierungsproblem für die Infrastruktur haben. Nicht umsonst erwähnt Karoline Linnert in ihrem Interview, dass es darüber inzwischen eine Diskussion unter den Ländern gibt. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn wenigstens die Ersatzinvestitionen aus dem Regime der Schuldenbremse herausgenommen würden.

 

Vielen Dank.

Die Fragen stellte Jürgen Burger