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Schule ohne Rassismus

In der Novemberausgabe der BLZ berichtete Thomas Hafke vom Fanprojekt Werder über den unglaublichen Umgang der Bremer Justiz mit dem Überfall von Neonazis auf die antirassistische Fangruppe Racaille Verte, die wegen ihrer antirassistischen Arbeit beispielsweise wiederholt Preisträger beim Bundeswettbewerb „Demokratisch Handeln“ wurde.

Der gesamte politische Hintergrund dieser Gewaltaktion wurde vom Gericht im Prozess (September 2011) nicht thematisiert, die „Strafen“ blieben minimal, mal wieder wurden rechtsextreme Gewalttaten verharmlost. Ich vermute, ein solches Vorgehen der Bremer Justiz hätte 3 Monate später einen Skandal ausgelöst. Seit dem 11. November 2011, seit der öffentlichen Diskussion der Mordserie der „Zwickauer Zelle der NSU“ war klar, dass in Deutschland rechtsextremer Mord und Totschlag als solcher häufig nicht erkannt, verharmlost und anderen Phantom-Tätern zugeschoben wurde. Das Problem wurde neu aufgerollt. Anfang Dezember erklärte Senatspräsident Jens Böhrnsen, er und sein Innensenator Ulrich Mäurer wollten auf den entsprechenden Konferenzen der Ministerpräsidenten und der Innenminister der Länder ein Verbot der NPD als „einen Baustein“ im Kampf gegen rechts vorschlagen. Man kann darüber streiten, ob dies der richtige Schritt ist. So hielt der Weser-Kurier Böhrnsen in einem Interview vor: „Mit einem Verbot ist das rechtsradikale Gedankengut nicht verschwunden“. Das sieht auch Böhrnsen so und fordert: „eine Kultur des Hinsehens. Wir müssen aufmerksam sein, wenn Menschen diskriminiert und beleidigt werden.“ Allerdings habe Bremen dafür gute Voraussetzungen und nennt Projekte wie „Schule ohne Rassismus (SOR)“. (WK, 2.12. 2011, S. 3) Was ist „Schule ohne Rassismus?

In Deutschland gibt es 1000 „Schulen ohne Rassismus“, im Land Bremen 20

1) Um „SOR“-Schule zu werden, müssen sich mindestens 70% der Schulangehörigen per Unterschrift verpflichten, „Projekte und Initiativen zu entwickeln, um Diskriminierungen, insbesondere Rassismus, zu überwinden“. (Bundeskoordination Schule ohne Rassismus (Hrsg) Kleff/Seidel, Wer wir sind, was wir tun, Berlin 2011, S. 16)

Es wirft sich sofort die Frage auf: Wie wird Rassismus heute in Deutschland „gemessen“? Hilfreich ist dabei die Studie von Wilhelm Heitmeyer „Deutsche Zustände“.( W. Heitmeyer (HRSG), Deutsche Zustände Folge 10, Berlin 2012, die Zahlen zu den Items finden sich auf S. 38f)
Sie ist, wie Anetta Kahane in dem Band sagt, “ das zivilgesellschaftliche Fieberthermometer der Gesellschaft.“ (S. 298) Hier wird mit folgenden Items festgestellt, dass etwa jeder 8. bis jeder 6. Bürger rassistischen Aussagen zustimmt. Auch der Antisemitismus ist – gerade in Nazi-Deutschland – in rassistischer Form aufgetreten. Heitmeyer misst ihn mit den unten angeführten Items und erhält Zustimmung von jedem 8. Bürger. Das Gleiche gilt vom Antiziganismus, der 2011 mit über 40%-Zustimmung verbreitet ist.

Haltung

Item

Zustimmung
in %

Rassismus

„Die Weißen sind zu Recht führend in der Welt“

„Aussiedler sollten besser gestellt werden als Ausländer, da sie deutscher Abstammung sind“

12,8%

22,2%

Antisemitismus

„Juden haben in Deutschland zu viel Einfluss“

„Durch ihr Verhalten sind die Juden an ihren Verfolgungen mitschuldig“

13,0%

10,0%

Antiziganismus

„Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten“
„Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden“

40,1%

27,2%

Auf die selbst gestellte rhetorische Frage „Kümmert ihr euch nur um Rassismus?“ antwortet SOR eindeutig mit „Nein“. (S.14) Stattdessen greift das Projekt den Begriff der Heitmeyer-Studie auf und „beschäftigt sich mit allen Formen gruppenbezogener Menschen-feindlichkeit: Zum Beispiel Mobbing, Rechtsextremismus, Homophobie, Sexismus, Nationalsozialismus, Antisemitismus und Antiziganismus, Islamismus, Islamfeindlichkeit sowie Flucht und Asyl.“ (S.19) Das Gemeinsame aller betroffenen Gruppen ist, dass „ihnen die Gleichwertigkeit abgesprochen“ (Heitmeyer S. 302) wird und die Ablehnung als „Syndrom GMF (Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit)“(S.17) auftritt. Dass tatsächlich alle diese Themen Bremer Schülerinnen und Schüler beschäftigen, konnte man im April 2011 bei dem Info-Tag der GSO sehen, an dem mehrere Hundert Teilnehmer in Workshops daran arbeiteten. Die Bezugnahme auf die Items der Studie ist hilfreich, um entsprechende Haltungen zu erkennen:

Haltung

Item

Zustimmung
in %

Fremdenfeindlichkeit

„Es leben zu viele Ausländer in Deutschland“

„Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“

47,1%

29,3%

Sexismus

„Frauen sollen sich wieder mehr auf die Rolle als Ehefrau und Mutter besinnen.“

18,5%

Abwertung von be-hinderten Menschen

„Für Behinderte wird in Deutschland zu viel Aufwand betrieben“

7,7%

Homophobie

Es ist ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen“

„Homosexualität ist unmoralisch

25,3%


15,6%

Diese Zahlen spiegeln die Befragung eines Durchschnitts der Bevölkerung wieder.

Wie sieht das an den Schulen aus?

Ein Indikator, hier zum Thema Homophobie, ist die Befragung von etwa 1000 Schüler/innen der Gesamtschule Ost und des SZ Walliser Straße durch eine Schulklasse der Höheren Handelsschule im Rahmen des Projekts „Das Recht anders zu sein“. Es fanden nicht nur 25,3%, sondern 56,5% der Schüler/innen und 10% der Lehrer/innen das Küssen von Homosexuellen in der Öffentlichkeit „ekelhaft“; für „unmoralisch“ hielten Homosexualität nicht 15,6%, sondern 35,8% der Schüler/innen. Dieses Beispiel zeigt anschaulich, wie man mit diesen Items gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aufdecken kann. Es zeigt auch, dass hier an Bremer Schulen noch viel zu tun ist. Das gilt für engagierte Lehrer/innen etwa an den SOR ebenso wie für die Behörde. Erfreulich ist einerseits, dass die Auflage der Projektdokumentation ( Hrsg. Rat und Tat Zentrum, „Das Recht anders zu sein – ein Schulprojekt“, Bremen 2009, im Netz unter) in Höhe von 4500 Exemplaren innerhalb von 2 Jahren durch den Einsatz an Schulen vergriffen ist, andererseits schmoren seit etwa drei Jahren neue Richtlinien zur Sexualerziehung, die die Frage der Homosexualität neu thematisieren, in den Schubladen der Behörde. In der Bürgerschaftssitzung vom 19.02 2009, also vor drei Jahren, wurde von Senatorin Rosenkötter bereits deren Verabschiedung angekündigt. Passiert ist nichts.

2) Eine zweite Verpflichtung der SOR lautet:
„Wenn an meiner Schule Gewalt, diskriminierende Äußerungen oder Handlungen ausgeübt werden, wende ich mich dagegen und setze mich dafür ein, dass wir in einer offenen Auseinandersetzung mit diesem Problem gemeinsam Wege finden, uns zukünftig zu achten“.(S. 16)

Das SZ Walliser Straße und die Gesamtschule Ost gehörten zu den ersten öffentlichen Schulen in Bremen, die den Titel SOR erworben haben. Dennoch konnten wir im Rahmen des Homophobie-Projekts feststellen, dass von sehr vielen Schüler/innen „schwul“ besonders häufig als Schimpfwort benutzt wurde. Widerspruch kam von Mitschüler/innen fast nie. Das Gleiche gilt allerdings auch für andere Haltungen, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit anzeigen. Manche Äußerungen sind als diskriminierende Schimpfworte fast täglich zu hören:
Das sexistische „du Schlampe“ bekommen viele Schülerinnen zu hören, vor allem wenn sie deutlich machen, dass sie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung beanspruchen. Ich erinnere mich, wie in einer Schulveranstaltung zum „Ehrenmord“ die ermordete Hatun Sürücü so bezeichnet wurde.
Wenn ein Mitschüler als „Spasti“ geschimpft wird, braucht eine entsprechende Behinderung nicht vorzuliegen. Die Abwertung von Behinderten kann sich so ausdrücken. Seit einigen Jahren werden auch die Bezeichnungen „du Jude“ oder „du Opfer“ als abwertende Schimpfworte genutzt und Mitschüler damit gemobbt.
Der Antisemitismusexperte Gottfried Kössler nimmt dies als Indiz dafür, dass „es eine größere Offenheit in der Äußerung von antisemitischen Positionen (gibt). Fehlenden Hemmungen, aggressiv dies auch zu tun."( Blanka Weber, „Du Jude, Du Opfer“; im Deutschlandradio www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/785390/)

Sicherlich kommt in dem weit verbreiteten „Opfer“- Mobbing auch eine Reaktion auf vorgeblich überbordende „Political Correctness“ zum Ausdruck. Wer die Verpflichtungen der SOR ernst nimmt braucht sicherlich Empathie mit den Opfern gruppenbezogener
Menchenfeindlichkeit, um dagegen einzuschreiten. Aber natürlich ist es falsch, sie nur „Opfer“ zu sehen, die schwach, hilflos und isoliert sind, „loser“ eben. In einer Diskussion bei der letzten Nacht der Jugend zum Thema „Genug erinnert?!“ legten Jugendliche der jüdischen Gemeinde Wert darauf, an den jüdischen Widerstand etwa beim Aufstand im Warschauer Ghetto zu erinnern. Das gilt ebenso für Frauen, Behinderte, Schwule/Lesben und Ausländer, die sich natürlich ebenfalls gegen ihre Diskriminierung zur Wehr setzen. Schüler/innen, die Mitschüler als „Opfer“ mobben, wollen sich von den „Verlierern“ abgrenzen. „Wer sein Gegenüber «Opfer» nennt, der sagt damit: Dir hilft keiner, dich rächt niemand, dich kann man gefahrlos quälen.“ ( Joachim Güntner, Das schlimmste Etikett, NZZ 13.1. 2007)

Natürlich: Kinder und Jugendliche grenzen sich häufig von Political Correctness ab,
provozieren und gebrauchen in ihrer Empörung und Wut Schimpfworte. Viele Kolleg/innen fürchten, dass sie bei ständigem Eingreifen mit „erhobenem Zeigefinger“ nicht mehr Ernst genommen werden. Das „Schlampen“-, „Schwuchtel“, “Juden“- und „Opfer“- Gerede bleibt dann nicht nur von den meisten Mitschüler/innen unkommentiert. Aber macht es nicht einen Unterschied aus, ob in der Wut diese Ausdrücke benutzt werden oder z.B. „Arschloch“ oder „Idiot“? Korrekt ist das auch nicht, beinhaltet aber keine „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Und gegen diese wenden sich SOR.
Die Debatte um das Schimpfwort „Opfer“, gerade in Verknüpfung mit antisemitischen Konnotationen, wurde geführt in den von Migranten geprägten Vierteln Berlins. Stephan Voß weist darauf hin, dass seine Benutzung gerade bei männlichen Jugendlichen geprägt ist von „Abgrenzung vor dem Hintergrund der Angst, selbst zum Opfer zu werden... Junge Männer, die sich im Prozess des Erwachsenwerdens befinden, werden alle Anstrengungen unternehmen, andere zu finden, denen sie durch ihr Verhalten zeigen können, dass diese die eigentlichen „loser“ sind: Man will nicht der letzte auf der Stufenleiter sein.“ (Stephan Voß, „Du Opfer“ ,Berliner Forum Gewaltprävention, Nr. 12, S. 56f)

Diese Angst ist als Ausländer und Migrant, als Nichtetablierter, als von dem Gleichberechtigungsanspruch der Frauen „bedrohter“ und mit zunehmender Islamophobie konfrontierter junger Mann vielfältig und nachvollziehbar. Angesichts der hohen Zustimmung zu islamophoben Items, muss ein solcher junger Mann daran zweifeln, in Deutschland willkommen zu sein; hätten doch „53 % Probleme damit, in eine Gegend zu ziehen, in der viele Muslime wohnen“. ( Heitmeyer, S. 23)

Haltung

Item

Zustimmung
in %

Islamophobie

„Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden.“

„Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land

22,6%%


30,2%

Gerade weil SOR eine gewaltfreie, von Respekt und Anerkennung geprägte Schule anstrebt, wird die Rolle als „Opfer“ von Diskriminierung nicht einseitig gesehen. „Jeder kann Täter und Opfer von Ungleichwertigkeit sein“ (Heitmeyer; S. 301) Deshalb nimmt das Konzept nicht nur eine Haltung gegen Islamophobie ein, sondern auch gegen den Islamismus: „Wie hält es der Islam mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und den individuellen Freiheitsrechten? ...Wie macht sich Islamismus in unserem Alltag bemerkbar? Wird die Geschlechterfrage im Schulalltag vom Islam beeinflusst? Wie gehen wir mit Intoleranz und menschenverachtenden Ideologien bei den Minderheiten um? Wie mit Intoleranz und menschenverachtenden Ideologien bei der Mehrheit?“ Gerade hier fühlen sich viele Schüler/innen und Lehrer/innen überfordert. „Das kann nicht überraschen, da es in diesem Bereich bislang an für die schulische Praxis geeigneten Fortbildungs- und Informationsmaterialien sowie an ausreichenden Fortbildungsangeboten für PädagogInnen fehlt.“ Hinzu kommt, dass in islamistischen Organisationen geschulte Schüler „bei Diskussionen im Klassenzimmer für sich die Definitionshoheit darüber (reklamieren), wie der Islam und seine Lehre zu interpretieren sind, was richtig und was falsch ist“. (Kleff/Seidel, S. 34)
Angesichts dessen bietet SOR auch zu diesem Themenfeld Unterrichtsmaterial.

Einmischung in die Politik

Schließlich: SOR ist kein Projekt, das „Kirchturmpolitik“ betreibt. Es hat die eigene Schule im Blick, mischt sich aber auch in die Politik ein. Bei den antifaschistischen Demonstrationen in Gröpelingen und der Neustadt in den letzten Jahren, waren Schüler/innen und Lehrer/innen aus den entsprechenden Schulen dabei. Sie versuchen auch, ihr Konzept eines öffentlichen Raumes ohne Rassismus aus der Schule heraus in die Stadt zu tragen. Eine bundesweit beispielgebende Aktion war hier die Kampagne „Bürgerschaft ohne Rassismus“ im Jahr 2006, bei der sich alle Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft auf die Ziele von SOR verpflichteten.
Angesichts der in der Einleitung angesprochenen Entwicklung gerade am rechten Rand brauchen wir mehr Schulen ohne Rassismus in Bremen.