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Ganztagsschule

…. „und machten Unmögliches wahr…“? – Erzieher*innen an Bremer Ganztagsschulen

Erzieher*innen an Bremer Ganztagsschulen

Kinder in der Ganztagsschule
Foto: Susanne Carstensen

Das im Herbst 2021 verabschiedete Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter (Ganztagsförderungsgesetz – GaFöG) stellt Länder und Kommunen vor erhebliche strukturelle wie fachliche Herausforderungen der UmsetzungAb 2026 haben alle  Grundschulkinder einen Rechtsanspruch auf eine ganztägige Betreuung und Förderung von acht Stunden pro Werktag, einschließlich Unterricht und pädagogischer Betreuung. Die Umsetzung dieses Rechtsanspruchs erfordert auch in Bremen einen erheblichen Ausbau des Angebots. 
Dies ist angesichts des Fachkräftemangels in Zeiten der Haushaltssperren bei Bildung und Soziales und der völlig unzureichenden finanziellen Ausstattung - insbesondere unter Gesichtspunkten der Qualität - kaum vorstellbar.

Bremen verfügt im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern über eine qualitativ hochwertige Ganztagsstruktur an Schulen, die durch die enge Zusammenarbeit von Erzieher*innen, Lehrkräften, Sonderpädagog*innen und Fachkräften für Inklusion gekennzeichnet sein sollte. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht eine umfassende Förderung der Kinder und schafft ein inklusives Bildungsumfeld, das auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler*innen eingeht. Soweit die Theorie…
Doch gerade diese wichtige Struktur ist durch den eklatanten Fachkräftemangel gefährdet.

Der ab 2026 geltende Rechtsanspruch auf ganztägige Förderung wird die Nachfrage nach Fachkräften weiter steigern und die ohnehin schon knappe Personaldecke zusätzlich belasten. Bereits jetzt sind die Qualitätsstandards durch die hohe Arbeitsbelastung und unzureichende Stundenkontingente gefährdet, und die Kontinuität der Betreuung und Beziehungen zu den Kindern wird beeinträchtigt. Der Einsatz von weniger qualifizierten Fachkräften bietet keine ausreichende Entlastung und gefährdet den Erfolg der inklusiven Bildungsarbeit sowie das Wohlbefinden der Kinder und die Zufriedenheit der Fachkräfte an ihre Profession – und ist dennoch zur Zeit unumgänglich.

Um dieser Quadratur des Kreises wirksam zu begegnen und langfristig Kolleg*innen zu entlasten, muss die Politik in Bremen dringend umfassende Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Erzieher*innen und pädagogische Fachkräfte schaffen. Auch solche Maßnahmen werden das System weiter belasten, sind jedoch unerlässlich, um langfristig die Qualität im Ganztag zu sichern und den belastenden Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken.

Was ist zu tun - Forderungen an die Politik in Bremen:

  1. Verbesserung der Arbeitsbedingungen: Die Arbeitsbedingungen für Erzieher*innen und andere pädagogische Fachkräfte müssen attraktiver gestaltet werden, auch damit Erzieher*innen in ihrer Profession nicht nur Mangelverwaltung erleben, sondern professionelle Selbstwirksamkeit erfahren können. Dies beinhaltet eine angemessene Bezahlung (grundsätzlich die „8b“ für Erzieher*innen an Schule), die Reduzierung prekärer Teilzeitbeschäftigungen und die Sicherstellung von Weiterbildungsmöglichkeiten während der Arbeitszeit. Das bedeutet eben auch eine kurzfristige Verschlechterung des Angebotes, um langfristig ein Ganztagsangebot für Kinder und deren Eltern überhaupt anbieten zu können.
  2. Entlastung und Mentoring für erfahrene Fachkräfte: Erfahrene Erzieher*innen sollten die notwendige Zeit und Ressourcen (Vollzeitstellen!) als Mentor*innen für neue Kolleg*innen zur Verfügung erhalten, um eine fundierte Einarbeitung und Integration neuer Mitarbeiter*innen in die Bildungs- und Betreuungsarbeit zu ermöglichen.
  3. Erweiterung der Ausbildungskapazitäten: Ausbildungsplätze für Erzieher*innen müssen auch an Schulen geschaffen werden, um den zukünftigen Bedarf an professionell agierenden Fachkräften zu decken. Dazu könnten zeitlich befristet Ausbildungsprogramme flexibilisiert, modularisiert und Ausbildungszeiten ggf. verkürzt werden.
  4. Förderung von Quer- und Seiteneinstieg: Spezifische Programme zur Anerkennung von Vorerfahrungen und beschleunigte Ausbildungen für Quereinsteiger*innen sollten entwickelt werden, um den Fachkräftemangel zu lindern.
  5. Fortbildungsprogramme zu Qualitätssicherung und Schutzkonzept: Kontinuierliche Fortbildung und Schulung sind notwendig, um die bestehende Fachkräftebasis zu qualifizieren und auf die neuen Anforderungen der Ganztagsbildung vorzubereiten.

Ohne diese Maßnahmen wird es Bremen schwerfallen, die Anforderungen des Ganztagsförderungsgesetzes zu erfüllen und die hohe Qualität der Betreuung in den Schulen zu sichern. Die Politik muss jetzt handeln, um die Zukunftsperspektiven der Kinder und das Bildungssystem in Bremen nachhaltig zu stärken. 

Bericht vom Fachtag Ganztag der GEW [hier…]

Gemeinsame Erklärung der Teilnehmer*innen der zweiten bundesweiten Tagung der GEW „Keinen Tag ohne – Qualität im Ganztag“ in Göttingen am 7. September 2024

GÖTTINGER DEKLARATION ZUM GANZTAG 

Wir bekennen uns ausdrücklich zum Rechtsanspruch auf Ganztagsförderung ab dem 1. August 2026. Das im September 2021 verabschiedete Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) ist ein bedeutendes bildungs-, familien- und sozialpolitisches Vorhaben von Bund, Ländern und Kommunen. Es soll das Recht auf qualitativ hochwertige Bildung, Erziehung und Betreuung sicherstellen und nicht nur den Anspruch aller Grundschulkinder auf einen Betreuungsplatz garantieren. Alle Kinder haben ein Recht auf exzellente Bildung und umfassende Teilhabe, um die eigenen Potenziale entwickeln und sich zu einer selbstbestimmten und emanzipierten Persönlichkeit entwickeln zu können.  
Wir, als pädagogische Fachkräfte, Lehrkräfte und sozialpädagogisches Personal, verstehen uns als Lern- und Lebensbegleiter*innen der Kinder. Die Grundschulzeit stellt eine der entscheidenden Phasen der Kindheit dar, weshalb wir die Politik zu entschiedenem Handeln im Sinne eines kindegerechten Ganztages auffordern. Die gesetzliche Verankerung des GaFöG im Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) sowie der UN-Kinderrechtskonvention (UN KRK) stellen die Gesellschaft vor die Aufgabe, den allgemeinen Anspruch der Kinder auf Fürsorge, Autonomie und Entfaltung zu gewährleisten und allen Kindern das Recht auf gute Bildung, Erziehung und Betreuung zu ermöglichen. Das Wohl des Kindes muss dabei stets im Zentrum stehen.

Ein qualitativ hochwertiger Ganztag fördert Inklusion und ermöglicht allen Kindern, unabhängig von ihrem sozialen, ökonomischen oder kulturellen Hintergrund, gleiche Chancen auf Bildung, Entwicklung und Teilhabe. Daher müssen die Ganztagsangebote auf die vielfältigen Bedürfnisse aller Kinder eingehen, zur sozialen Kohäsion beitragen und die Eltern in ihre Arbeit einbeziehen. Der Ganztag bietet zudem einen wesentlichen Raum für die Demokratiebildung junger Menschen. Sie aktiv in die Gestaltung ihres Alltags einzubeziehen, ihnen Verantwortung zu übertragen und Strukturen der Partizipation auf allen Ebenen zu ermöglichen, erfordert offene und flexible Strukturen.

Wir fordern die Entwicklung eines gemeinsamen, bundesweiten Qualitätsverständnisses, das als Rahmen für die verbindliche Verankerung in allen Landesschulgesetzen gilt. Ein rein additiver Ansatz, ohne echte Integration der Strukturen, beraubt sowohl die Kinder als auch die Lehrkräfte und sozialpädagogischen Fachkräfte vielfältiger Möglichkeiten. Die Entwicklung ganzheitlicher pädagogischer Konzepte für eine umfassende ganztägige Bildung, Erziehung und Betreuung orientiert an den Bedürfnissen und Interessen der Kinder, muss alle Professionen miteinander verbinden. Die GEW sieht daher die gebundene Ganztagsschule als die effektivste Form, um allen Kindern ein pädagogisch abgestimmtes, anregendes sowie entspanntes Lernen und Leben zu ermöglichen.

Eine enge und systematische Zusammenarbeit zwischen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ist entscheidend für die Qualität der Ganztagsangebote. Diese Kooperation muss auf lokaler Ebene durch gemeinsame Bildungsziele, klare Absprachen und professionsübergreifende Fortbildungen strukturiert und gestärkt werden. Auch die Ausbildung und Qualifizierung von Lehrkräften und sozialpädagogischen Fachkräften muss auf die Anforderungen des gemeinsamen ganztägigen Lernens und der multiprofessionellen Zusammenarbeit vorbereiten. Sozialpädagogische Fachkräfte benötigen attraktive Arbeitsverhältnisse, die tariflich abgesichert sind und Altersarmut verhindern.

Als Expert*innen des pädagogischen Alltags fordern wir die politisch Verantwortlichen auf, die notwendigen Standards in einem transparenten Verfahren unter Einbeziehung aller relevanten Akteur*innen zu erarbeiten. Dabei müssen Aspekte wie Personalschlüssel, Inhalte, Räumlichkeiten und Gesundheitsförderung ebenso priorisiert werden wie Investitionen in bauliche Maßnahmen. Die Sicherstellung einer langfristigen und bedarfsorientierten Finanzierung ist unabdingbar, um eine dauerhafte Qualität der Ganztagsangebote zu 
gewährleisten.  

Mit dieser Deklaration rufen wir die politisch Verantwortlichen dazu auf, entschlossen für die Rechte und Bedürfnisse der Kinder zu handeln, an der Qualität darf nicht gespart werden.