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Bildungspolitik

Schulen im Schlamassel

Die reale Bildungskatastrophe

Grafik: vectorstock.com/huza

Die aktuelle Corona-Pandemie wirkt wie ein Vergrößerungsglas, das die seit langem aufgebauten strukturellen Mängel verdeutlicht. Die Kultusministerien blockieren längst notwendige Anpassungen an reale gesellschaftliche Entwicklungen, die durch Prozesse der sozialen Spaltung, durch Zuwanderung verstärkte gesellschaftliche Diversität und Digitalisierung gegeben sind.

Die Kultuspolitiker:innen führen auch keine Diskurse über notwendige Veränderungen des Bildungswesens, sondern dulden die Verwaltung des Bestehenden. Dabei formulieren sie immer neue Anforderungen, die sich aufgrund des realen Problemdrucks oder politischer Wünsche ergeben. Echte Lösungen werden dabei meist nicht angegangen. Pädagogische Inputs werden weitgehend unreflektiert und oft auch widersprüchlich in bestehende Systeme eingeführt, wie z.B. die notwendige und auch an sich richtige Inklusion in ein grundlegend auf Auslese ausgerichtetes Schulsystem.

Wo Bremen besser ist

Der Erfolg der Bildungseinrichtungen wird an der Erfüllung weitgehend kognitiver Lernziele gemessen, diese werden wesentlich unter dem Aspekt von Verwertbarkeit formuliert. Der Trend, Bildung auf eine weitgehend zusammenhanglose Summe von Einzelkenntnissen zu reduzieren, ist deutlich. Der gesellschaftliche Auftrag der Schulen, die heutigen Kinder und Jugendlichen auf eine Gesellschaft der Zukunft vorzubereiten, in der sie ihren materiell und persönlich abgesicherten Platz im Rahmen von partizipativen, demokratischen Prozessen finden können, wird so immer weiter verdrängt. In den aktuellen Bildungsrankings sind die Länder der Südschiene erfolgreich und niemanden fällt es auf, dass in diesen Ländern der Anteil der rechtsradikalen Jungwähler:innen und der Impfverweigerer:innen - also der Leugner der Ergebnisse wissenschaftlicher Erkenntnisse - überdurchschnittlich hoch ist. Das signalisiert doch ein eklatantes Bildungsversagen. In diesem Bereich arbeiten die Bremer Schulen offensichtlich besser.

Viele und keine Überstunden

Kurzum, die Schulen befinden sich in einem riesigen Schlamassel und kämpfen weitgehend klaglos mit ihren Mitteln gegen all diese Überforderungen an. Nur einmal zur Illustration: Die Bremer Polizei meldet aktuell gut 300.000 meist coronabedingte Überstunden. Das Bildungswesen meldet null, hier wird alles durch höheres Engagement im System kompensiert. So sehr sich die Kollegien auch mühen, im Ergebnis verfestigt sich das zunehmende Versagen des Bildungssystems vor den gesellschaftlichen Herausforderungen und Notwendigkeiten. Und die strukturell weiter gestiegene Verdichtung der Arbeit wird auf kurz oder lang auch einen Preis in Form Erkrankungen und inneren oder realen Kündigungen einfordern.

Substanzgefährdend

Wir befinden uns durch die Verweigerung einer an den gesellschaftlichen Notwendigkeiten orientierten Gestaltung des Bildungswesens in einer realen Bildungskatastrophe, die perspektivisch die demokratische Substanz unserer Gesellschaft gefährdet. Den Preis dafür zahlen die Kinder und Jugendlichen, weil deren Zukunftschancen so verbaut werden und die Mitarbeiter:innen im Bildungswesen, weil deren Gesundheit und deren Idealismus zerstört werden. 

Die GEW ist als Bildungsgewerkschaft gefordert, dieser Entwicklung mit all ihren Mitteln entgegen zu treten. Dabei sehe ich drei wesentliche Schwerpunkte:

Bildungsziele erweitern

Die inhaltliche Diskussion um die Ausrichtung des Bildungswesens muss im Rahmen einer umfassenden Curriculum-Reform geführt werden. Hierbei geht es um die Weiterung der Bildungsziele unter dem Aspekt der kulturellen Vielfalt in unserer Gesellschaft und um die real vorhandenen aber nicht genutzten Potenziale insbesondere der Schüler*innen aus migrantischen und von Armut betroffenen Familien. Das könnte auch ein Baustein zum Abbau des Fachkräftemangels sein. Es geht aber auch um ein Bildungsverständnis, dass über die rein kognitiv definierten Lernziele hinausgeht und die gesellschaftlichen Zielsetzungen der demokratischen Gestaltung mindestens gleichberechtigt einbezieht. In diesem Diskurs muss auch eine Einordnung des Einsatzes digitaler Medien erfolgen. Dabei stehen Fragen der Stärkung motorischer, sozialer und demokratischer Kompetenzen in Verbindung zu rein individualistisch ausgerichteten medienbasierten Lernprozessen zur Klärung an. Und es muss das Verhältnis von Inklusion und Auslese geklärt werden.

Schulen umfassend stärken

Als zweiter Schwerpunkt ist die Verbesserung der materiellen Situation der Schulen noch stärker in die öffentliche Diskussion einzubringen. Es braucht einfach mehr Personal, bessere technische Ausstattung und Unterrichtsräume, die den ergonomischen Anforderungen an ein produktives Lernklima auch gerecht werden. Von nichts kann nichts kommen.

Profession erweitern

Und schließlich ist es notwendig, die grundlegende Neuausrichtung des pädagogischen Personals zu bewerkstelligen. Gerade durch die Weiterungen der Professionen in der pädagogischen Alltagsarbeit der Bildungseinrichtungen ist konzeptionelle Klarheit über deren unterschiedliche Rollen herzustellen.

Helmut Zachau ist ehemaliger Schulleiter (Walle) und Bildungsexperte