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Bildungspolitik

„Riesige Brocken“ warten auf Umsetzung

Interview mit der neuen Kinder- und Bildungssenatorin Sascha Aulepp

Sascha Aulepp ist seit einem knappen halben Jahr Senatorin. Im Gespräch mit dem bildungsmagaz!n nimmt sich die ehemalige Richterin und SPD-Landesvorsitzende in ihrem Büro mehr Zeit als verabredet. Sie äußert sich zum Personalmangel an Bildungseinrichtungen, zur Coronapolitik und über den Stellenwert der GEW. Bei ihren Antworten und Einschätzungen hört man ihr Engagement für das neue Amt heraus. Aber sie ist vorsichtig. Konkrete Zielsetzungen vermeidet sie. Klar ist sie am ehesten in ihrer Forderung nach einer Impfpflicht für Erwachsene. Es ist ein erstes Kennenlernen.

Sie kennen das Bremer Schulsystem bisher vor allem von Ihren Kindern. Was war Ihr lustigstes und ärgerlichstes Erlebnis?

Begeistert hat mich das fächer- und jahrgangsübergreifende Arbeiten in der Grundschule und später an der GSM. Super war auch, dass alle Beschäftigten in Schule mitgearbeitet haben, Schule zu einem schönen Ort für Kinder zu machen. Ein bisschen schade war, dass beim freien, selbstbestimmten Arbeiten vor allem in der Oberschule nicht immer diejenigen Kinder, die mehr Anleitung brauchten, mitgenommen wurden. Ich erinnere mich an die Bemerkung eines Lehrers: Wenn die Mathe nicht machen wollen, dann kann man ihnen auch nicht helfen. Das ist eine Haltung, die ist nicht in Ordnung.

Unser Schwerpunktthema in diesem Heft ist die Frage „Wozu brauchen wir die GEW?“ Wozu braucht das Bildungsressort die GEW?

Eine Gesellschaft insgesamt braucht eine starke Interessenvertretung der Beschäftigten, in der sich die Kolleginnen und Kollegen für ihre Angelegenheiten einsetzen. Ich bin bei ver. di und Gewerkschaftsmitglied aus Überzeugung. Die GEW als Bildungsgewerkschaft will und muss im Bildungsbereich etwas bewegen. Um das Beste rauszuholen für ein System, in dem wir Kinder und Jugendliche so gut wie möglich stützen, müssen wir in Diskussionen gehen und uns fragen, was ist denn wirklich das Beste? Dazu braucht man gewiss gute Beschäftigungsbedingungen. Und da ist gewerkschaftliche Interessenvertretung wichtig. Ich würde mir wünschen, dass es noch mehr Kolleginnen und Kollegen gäbe, die sich engagieren.

Die Interessenvertretungen mussten leider registrieren, dass es eine „Schwarze Kasse bei der Stadtteilschule“ gegeben hat. Neun Millionen Euro sind dort geparkt worden. Wie kann man das in Zukunft verhindern? Was hatte die Aufarbeitung für ein Ergebnis?

Es wird noch aufgearbeitet. Gut ist, dass kein Geld zweckentfremdet oder privat abgezweigt worden ist. Das Geld ist gesichert. Was ich daran am schlimmsten finde ist, dass das Geld nicht für Kinder ausgegeben werden konnte. Als Konsequenz haben wir eine neue Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beauftragt, die sich den ganzen Bereich Zuwendungen genau anguckt.

Auch die aktuelle Pandemiesituation hat dazu geführt, dass einige Vorhaben im Koalitionsvertrag im Bereich Bildung wie zum Beispiel Schulbau oder Doppelbesetzungen auf Eis gelegt wurden. Wie lange müssen wir warten, bis alle Punkte abgearbeitet sind?

Der Koalitionsvertrag ist insgesamt – nicht nur im Bereich Bildung – ein Programm, was deutlich über vier Jahre hinausweist. Nicht alle Vorhaben sind innerhalb einer Legislaturperiode umgesetzt. Jetzt kommt es konkret darauf an, zu gucken, was die Kinder am dringendsten brauchen. Ein riesiger Brocken ist es, für alle einen Kita- und Schulplatz zu bieten und auch das Personal zu finden, welches mit den Kindern gut arbeiten kann. Bei den Doppelbesetzungen müsste ich derzeit verschieben – aus der einen Schule oder Klasse in die andere. Es fehlen einfach Fachkräfte.

Wie wollen Sie die dringend benötigten Fachkräfte in die Kitas und Schulen bringen? Wie lässt sich die Attraktivität der Stellen erhöhen?

Zu wenig Fachkräfte heißt, diejenigen, die da sind, müssen einiges auffangen. Wir brauchen, und da sind Gewerkschaften und Personalräte wichtig, eine Qualifizierungsoffensive. Wir brauchen ausreichend Studien- und Referendariatsplätze und bei den Erzieher:innen attraktive Ausbildungsplätze. Die verdienen ja seit kurzem Geld während der Ausbildung. Aber diese Ausbildungen dauern. Wir müssen unsere Bildungseinrichtungen kurzfristig auch für andere Berufsgruppen öffnen, die jetzt unmittelbar in Kitas und Schulen arbeiten könnten und die sich dann berufsbegleitend weiter qualifizieren.

Damit sich die Attraktivität von Bildungsberufen nicht verschlechtert, dürfen sich diese von der Einkommensentwicklung nicht abkoppeln. Unterstützen Sie die Aktuelle Tarifforderung im öffentlichen Dienst von fünf Prozent, mindestens 150 Euro mehr?

Ich habe Verständnis für die Forderung. Aber auch hier gilt, dass Geld endlich ist. Wir müssen die Gesamtheit der Aufgaben in der Bildung im Blick behalten.

Sie haben über die Hilfe von anderen Berufsgruppen in den Schulen gesprochen. Der Seiten- und Quereinstieg ist aber nicht problemlos. In Bremen unterrichten viele Studierende. Das kann die Bildungsqualität gefährden.

Ich finde es besser, wenn angehende Lehrkräfte während des Studiums in der Schule jobben als in der Kneipe oder Taxi fahren. Da ist der Gewinn sowohl für die Kinder und Jugendlichen als auch für die Studierenden, die sich in der Schule qualifizieren könnten, größer. Sie dürfen natürlich nicht alleine in der Klasse stehen und auch keine Klassenlehrkraftaufgaben übernehmen.

Das ist aber oft so. Das Fachkräfteproblem könnte ein bisschen kleiner sein, wenn voll ausgebildete Lehrkräfte aus dem Ausland es leichter hätten, hier zu starten.

Die Abschlüsse von ausgebildeten Lehrkräften aus anderen Ländern nicht anzuerkennen, ist eine verschenkte Möglichkeit und auch integrationspolitisch falsch. Da müssen wir tatsächlich ran.

Zum leidigen Thema Corona: Glauben Sie, es ist möglich, angesichts der steigenden Zahlen, ohne Schulschließungen durch den Winter zu kommen?

Das ist mein oberstes Ziel. Man soll auch hier niemals nie sagen. Im Interesse der Kinder müssen wir es aber mit aller Kraft versuchen. In Präsenz wird besser gelernt, dort finden auch soziale Kontakte statt. Fälle von Kindeswohlgefährdung fallen in Präsenz eher auf. Die Hospitalisierungsrate der Kinder ist in Bremen stabil nahezu null. Die Intensivhospitalisierungsrate sowieso. Auf den Intensivstationen liegen in der Regel ungeimpfte Erwachsene. Das ist bundesweit so. Auch deshalb brauchen wir die Impfpflicht für Erwachsene und für unsere Kolleginnen und Kollegen.

Ihr Vorstoß zur Impfpflicht für Beschäftigte in der Bildung traf auf viel Kritik. Zum Beispiel, dass das ja gar nicht auf Länderebene entschieden werden könne oder ein Ablenkungsmanöver sei. Welches Fazit ziehen Sie?

Ich finde, wer für Kinder und Jugendliche im Beruf Verantwortung trägt, muss offen sein für das Argument, dass durch Impfung Ansteckungsketten minimiert werden. Solidarität mit Kindern ist Pflicht. Wer dafür nicht offen ist, muss verpflichtet werden. Es macht mich ehrlich gesagt fassungslos, dass diejenigen, die bei Kindern leichtfertig über Zwang reden, etwa wenn es um das Maskentragen geht, Pflichten für sich selbst nicht gelten lassen wollen. Das finde ich bigott. Wir haben das Instrument der Impfstatusabfrage genutzt und klar ist: Sehr viele Beschäftigte haben sich erfreulicherweise impfen lassen. Einige jedoch nicht.

Werden Sie die Ergebnisse der Abfrage offenlegen? Und stehen dann arbeitsrechtliche Konsequenzen im Raum?

Es ist immer gut zu wissen, was ist. Da halte ich es mit Rosa Luxemburg. Was die Zahlen betrifft, da sehe ich nichts, was gegen die Veröffentlichung spräche. Rechtliche Konsequenzen wären nur fällig, wenn es eine bundesgesetzliche Impfpflicht gäbe. Wir könnten aber unter Umständen ungeimpfte Beschäftigte zur täglichen Testung verpflichten.

Im Moment wird wieder über Cannabis-Freigabe diskutiert. Wie stehen Sie, als Jugendrichterin und Mutter dazu?

Es gibt viele Substanzen und Aktivitäten, die süchtig machen können. Etliche sind nicht verboten, und es würde auch unsere Gesellschaft nicht weiterbringen, alles zu verbieten. Dennoch müssen wir mit den Folgen umgehen. Ich gestehe, ich bin skeptisch, denn ich habe als Betreuungsrichterin drogen-induzierte Psychosen nach Cannabis-Gebrauch erlebt, auch irreversible. Umgekehrt habe ich ebenso Menschen mit Korsakow gesehen - Alkoholmissbrauch kann mindestens so dramatische Folgen haben, vielleicht sogar häufiger. Kriminalisierung hilft allerdings auch nicht. Eine kontrollierte Abgabe über bestimmte Geschäfte, vielleicht sogar Apotheken, wäre vielleicht hilfreich. Dann bliebe die Sache immer noch ungesund. Aber das Risiko wäre besser wägbar.

Das Interview haben wir in der zweiten Novemberwoche geführt.