Wofür überhaupt ein Praktikum? Kommt der Unterricht da nicht zu kurz? Welche Jahrgänge sollen welche Praktika mit welchen Ausrichtungen haben? Und was sollen sie überhaupt bewirken? Solche Fragen hörte ich an allen Schulen, an denen ich bisher unterrichtete.
An unserer Schule wollen wir den Jugendlichen möglichst viele und lange Praxiskontakte ermöglichen, denn wir beobachteten, dass die Persönlichkeitsentwicklung der SchülerInnen so besonders positiv beeinflusst werden kann.
In den Jahrgängen 5-7 gibt es bei uns mit dem Zukunftstag bereits eine erste Annäherung an das berufliche Leben. Einkommensvergleiche allgemein und der Bezug zum Equal-Pay-Day sollen dies inhaltlich begleiten und Anregungen für die eigene Lebensplanung geben.
Der Bereich der Berufs- und Lebensorientierung in unseren jahrgangsübergreifenden Lerngruppen in den Jahrgängen 8-10 wird auf mehrere Wochen im Herbst gebündelt und der Schwerpunkt auf drei zeitgleiche dreiwöchige Praktika gelegt.
In Jahrgang 8 können sich unsere SchülerInnen bei ihrem ersten längeren Sozialpraktikum im Kindergarten in einer neuen Rolle erleben. Plötzlich von ganz vielen jüngeren Kindern als Vorbild, AnsprechpartnerIn, TrostspenderIn oder StreitschlichterIn erlebt zu werden, ist eine große Herausforderung. Besonders in der ersten Woche sind viele so erschöpft, dass sie sich, wenn sie nach Hause kommen, schlafen legen müssen. Sich abzugrenzen von der Kindheit, selbst nicht immer toben zu können, sondern Verantwortung übernehmen zu müssen, bringt aber besonders die, die am liebsten selbst noch sehr viel spielen und toben wollen, in ihrer Entwicklung weiter. So kehren unsere SchülerInnen doch fast alle etwas „größer“ und reflektierter in die Schule zurück!
In Jahrgang 9 begegnen sie im Betriebspraktikum neuen Herausforderungen. Wenn es gut läuft, können sie Interessen, Fertigkeiten und Wissen vertiefen und schon einmal in ein Berufsfeld hineinriechen, das für sie in Frage kommen könnte. Und manche bleiben auch nach dem Praktikum dran. Aber viele sagen auch: Jetzt weiß ich, was ich nicht machen möchte! – Diese Erkenntnis hat nicht selten den Effekt, motivierter im Unterricht zu sein und sich um einen besseren Abschluss zu bemühen.
Die Praktika verlaufen in der Regel dann schlecht, wenn unsere SchülerInnen in den Betrieben kaum und nicht angemessen beschäftigt werden. Sie langweilen sich und sind dann evtl. von einem Berufsfeld abgeschreckt, das ihnen eigentlich liegen könnte. Da müssten sich die Betriebe schon fragen, ob sie ihrem eigentlichen Ziel, für den Beruf zu werben, gerecht werden.
Wie nah das beieinanderliegen kann, erleben zwei Schüler*innen im Krankenhaus. Die eine Schülerin langweilt sich in diesen drei Wochen, weil sie wenig Interessantes zu tun bekommt. Die andere Schülerin auf der Nachbarstation wird stets abwechslungsreich eingesetzt und kann sich nun gut vorstellen, in Zukunft in diesem Bereich zu arbeiten.
In Jahrgang 10 wird die Berufsperspektive konkreter. Die Frage: „Will ich das machen?“ steht viel stärker im Fokus. Ein weiteres Sozialpraktikum kommt für die SchülerInnen in Frage, die in die gymnasiale Oberstufe gehen werden, um sich erneut in einer helfenden Rolle zu erleben (Das Sozialpraktikum ist am Standort Brokstraße in Jg. 10 das verpflichtende Praktikum und das Betriebspraktikum die Alternative).
Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit dem dreijährigen Rhythmus der dreiwöchigen Praktika. In jedem Jahr gibt es neue Herausforderungen, an denen unsere SchülerInnen wachsen und die sie in ihrem eigenen Lernen voranbringen. Vor dem Hintergrund der gekürzten AL-Stunden ist diese vermehrte Praxis doppelt wichtig. Auch Rückmeldungen aus Kindergärten und Betrieben bestätigen uns, dass unser Praktikumskonzept vorteilhaft ist und die SchülerInnen nachhaltig beeinflussen kann.