Zum Inhalt springen

Schwerpunkt

Undenkbares wird zur Normalität

Andrea Röpke und Britta Rohlfing kennen sich mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus und den Folgen für die Bildung gut aus. Ein bildungsmagaz!n-Interview.

Wie groß ist derzeit die Gefahr von Rechts? International, in Deutschland und regional?

In den USA übernimmt mit Trump jemand die Macht, der offen mit der Diktatur liebäugelt. Er ernennt zukünftige Minister und Ministerinnen, die Demokratie, Klima- und Umweltschutz und offenes Miteinander verachten. Die Wählerschaften weltweit folgen scheinbar lieber reichen Antidemokraten, die unsoziale Politik machen, als denen, die sich den komplizierten Herausforderungen ehrlich stellen wollen. Es steht zu befürchten, dass die AfD auch ohne große Mühe als Siegerin bei der kommenden Bundestagswahl hervorgeht.

Sie befürchten also, dass sich nach dem 23. Februar der Rechtsruck fortsetzt?

CDU, BSW und FDP rücken ebenfalls bedenklich nach rechts. Sie sind es, die sich zu rechtsextremen Handlangern machen und die menschenverachtenden „Remigrationspläne“ und deren Träume von der „Festung Europa“ quasi mitumsetzen. Das Stimmungsbild in der Bevölkerung ändert sich zugunsten der Rechten, wir nehmen vor Jahren noch Undenkbares inzwischen als normal hin: Holocaust-Relativierung, Essensentzug und Inhaftierung von Geflüchteten, Autoritätssehnsüchte. Eine große Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat stellt zudem die Tatsache dar, dass immer mehr Menschen aus Polizei, Bundeswehr und Justiz mit verfassungswidrigen Zielen der AfD sympathisieren. 

Wie ist Ihre Haltung zu einem möglichen Verbot der AfD?

Zur Rettung der Demokratie benötigen wir ein Verbot der AfD. Diese Partei radikalisiert sich unter den Augen der Bevölkerung, kein Skandal scheint sie aufzuhalten. Im Gegenteil, je demokratiefeindlicher und aggressiver sie auftritt, desto mehr Menschen verbünden sich mit ihr. Es wurde zu lange unterschätzt, dass die AfD sich als Teil einer bundesweiten rechten Widerstandsbewegung sieht. Die Verfassungsschutzbehörden haben ihr Übriges dazu beigetragen, dass sie immer noch nicht in Gänze als rechtsextremistisch gekennzeichnet wird. 

Eine gefährliche Verharmlosung?

Ja. Die Verharmlosung leistet der Ausbreitung rechter Radikalität Vorschub. Die AfD ist bereits stärkste Partei in den ostdeutschen Bundesländern, im Westen legt sie rasant zu. Sie professionalisiert sich, hat über 8500 Mandate in Kommunalparlamenten bundesweit und greift ganz empfindliche Stellen der Demokratieerhaltung ungeniert an. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer warnt seit Langem vor einer Entdemokratisierung der Bevölkerung und davor, dass die AfD die autoritäre Wiederherstellung von Kontrolle anstrebt. Björn Höcke sagt in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ ganz offen, dass man nicht um eine Politik der „wohltemperierten Grausamkeit“ herumkommen werde, moralische Empfindungen verdrängen solle und bei einem „großangelegten Remigrationsprojekt“ leider ein paar „Volksteile“ – er nennt „20 bis 30 Millionen“ – verlieren werde. Trotz allem wird rechter Widerstand schick, reiche Unterstützende positionieren sich immer offener. Die AfD wird sich durch Regierungsbeteiligung und politische Verantwortung nicht entzaubern, sie wird schleichend oder abrupt die Macht an sich reißen. Das dürfen wir nicht zulassen!

Ist die tolerante Gesellschaft hilflos gegen die Intoleranz und den Hass?

Nicht hilflos, aber uns fehlen schnelle und sinnvolle Konzepte, dagegen an zu gehen. Die Demokratie ist stark, stellt sich aber erstaunlich wenig wehrhaft gegen rechtsextreme Vereinnahmung. Es gibt wunderbare Initiativen von Menschen, die sich engagieren. Die „Omas gegen Rechts“ sind eine völlig heterogene Struktur, die vor allem das gemeinsame Ziel eint. Sie finden enormen Zulauf. Aber alles geschieht zu langsam, zu zögerlich. Letzlich müssen wir zusehen, wie andere Parteien, die gefährliche Politik der AfD mit vorantreiben, wie viele Medien und Redaktionen sich zu Erfüllungsgehilfen machen, wenn sie ihre Nachrichten- und Berichterstattung wie von denen gewollt immer nur auf Hetzthemen beschränken, ganze Pressemitteilungen der AfD ungeprüft übernehmen. Die Kriminalisierung von engagierten Klimaschützer*innen und Antifaschistinnen, der Hass auf grüne Politik wird so mitgetragen. Das Demokratiefördergesetz und viele andere wichtige Projekte wurden nicht durchgesetzt, damit fallen wichtige finanzielle Unterstützungen weg. Jugend- und Kultureinrichtungen fielen den Kürzungen, aber auch den Blockaden der FDP zum Opfer. Wir zerstören so unsere eigenen demokratischen Widerstandsstrukturen gegen Rechts. Das sollte endlich klar werden, wir engagieren uns für Aufklärung, erreichen aber leider viel zu wenig Menschen.

Gerade die Rechten nutzen soziale Netzwerke professioneller als andere? Eine große Gefahr für die Demokratie?

Martin Sellner, der Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung glaubt, dass sich durch gezielte Kampagnenarbeit von Rechts – vor allem durch die „Sozialen Medien“ - bereits in etwa drei Jahren das Stimmungsbild in der Bevölkerung zu ihren Gunsten entwickeln wird. Die Rechtsextremen greifen die Öffentlich-Rechtlichen durch massive Kritik an den GEZ-Gebühren clever und breitenwirksam an. Parallel dazu haben sie Gegenmedien und -öffentlichkeit aufgebaut. Geld scheint dabei keine Rolle gespielt zu haben. Sie schüren den Eindruck, dass wir uns in einem permanenten Krisenmodus befinden, dem die Demokratie nicht gewachsen sei. Das Hochglanzmagazin Compact von Jürgen Elsäßer titelte „Das Reich wird pop“ oder bezeichnete die aufrührerischen Querdenken-Proteste als Tage von „Freiheit und Revolution“. Moderne Technik wird von Rechts professionell genutzt, um reaktionäre Ziele umzusetzen. Wir erleben im Netz Verklärung statt Klartext, Fakes statt Fakten. Dagegen kann jede und jeder etwas tun, auch im Kleinen, im Persönlichen.

Rechtsextremismus weitet sich aus. Welche Trends beobachten Sie speziell bei jungen Menschen?

In Deutschland sind mehr als 20 Millionen Menschen bei TikTok, insbesondere Heranwachsende. Über TikTok und andere Medien finden reaktionäre politische Ziele wieder Verbreitung. Die Idealisierung von Tradwives ist ein Beispiel. Die Unterdrückung der Frau in den 1950er-Jahren und vorher wird völlig verklärt. Emanzipation und Feminismus werden dämonisiert. Auch die offene Feindseligkeit und sogar Angriffe auf die Christopher Street Days haben Intoleranz unter Jüngeren Tor und Tür geöffnet. Jetzt findet sogar die brutale rechtsextreme Skinhead-Kultur wieder Einzug bei Jugendlichen. Aber insbesondere die Jüngeren halte ich noch für erreichbar. Vor wenigen Jahren noch gingen die Sympathien klar in Richtung Klimaschutz. Wie konnte es passieren, dass in ganz kurzer Zeit Klimapolitik, Klimawende oder die Grünen so zu Triggerpunkten werden konnten? Kriege, Pandemie und permanenter Krisenmodus verunsichern die junge Generation mehr als uns noch. Da müssen eiligst sinnvolle Gegenkonzepte und massives Engagement her. 

Was sind die größten Probleme mit Rechtsextremismus an Schulen?

Der rechte Kulturkampf umfasst vor allem auch den Kampf um die Bildung. Das heißt, die Einflussnahme auf Bildungsinhalte ist eines der Ziele. Dazu gehören die Verharmlosung der SHOA bis hin zur Holocaust-Leugnung. Der Vertreibung der Deutschen nach 1945 soll größerer Raum eingeräumt, die Kriegsschuldfrage aufgeweicht werden. Entsprechend der Geschichtsrelativierungen der AfD. Das Deutsche Volk hatte denen zu Folge auch seine gute Seite. Die Kritik am Bildungssystem hat seit der Corona-Pandemie an Radikalität gewonnen. Sie ist nicht konstruktiv, sondern geht klar in eine destruktive Richtung. Vor allem aber hat sie Teile der Bevölkerung mitgerissen, die eigentlich nicht in der rechtsextremen Szene zu verorten waren. Das heißt, Tausende haben ihre Kinder auch nach dem Lockdown zuhause behalten, sogar versteckt. Es gab illegale Lerngruppen und sogar versteckte Kleinstschulen.

Ein indirekter Ausstieg aus dem Bildungssystem?

Ja. Auch die Rede von der „Neuen Bildungszeit“ ist zu einem geflügelten Wort einer heterogenen Szene geworden, die sich auch von autoritären Strukturen leiten lässt. Während der Pandemie haben sich unzählige Telegramgruppen wie „Eltern stehen auf“, „Klagepaten“ oder ähnliches gegründet. Sie bündeln die Sympathisantenszene und koordinierten Protestaktionen an Schulen. Es gab regelrechte Hassorgien gegen demokratisch engagierte Schulleiter*innen, die sich für Masken, Impfung und die Durchsetzung einsetzten. Die AfD fordert parallel dazu, Homeschooling, Onlineschooling oder eingedeutscht Heimunterricht auch in der Bundesrepublik zuzulassen. Mit Denunziationsportalen versucht sie zudem, die Lehrerschaften zu spalten, Unsicherheiten zu schüren. Gezielt und falsch wird behauptet, der Beutelsbacher Konsens verpflichte die Lehrerschaft zu Neutralität gegenüber der AfD. Viele sitzen dieser Kampagne auf. Dabei sind Pädagog*innen der Demokratie verpflichtet, Kritik an der AfD ist auch im Unterricht legitim.

Wie rutschen Jugendliche in rechtsextreme Strukturen ab? Wie werden sie rekrutiert?

Früher war es vor allem Rechtsrock, der als Einstiegsdroge Nr. 1 galt. Dazu gehörten natürlich die Bemühungen rechtsextremer Parteien und Kameradschaften, mit Aktionen wie der Verteilung der „Schulhof-CD“ vor allem junge Männer zu ködern. Aber es war von Anfang an ein gesamtgesellschaftliches Problem. Dort wo Menschen abwanderten, Regionen sozial verwaisten und wir zivilgesellschaftlich weiße Flecken hinterließen, konnten Rechtsextreme wichtige Positionen besetzen. Strategien wie die „nationale Graswurzelarbeit“, der Kampf um die Akzeptanzgewinnung auf dem Lande, zeigten vor allem bei Jugendlichen Erfolg. Heute radikalisieren sich viele Jugendliche über Freundschaften im Netz. Sie sind die eigentlichen Profis der Sozialen Netzwerke, kennen sich bestens aus, sind international schnellstens vernetzt. Aber auch bei den von Anfang an gewaltbereiten „Querdenker“-Protesten sind seit 2020 bundesweit sehr viele Jugendliche mitgelaufen. Die Hemmschwelle war niedrig. Das machte es leicht für die Identitäre Bewegung, die Junge Alternative oder andere rechtsextreme Organisationsstrukturen. 

Lehrkräfte müssen im Unterricht nicht neutral sein. Warum stimmen sie zu?

Lehrkräfte sind in Deutschland gesetzlich verpflichtet, den SchülerInnen demokratische Werte (wie Toleranz und Menschenrechte) zu vermitteln, im Geiste der Verfassung zu bilden. In diesem Rahmen sollten politische Ansichten und Meinungen geäußert, ausgetauscht und eingeordnet werden. Auch Beispiele antidemokratischen Verhaltens politischer Akteure gehören zu dieser Debatte. Die Mündigkeit der SchülerInnen kann nur durch kritisches Auseinandersetzen erreicht werden. Antidemokratische Meinungen haben in Schulen keinen Platz und dürfen nicht widerspruchslos hingenommen werden.

Wie kann das Schulpersonal rechtsextreme Tendenzen frühzeitig erkennen, und wie sollte es darauf reagieren?

Ich erlebe es immer wieder bei Vorträgen an Schulen, dass Pädagog*innen wegschauen, wenn rechte Parolen fallen, wenn Jugendliche sich zusammentun und sich an der rechtsextremen „Strategie der Wortergreifung“ versuchen. Es wird oft zu lange ignoriert, dann haben sich schon Gruppen gebildet. Leider werden auch häufig neue Symboliken und geschickte Wortcodierungen nicht erkannt. Auch wenn sich Rechte in Elternvertretungen wählen lassen oder sich in Unterrichtsinhalte einmischen, wird das oft zu lange hingenommen. So können sich rechte Strukturen festigen. Die rechtsextreme Szene, ihre Strategien und Erscheinungsbilder haben sich seit 2020 noch mal massiv verändert. Reichs- und verschwörungsideologisches Gedankengut hält ebenso Einzug wie Antisemitismus und versteckter Rassismus. Lehrer*innen sollten wissen, dass sie sich nicht alleine mit diesem Problem befassen müssen, Schulen sollten gemeinsam Satzungen und Konzepte entwickeln, sich Hilfe von außen holen, sich vernetzen. Die Kindergarten- und Schulzeit bietet die größte Chance, diese Jugendlichen noch zu erreichen. Aber dafür benötigen wir vor allem eines: Aufklärung, Weiterbildung und informelle Vernetzung. Hilfe bieten unter anderem Mobile Beratungsteams in den Bundesländern oder die Amadeu Antonio Stiftung. 

Welche bildungspolitischen Maßnahmen halten Sie für notwendig?

Den SchülerInnen sollte ein gutes Demokratieverständnis vermittelt werden. Aus meiner Sicht kann dies nur erreicht werden, wenn sie Demokratie an Schulen aktiv leben. Wenn alle SchülerInnen ein demokratisches Mitspracherecht haben, wenn sie den Schulalltag aktiv mitgestalten können. Nur wenn sie Demokratie leben, können sie den Wert schätzen und ein Verständnis bekommen. Auch aus diesem Grund habe ich meine Kinder an einer Freien Alternativschule eingeschult. Demokratie wird dort im Alltag gelebt. Selbstbestimmtes Lernen, demokratische Mitbestimmung und gegenseitiger Respekt sind die Basis.