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Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung in Hamburg

Teaching for Testing

Von den angeblich vorbildhaften „Hamburger Modellen“

„In Hamburg läuft alles toll!“ Gerne brüsten sich die politischen Akteure aus Hamburg bundesweit mit den angeblich vorbildhaften „Hamburger Modellen“. Die politischen Akteure in den anderen Bundesländern wollen dann nicht selten diese angeblich so guten Ansätze übernehmen, um ihre Erfolgsbilanzen zu verbessern. Es geht immer wieder um die datengestützte oder evidenzbasierte Steuerung von Schulen. In Hamburg spielt dabei das Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) eine wesentliche Rolle.

Die Aufgabe des IfBQ

Im IfBQ laufen alle schulischen Datenerhebungen wie zentrale Testungen, Ergebnisse der Abschlussprüfungen, Ergebnisse der Schulinspektion usw. zusammen und werden dann auch der Einzelschule zur Verfügung gestellt.

Ein paar Beispiele seien hier genannt: Die Auswertung von KERMIT (Kompetenzen ermitteln – in Hamburg bezogen auf Mathematik), ein flächendeckender standardisierter Schulleistungstest in den Jahrgängen 2,3,5,7,8 und 9. Die Zahlen werden den Schulen und Fachlehrkräften zur Verfügung gestellt. Probleme: Es fehlt häufig die Zeit, um diese Ergebnisse auszuwerten. Ein Bezug auf den eigenen Unterricht oder auf die Unterrichtsentwicklung in der Schule unterbleibt. Die Kollegien empfinden diese häufigen Testungen als Misstrauen an ihrer pädagogischen Arbeit. Ein anwendbarer Nutzen für die Einzelschule ist kaum spürbar. Die Durchführung der Schulinspektion ist eine standardisierte Unterrichtsbeobachtung mit anschließender Veröffentlichung der Ergebnisse. Problem: Pädagogische Fragen und Beobachtungsanforderungen der Einzelschule spielen keine Rolle und die Ergebnisse sind damit für die konkrete Schul- und Unterrichtsentwicklung kaum nutzbar. Nicht selten geraten die Schulen durch ein entstehendes Ranking – Schulinspektionsergebnisse, Vergleich der Abschlüsse usw. - in Konkurrenz zueinander.

Bildungspolitischer Hintergrund

Ausgang ist die bekannteste Studie, die seit dem Jahr 2000 unter Federführung der OECD weltweit durchgeführt wird und unter dem Namen PISA bekannt ist. In der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, haben sich die 34 reichsten Industriestaaten zusammengeschlossen. Man kann sie als  „Club der Reichen“ bezeichnen. Sie sprechen Politikempfehlungen für Regierungen aus. Sie beeinflussen die internationale Bildungspolitik, insbesondere durch weltweite Schulleistungstests. Sie nimmt seit über 17 Jahren auf die Bildungspolitik Einfluss und ist dabei nicht demokratisch legitimiert.

Konsequenzen und Maßnahmen, die einem anderen Unterricht, die den Schüler*innen und Kolleg*innen, den Schulen helfen würden, werden aus angeblichem Geldmangel nicht vollzogen. Das wird mantraartig fortwährend wiederholt. Schon beim ersten PISA-Test schnitten Schulsysteme, in denen lange gemeinsam gelernt wird, viel besser ab. Die Kritik an der selektiven Schulstruktur in Deutschland wird von den politisch Verantwortlichen nicht aufgenommen. Für sie ist der am weitest gehende Gedanke das sogenannte  „Zwei-Säulen-Modell“. Die GEW sieht sich in der Forderung nach „Einer Schule für alle“ weiterhin bestätigt. Grundsätzlich ist an der bildungspolitischen Vorstellung der OECD deutliche Kritik zu üben. Sie orientiert sich maßgeblich am Konzept der „Beschäftigungsfähigkeit“ (Employability) im Arbeitgeberinteresse und damit einer profitorientierten Verwertbarkeit des menschlichen Arbeitsvermögens. Im neuen Rahmenplan der OECD für Bildung 2030 heißt es: well functioning adults – gut funktionierende Erwachsene sollen dabei herauskommen. Die OECD hat in ihrem Bildungsplan 2030 keinen Platz für Menschen- und Arbeiterrechte! Aber genau dies will die GEW: Bildung als Menschenrecht und unverzichtbare Grundlage für die Entwicklung und Teilhabe in einer demokratischen und solidarischen Gesellschaft mit dem Ziel der Mündigkeit und Selbstbestimmung aller Menschen.

Die OECD hat durch ihre Testverfahren nicht nur zu einem „teaching for testing“ geführt, sondern zu einer Umschreibung sämtlicher Rahmenpläne auf Kompetenzorientierung. Kritiker beurteilen die Kompetenzorientierung als ein didaktisches Konzept ohne Didaktik; d.h. es bietet keinen Aufschluss über das eigentliche Unterrichten. Dies führt zu einer Praxis im Unterricht, bei der die Inhalte beliebig sind. Die Entfachlichung führt zu einer Deprofessionalisierung des Lehrberufs. So konnte eine Bildungspolitik Einzug halten, die zu kennzahlengestützten Standardisierungen, zu Budgetierung, Ranking, Wettbewerb und Konkurrenz im Bildungssystem führt. In diesem Zusammenhang ist das IfBQ zu sehen. Es bereitet die Kennzahlen in Hamburg auf.

Bildungspolitische Steuerung

Für die „Qualität“ (festgelegter allgemeiner Qualitätsrahmen) jeder einzelnen Schule ist in Hamburg die Schulleitung verantwortlich. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie mit ausreichenden Ressourcen für entsprechende Maßnahmen ausgestattet ist. Zweimal im Jahr führt die Schulaufsicht ein sogenanntes Statusgespräch und schließt Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit jeder Schule ab. In jeder Schule wurde außerhalb des Hamburger Schulgesetz eine „Steuergruppe“ verankert, die entsprechende Maßnahmen zur Erreichung der Ziel- und Leistungsvereinbarungen entwickeln soll; sie kauft – solange es das Budget der Schule hergibt – z.B. Fortbildung beim Landesinstitut für Aus- und Fortbildung (LI) ein und versucht Unterstützung durch das LI oder Stiftungen zu organisieren. Das LI hat aber nicht genügend Kapazitäten und Ressourcen. Dafür fehlt angeblich das Geld. Das System hat „so gut“ funktioniert, dass 2012 insgesamt 23 Schulen in Hamburg einen öffentlichen „Brandbrief“ an den Bildungssenator geschrieben haben, weil sie mit ihren Ressourcen das Schulleben nicht mehr meistern konnten und jede weitere Unterstützung fehlt.

Aus der Datenflut lassen sich keine direkten bildungspolitischen Maßnahmen ableiten. Sie bieten keine Hinweise welche Maßnahmen der Unterrichts- und Schulentwicklung zu Veränderungen führen. Da es immer wieder in den verschiedenen nationalen und internationalen Tests zu Ergebnissen kommt, die Hamburg eher am unteren Ende der Skala verorten, versuchen die politisch Verantwortlichen mit kurzfristigen, nicht pädagogisch begründeten, aber populistischen Maßnahmen bildungspolitischen Aktionismus vorzutäuschen. Bei schlechten Mathematikergebnissen kommt die Behörde auf mehr Mathestunden, auf mehr Mathematikarbeiten, die geschrieben werden sollen. Bei schlechten Rechtschreibergebnissen kommt man auf mehr Diktate usw. Die politisch Verantwortlichen nutzen die Ergebnisse und  die Zahlen des IfBQ, um ihrerseits sehr „kurzatmige“ pauschale Vorgaben zu machen, die mit den Schulen vor Ort nicht abgesprochen - geschweige denn gemeinsam erarbeitet - sind und nicht selten ihre Schulentwicklung behindern.

Die IfBQ-Beurteilung

Dr. Martina Diedrich, die Leiterin des IfBQ, wies im Februar 2018 auf einer Tagung der Schulleitervereinigung in Bremen hin, dass die politischen Entscheidungsträger „Schlussfolgerungen ableiten (sollten), um die Rahmenbedingungen so anzupassen, dass Innovationen stattfinden können“. Allerdings würden sie „de facto (häufig)“ den „Machterhalt“ ins Zentrum stellen.  So lange es nur darum geht, alle vier Jahre wieder gewählt zu werden, werden politische Entscheidungsträger*innen populistische  kurzfristige Maßnahmen verordnen und nicht im Sinne einer langfristigen pädagogisch begründeten Schulentwicklung agieren.

Zeit für Alternativen

Was gute Schule ist, muss demokratisch ausgehandelt werden, statt sich der Wettbewerbs- und Konkurrenzlogik der OECD (PISA-Studien) zu ergeben. Die Frage muss erlaubt sein, ob das allerorten propagierte „Mehr an Leistung“ eine Perspektive für eine inklusive und integrative Schule ist. Was heißt Qualität – und für wen? Was bedeutet dies ganz konkret an den Schulen? Aus Sicht der Hamburger GEW heißt es, die Ressourcen direkt in die Schulen und ihr Quartier zu stecken. Kleinere Klassen, Doppelbesetzungen, Sozial- und Beratungsarbeit stärken, Unterstützungssysteme ausbauen usw. Es geht darum gute Ansätze vor Ort weiter zu entwickeln, unkonventionelle Ideen auszuprobieren. Dafür bedarf es Zeit für Kommunikation und Kooperation. Es bedarf gut ausgebildetem Personal. Neben den kurz- und mittelfristigen Lösungen durch Quer- und Seiteneinsteiger*innen, die gut begleitet und weiter qualifiziert werden müssen, heißt es langfristig den Beschäftigungsbereich an Schulen wieder attraktiv zu machen, um auch in Zukunft gut ausgebildete Lehrkräfte und pädagogisches Personal an den Schulen zu haben.