Zum Inhalt springen

Und sie bewegt sich doch …

Die Auseinansetzung um die Arbeitszeit der Lehrkräfte

Die Auseinandersetzung um die Arbeitszeit der Lehrkräfte hat eine lange Tradition. Mindestens seit Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts liegen Untersuchungen zum quantitativen Aspekt der Lehrerarbeit vor. Die bekanntesten Untersuchungen sind die von Graf/Rutenfranz (1958), Knight Wegenstein (1972) und Mummert und Partner (1998).

Sämtliche bis heute vorliegende Untersuchungen weisen für die Lehrkräfte eine höhere Arbeitszeit auf, als sie im öffentlichen Dienst vorgeschrieben ist (in der Regel 40 Arbeitsstunden pro Woche). Die Lehrkräfte behaupten, die zunehmenden Aufgaben in der ihnen dafür zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr bewältigen zu können. Die Arbeitgeber bestreiten dies und zweifeln die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen an, da die Ergebnisse hauptsächlich auf Selbstausschreibungen und Selbstauskünften der Lehrkräfte basierten.

Unterstützt und bestätigt wurden die Arbeitgeber von den Gerichten. Diese stellten fest, dass die einzelne Lehrkraft nicht entscheiden kann, wie viel Zeit sie für die Erledigung einzelner Aufgaben benötigt. Dies sei, so die Gerichte, das alleinige Recht der Arbeitgeber. Wenn diese der Meinung seien, die Arbeit sei in der dafür zur Verfügung stehende Zeit zu schaffen, dann müssten die Lehrkräfte ihre Aufgaben auch in dieser Zeit erledigen.

Das war über viele Jahre Stand der Dinge. Ein Stillstand war erreicht: Die Positionen der Lehrkräfte und Arbeitgeber standen sich unversöhnlich gegenüber, die Gerichte hatten ihre Urteile gefällt. Seit einigen Jahren kommt aber wieder Bewegung in die Diskussion um die Arbeitszeit der Lehrkräfte.

Der Auftakt erfolgte auf der Arbeitsschutzkonferenz des DGB im April 2013 in Bremen. Das ISF stellte einen neuen arbeitswissenschaftlichen Ansatz vor: Zunächst wurden aus den Erlassen die Aufgaben der Lehrkräfte ermittelt. Anschließend wurde aufgrund plausibler Zeitannahmen untersucht, ob die Aufgaben in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit überhaupt erledigt werden können. Bereits die Betrachtung nur einiger weniger Aufgaben (Unterrichten, Korrigieren, Dokumentieren usw.) führte dazu, dass für die Unterrichtsvorbereitung von der gesamten Jahresarbeitszeit (ca. 1.780 Stunden) nur noch 91 Stunden übrig blieben (siehe Grafik). Das entspricht durchschnittlich ca. fünf Minuten Vorbereitungszeit pro Unterrichtsstunde. Damit wurde deutlich, dass Lehrkräfte zu viele Aufgaben und zu wenig Zeit für ihre Erledigung haben (rür genauere Informationen siehe unter www.isf-bremen.de).

Die nächste Bewegung in die Diskussion brachte das Urteil des Lüneburger Oberverwaltungsgerichts (5 KN 203/14 v. 09.06.2015). Das Gericht erklärte die von Niedersachsens Kultusministerin Heiligenstadt verordnete Mehrarbeit für Gymnasiallehrer für unwirksam und rechtswidrig. Interessant ist die Begründung des Gerichts: Bevor das Kultusministerium Mehrarbeit verordnet, hätte es vorab die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte ermitteln müssen. Damit hat das Gericht der Willkür von Kultusministern und Bildungssenatoren ein Ende gesetzt. Die Arbeitszeit rückt wieder in den Fokus rationaler Betrachtung.

Außerdem ist das Gericht von der bisherigen Sichtweise abgerückt, die Arbeitszeit von Lehrkräften sei nicht exakt messbar, sondern könne nur, grob pauschalierend, geschätzt werden. Das Gericht erkennt jetzt ausdrücklich auch die Selbstaufschreibung als zulässiges Mittel bei der Ermittlung der zeitlichen Belastung an.

Richtig Bewegung in die Diskussion um die Arbeitszeit der Lehrkräfte brachte dann die von der GEW Niedersachsen in Auftrag gegebene Arbeitszeitstudie 2015/16, die eine Fortführung der Pilotstudie zur Arbeitszeituntersuchung an der Tellkampfschule in Hannover war. Fast 3.000 Lehrkräfte aus 255 Schulen dokumentierten ein Jahr lang (von Ostern 2015 bis Ostern 2016) täglich minutengenau ihre Arbeitszeit. Die Studie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass alleine an Gymnasien ca. 50.000 unbezahlte Überstunden pro Woche von den Kolleginnen und Kollegen geleistet werden. So hoch ist die tatsächliche zeitliche Arbeitsbelastung.

Wenn jetzt also wieder Bewegung in die Diskussion um die Arbeitszeit der Lehrkräfte gekommen ist, dann sollten alle Beteiligten sich dafür einsetzen und die gewerkschaftlichen Bemühungen unterstützen, um bessere Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer zu erreichen. Und dann sind fünf Minuten Unterrichtsvorbereitung pro Unterrichtsstunde hoffentlich nur reine Fiktion.