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50 Jahre Berufsverbote

„Ungenügend“ statt „Sehr gut“

Wie ein Berufsverbot erfolgreich verhindert wurde

Mai 1973: Gerade hatten die beiden Gutachter zum Abschluss der Zweiten Lehrerprüfung meine Examensarbeit mit der Note „Sehr gut“ bewertet, da erklärte der Oberschulrat als Prüfungsvorsitzender seinen Widerspruch wegen „verfassungsrechtlicher Bedenken“. In der Folge benotete das Landesprüfungsamt einige Monate später die Arbeit mit „Ungenügend“ um. Begründung: Ich hätte meine Schüler*innen „indoktriniert“, Teile der Arbeit seien „verfassungsfeindlich“, insbesondere die Forderung, „nach Überführung von Produktionsmitteln in sozialistisches Eigentum“. In der Öffentlichkeit wurde sehr schnell Bezug genommen auf den 1972 von den Ministerpräsidenten und Bundeskanzler Willi Brandt beschlossenen „Extremistenbeschluss“. Eltern meiner Schüler*innen und Kolleg*innen protestierten in Leserbriefen und Zeitungsannoncen gegen diese Maßnahme und machten deutlich, dass es eigentlich um Behrens Mitgliedschaft in der DKP gehe. Vehement wiesen Magistrat und der Bildungssenator Thape in einer „7 Punkte Erklärung“ diesen Verdacht zurück und behaupteten, dass die Mitgliedschaft keine Rolle spielen würde. Doch diese Haltung „korrigierten“ sie bald.

„DKP Mitgliedschaft reicht!“

1975: Schnell griff der Bremerhavener Magistrat den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts im „Berufsverbotsfall Anne Lenhard“ auf, das neben „körperlicher Behinderung“ und „intellektueller Unfähigkeit“ auch wegen Zugehörigkeit „zu einer verfassungsfeindlichen Partei“ ein Bewerber für den öffentlichen Dienst als „ungeeignet“ abgewiesen werden kann. Der Magistrat veranlasste meine Entlassungsverfügung. Dagegen legte ich beim Verwaltungsgericht Bremen Widerspruch ein. Personalrat und Einigungsstelle widersprachen ebenfalls erfolgreich. Nun versuchte der Magistrat auf dem dienstrechtlichen Weg sich durchzusetzen und ordnete „den sofortigen Vollzug der Entlassung“ an. Auch dieses Ansinnen wies das Verwaltungsgericht zurück.

Nach zehn Jahren zum Beamten auf Lebenszeit ernannt

1979: Seit 1973 erlebte ich starke solidarische Unterstützung von vielen Personen, Organisationen und Einrichtungen, nach anfänglichen Auseinandersetzungen auch von der GEW und natürlich von den Komitees gegen Berufsverbote. Letztere hatten sich mittlerweile in vielen Städten gebildet und gaben dem Widerstand gegen diese drohende antidemokratische Entwicklung ein Gesicht. Vielfältige Aktivitäten wie Unterschriftenlisten, großformatige Zeitungsanzeigen, öffentliche Protestaktionen, aber auch Gutachten renommierter Pädagogen und Wissenschaftler trugen maßgeblich dazu bei, dass der Bremerhavener Magistrat im März 1979 seinen Widerspruch gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zurücknahm, die noch laufenden Disziplinarmaßnahmen einstellte und mich zum Beamten auf Lebenszeit ernannte.

50 Jahre danach

Vorweg erst einmal die Gewissheit: Ich hatte Glück, dass ich 1972 bereits im vierten Jahr als Lehrer arbeiten konnte. Somit auch solidarische Unterstützung durch Schüler*innen, Eltern, Kolleg*innen viel leichter zustande kam als für diejenigen, denen in den folgenden Berufsverbotsjahren die Einstellung in den Schuldienst bzw. öffentlichen Dienst verweigert wurde. Zum andern begünstigte die Besonderheit „meines Falles“ eher Öffentlichkeit als die späteren Fälle mit der nun neuen Praxis von Regelanfragen, Anhörungen und „Vorfeldbespitzelung“.

Auch heute finde ich mein damaliges Vorhaben, ein Unterrichtsprojekt mit jungen Schüler*innen zu einem relevanten Inhalt („Arbeit“) mit (damals) neuen unterrichtlichen Formen und Methoden unter Einbeziehung der Eltern (Partizipation) zu entwickeln richtig und als pädagogische Herausforderung auch nach einem halben Jahrhundert noch lohnend. Dabei würde ich allerdings meinen damaligen Ansatz, dieses Projekt insbesondere herzuleiten aus den Erkenntnissen einer marxistisch orientierten Wissenschaft heute sicher vielfältig erweitert werden, z.B. durch neue Erkenntnisse von Hirn- und Lernforschung, durch die Anforderung von Inklusion. Offen für mich bleibt dabei aber, ob einer der zentralen Ausgangspunkte meiner Arbeit, die „Parteilichkeit“ des Lehrers, der Lehrerin bzw. der pädagogischen Mitarbeiter*in legitim ist und wie diese heute zu definieren sei. Da setze ich auf Fragen und Antworten der neuen Generationen der im Schuldienst Tätigen und freue mich über jede Anregung und pädagogische Weiterentwicklung.

Konkrete Verhalten als Leitlinie

Dass darüber hinaus sich allen Formen ungerechter Disziplinierung, antidemokratischer Bespitzelung und Berufsverboten zu widersetzen ist, finde ich selbstredend. In diesem Zusammenhang ist auch nicht hilfreich, wenn die Ampel-Regierung in der Koalitionsvereinbarung andeutet, dass sie mit einem ähnlichen, allgemeinen Instrumentarium versuchen will, dieses Mal rechte Kräfte aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten oder sie zu entlassen. Meines Erachtens kann nur das jeweils konkrete, gegen das Grundgesetz verstoßende, Verhalten die Leitlinie für Sanktionen oder auch für Entlassungen sein.