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Schwerpunkt

Unsere Null-Tage-Feier mit Masken

Arbeit ohne Ausgleich: Das Corona-Abitur

Foto: Karsten Krüger

Mein Abitur habe ich in einer Blase geschrieben. Kapazitäten, Gesprächsthemen in und außerhalb des Unterrichts, alles genau getaktet. Was Schule in der Abschlussphase zur Qual machte, ist Blase Nummer zwei: Corona. Denn natürlich sind die letzten Schulwochen nicht nur Arbeit, sondern auch der Übergang zu einer neuen Lebensphase. Leben ohne Schule ist kaum begreifbar, trotzdem ist die Freude über die letzte Stunde Matheunterricht ziemlich real. Große Emotionen müssen ausgelebt werden. Neben der ganzen Lernerei ein bisschen Ungezwungenheit, ein bisschen Tschüss sagen, Pläne für die Zukunft schmieden. Denn einen Gegenpol brauchen wir.

Reduziert auf den Schulalltag

Durch Corona fällt dieser Ausgleich weg. Freizeitaktivitäten, Urlaube, Kneipenbesuche, Abschiedsfeiern: Abgesagt wegen hoher Inzidenzen. Ein Leben reduziert auf den Schulalltag. Uns wachsen Scheuklappen. Gesellschaftspolitisch werden wir ausschließlich als Schüler*innen mitgedacht. Es wird darüber debattiert, ob der Schaden, der während Corona für Schüler*innen entsteht, durch Distanzunterricht oder Regelbeschulung größer wird. Aber fast nie, welche Schäden entstehen, wenn wir ein Jahr lang unseren Hobbys nicht nachgehen dürfen. Solidarität fordern, aber kritisieren, wenn junge Menschen traurig sind, seit zwei Jahren nicht feiern gewesen zu sein.

Kursfahrt mit Folgen

Wir versuchen, das Beste daraus zu machen: Unsere Null-Tage-Feier findet auf dem Schulhof mit Masken statt. Auf Kursfahrt fahren wir trotzdem. Pandemisch betrachtet keine gute Idee: Kurz vor den Prüfungen steckt sich der halbe Jahrgang an, kann nicht lernen. Die Direktorin schlägt Distanzunterricht vor, letztendlich kommt es doch nicht so weit. Trotz berechtigter Bedenken tut die Vorstellung weh, die letzte Schulwoche zu Hause zu verbringen. Ohne Abschied. Und ohne persönliche Prüfungsvorbereitung.

Ganz zu schweigen von Schüler*innen, die keinen eigenen Arbeitsplatz, kein konstantes WLAN haben. Wer kümmert sich um die? Viele können sich schlechter konzentrieren, verlieren ihren Antrieb, bekommen Depressionen. Wegen psychischen Problemen müssen einige die Schule im letzten Jahr verlassen.

Probleme sind strukturell

Die Schulen sind kaum ausgerüstet, Corona zu begegnen. Meinen Lehrer*innen mache ich keine Vorwürfe. Ich weiß, wie sehr sie sich bemüht haben, uns durch die Pandemie zu lotsen. Die Probleme sind strukturell. Es fehlen geschultes psychologisches Personal, angemessene Kompensationen, Kürzungen der Abiturthemen, Förderung von Freizeitaktivitäten. Ein Bewusstsein für die Einschränkungen junger Menschen. Eine halbe Stunde Zeitzuschlag in den Abiturprüfungen ist zwar nett, ändert jedoch nichts an den strukturellen Problemen, die bereits vorher auftreten.

Vor einer halben Woche war Abiturzeugnisvergabe. Wegen Gewitterwarnung drinnen statt auf dem Schulhof. Frisch getestet tragen wir Masken, während wir auf die Bühne gerufen werden. Unsere Eltern nicht immer. Mundschutz im schulischen Kontext sind sie nicht gewohnt. Wir schon. Die Abiturprüfungen haben wir mit Maske geschrieben. Obwohl nicht explizit verpflichtet dazu, kam niemand nach zwei Jahren Unterricht mit Mundschutz auf die Idee, nun eine Ausnahme zu machen. Und bloß kein Corona vor der mündlichen Prüfung bekommen. Die Abiturvergabe fühlt sich fast surreal an. Nach zwölf Jahren Schule feierlich eine Rose und ein Zeugnis in die Hand gedrückt bekommen, alle klatschen, ein Jahrgangsfoto, das war‘s.

Die Abiturblase ist geplatzt. Die Coronablase auch – fast. Endlich neue Themen. Zurückzudenken fällt mir schwer. Abitur in der Pandemie hat keinen Spaß gemacht. Deshalb ist es so herausfordernd für mich, diesen Artikel zu schreiben. Ich versuche es trotzdem.