In Deutschland bildete sich im vergangenen Sommer zudem der Nahost-Konflikt in kontroversen und polarisierenden Kundgebungen und Diskussionen ab. Spätestens seit dem ›Gazakrieg‹ 2014 haben sich auch bei uns die Fronten zwischen den sog. ›Israelfreunden‹ bzw. ›Israelkritikern‹ verhärtet. Wenn bereits der Dialog in unserer Gesellschaft so aufgeladen ist, ist dann ein Dialog zwischen ›den Feinden selbst‹ – also zwischen Israel und Palästina – überhaupt noch möglich? Sind sog. Dialogbegegnungen sinnvoll und realistisch? Jetzt im Mai finden in Deutschland die Feierlichkeiten anlässlich der ›50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel‹ statt. Die über Jahrzehnte dauernde Besatzungspolitik mit all den gewalttätigen Folgen bieten leider wenig Grund zum Feiern . Die Jugendlichen in Israel und Palästina, die sog. ›Generation Oslo‹ kennt bisher keine Friedenszeiten. Oslo war vor ihrer Zeit – die Jugendlichen wachsen seither mit immer wieder kehrenden Kriegen und Gewaltszenarien auf. Mauern und Checkpoints verhindern reale Begegnungen. Die Bereitschaft zum Dialog ist derzeit auf einem Nullpunkt. Hinzu kommt, dass auf ›legalem Wege‹ vor Ort keine Face to Face Begegnungen mehr stattfinden können bzw. dürfen. Die israelischen Jugendlichen werden bereits im Teenageralter mit dem Armeedienst konfrontiert: bereits im Alter von 15 Jahren wird das sog. ›Profil‹ festgelegt – die Militärlaufbahn ist die Station im Leben einer/s Jugendlichen in Israel. Fast alle Jugendlichen, die an unseren Dialogprogrammen teilgenommen haben, standen kurz vor ihrem Armeedienst. Nur sehr wenige von ihnen hatten zu dem Zeitpunkt eine Möglichkeit der Verweigerung ins Auge gefasst.
Neuere Befragungen in israelischen Schulen zeigen auf, dass rassistische Äußerungen über ›die Araber‹ deutlich zugenommen haben: Idan Yaron und Yoram Harpaz haben die Ergebnisse ihrer Interviews in dem aktuellen Buch ›Szenen aus dem Schulleben‹ veröffentlicht. Die geäusserten Ansichten sind erschütternd.
Auf palästinensischer Seite sind die Vorurteile meistens nicht weniger: die junge Generation hinter der Mauer erlebt Israelis fast nur noch in Uniform bzw als Siedler, die ihnen das Land und die Würde nehmen. Viele palästinensische Kinder und Jugendliche machen zudem die Erfahrung mit der sog. ›Administrativhaft‘. Da reicht schon ein Stein! Was viele palästinensische Jugendliche von einer Teilnahme an Dialogbegegnungen abhält, ist der Vorwurf der ›Normalization‹: da gilt die Teilnahme an Dialogprogrammen als Unterstützung der israelischen Vorherrschaft und als Alibishow. Der Anpassungsdruck ist hoch und Jugendliche (und ihre Eltern sowie die NGO‘s) müssen sich verteidigen, wenn sie an solchen Begegnungen teilnehmen möchten. Viele ehemalige ›Cross border‹ Programme sind zum Erliegen gekommen. Auch wir im LidiceHaus diskutieren jedes Jahr aufs Neue die Sinnhaftigkeit dieser Begegnungen. Jugendliche sollen schließlich gestärkt (›empowert‹) aus den Seminaren herausgehen – und nicht mit zusätzlichen Problemen.
Das LidiceHaus hat in den vergangenen fünf Jahren mit Jugendlichen der Oberschule Leibnizplatz zwei Dialogprojekte (mit jeweils mehreren Seminaren in Bremen sowie in Israel bzw. Palästina) durchgeführt – gemeinsam mit den Partnerorganisationen in Israel und Palästina. Das erste Projekt fand mit Jugendlichen aus der Westbank statt, im zweiten Projekt haben dann jüdische und palästinensische Jugendliche aus Israel teilgenommen.
Alles was vor den Begegnungen ›Theorie‹ war, geschah ganz hautnah: in einem der Seminare im LidiceHaus rannte z.B. ein israelisches Mädchen weinend aus dem Raum, weil sie nicht hören konnte und wollte, was ein palästinensischer Junge aus der Westbank über die israelischen Soldaten sagte. Und wir mussten den palästinensischen Jugendlichen verständlich machen, dass eine erlebte Kassamrakete (auch wenn sie ›nur‹ ein Haus beschädigt und keine Menschen tötet) genauso traumatisieren kann wie mehrtägige Bombadierungen durch israelisches Militär in Gaza.
Die jungen PalästinenserInnen mit israelischem Pass fühlen sich ›zwischen allen Stühlen‹: sie wissen darum, dass es ihnen einerseits besser geht als den Jugendlichen in der Westbank und fühlen sich gleichwohl diskriminiert und angefeindet. Und unsere Bremer TeilnehmerInnen? Zu Beginn war es wirklich nicht leicht für sie – aber nach und nach wurden sie selbstsicherer und achteten darauf, mit möglichst allen im Kontakt zu bleiben. Meistens werden die deutschen TeilnehmerInnen von ›beiden Seiten‹ gedrängt, Position zu beziehen und aufgefordert, sich doch mehr einzubringen. ›Die Anderen sind ja viel politischer als wir‹: eine Äußerung, die oft kam! Dialogarbeit mit Jugendlichen aus Konfliktregionen kann nicht ohne Konflikte geschehen und ein Dialog muss ergebnisoffen sein. Aber wenn sich Jugendliche über einen längeren Zeitraum kennenlernen können, und dies auch in intensiveren Dimensionen, dann können Wandlungsprozesse möglich gemacht werden. Wichtig und entscheidend ist aber die Frage nach einer Nachhaltigkeit: haben die Jugendlichen UnterstützerInnen in ihrem Engagement? Haben sie auch nach den Seminaren ein vertrauensvolles Netzwerk? Für uns Projektverantwortliche bleibt die Frage: wieviel und WAS alles soll ›pädagogisch moderiert‹ werden und wieviel Raum darf sein für Emotionen. Wo sind die Grenzen zwischen Seminarmoderation und psychologischer Intervention bzw. Konfliktintervention?
Jede Begegnung muss aufs Neue konzipiert und entwickelt werden. Wir im LidiceHaus werden uns auch weiterhin dem komplizierten ›Dreiecksverhältnis‹ stellen.
Im September wird es ein nächstes Seminar im LidiceHaus mit jüdischen und palästinensischen StudentInnen aus Haifa geben: dafür suchen wir noch interessierte StudentInnen aus Bremen.
»Unsere Pflicht ist es, vergangene Fehler in Frage zu stellen und eine heile Zukunft anzustreben. Es geht darum, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, in dem man wegkommt von der Einstellung ›Wer den Frieden wünscht, bereitet sich auf den Krieg vor‹ hin zu der Haltung ›Wer den Frieden wünscht, bereitet den Frieden vor‹.
Wahrer Friede begegnet uns, wenn er Teil unserer Träume und unserer Wirklichkeit wird – wenn wir uns darauf vorbereiten« (Dan BarOn und Saliba Sarsar über den Holocaust und die Nakba / 2006).
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