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Kurdische Bewegung

Plutonium für Rojava

Von Freunden und Feinden des Westens Lektionen für die kurdische Selbstverwaltung in Rojava nach dem Einmarsch der türkischen Armee Ein Kommentar

Über die die gesellschaftlichen Reformen, die unter Führung der PYD im Norden Syriens stattfinden, erfährt man hierzulande wenig; lediglich in alternativen Medien wird ausführlicher berichtet. Großen Tageszeitungen und Fernsehsender greifen das Thema nur sporadisch auf. Die Mainstream- Berichterstattung in Deutschland gibt sich in de Regel mit einem Schlüssel- oder besser Schlagwort  zufrieden: Terrorismus.

Gewollte Unwissenheit

Berichte von Einzelpersonen oder Organisationen, die vor Ort gewesen sind - exemplarisch Medico International - hören sich in der Regel anders an, werden aber kaum zur Kenntnis genommen. Weithin herrscht vielmehr eine gewisse Unwissenheit, eigentlich eher Ignoranz gegenüber den Entwicklungen innerhalb der kurdischen Linken, die sich in einem Transformationsprozess weg vom marxistisch-leninistisch inspirierten Befreiungsnationalismus der Anfangsjahre mit seiner bisweilen ruppigen Kaderpolitik befindet. Schon seit den Neunzigern haben sich Abdullah Öcalan und seine Führungsriege auf neue theoretische Wege begeben:
Orientiert an Ideen des amerikanischen Anarchisten Bookchin verfechten sie das Konzept eines konföderalen Zusammenlebens verschiedener kultureller Gemeinschaften auf Basis eines demokratischen „Gesellschaftsvertrages“, das in Rojava in Ansätzen - soweit es die Situation des Krieges zulässt - realisiert wurde.

Ein politisches Experiment

Es sieht eine konsequente Gleichberechtigung der Muttersprachen vor, übergibt die lokale und  regionale Entscheidungsgewalt an Räte, die sich aus allen kulturellen Gruppen und Religionen zusammensetzen.

Alle Führungspositionen sind paritätisch mit Männern und Frauen besetzt, wie überhaupt die Gleichstellung der Frau ein wesentliches Moment der konföderalistischen Politik darstellt.
Ihre Durchführung ist vor allem in den patriarchal geprägten dörflichen Strukturen eine große Aufgabe. Das zweite bemerkenswerte Moment ist die Abkehr vom nationalistischen Paradigma der ethnischen Einheit von „Volk“ und „Territorium“. Man mag einiges diskussionswürdig finden, etwa die Frage, auf welcher ökonomischen Grundlage das Gesellschaftsmodell ruhen soll. Dennoch ist die Abkehr vom Nationalismus, die Insistenz auf Frauenpolitik und im Übrigen der behutsam eingeführte Säkularismus für den Nahen Osten potentiell revolutionär.

Die Partner des Westens - drei kurze Steckbriefe

Werfen wir im Gegenzug einen Blick auf die Mächte, mit denen der Westen sich partnerschaftlicher Beziehungen rühmt. Die Diktatur der Mullahs im Iran gießt mit ihren Revolutionsgarden Öl ins Feuer des syrischen Bürgerkrieges. Religion als Herrschaftsinstrument, in den Händen einer fromm-kapitalistischen Oligarchie aus Geistlichen, Militärs und Industriellen, die ihre hegemonialen Ansprüche mit antisemitischen Tönen auflädt - das hat deutsche Kanzlerlnnen noch nie abgehalten, mit einschlägigen Wirtschaftsführern im Schlepptau hinzureisen und gute Beziehungen anzubahnen. Saudi-Arabien ist ein spätfeudales Fürstentum, existiert überhaupt nur noch, da es es mit seinen Ölfeldern und der wahhabitischen Herrschaftsclique vermeintlich für stabilen Handel in der Region bürgt, zumal es demokratische Umständlichkeiten wie eine saudische Opposition nur im Exil gibt. Mit den Petro-Dollars schürt man Bürgerkriege, etwa im Jemen, und verbreitet den wahhabitischen Islam durch Export von Moscheen samt Ideologie, im Moment sehr ausgreifend auf dem Balkan. Die Türkei, Nato-Bündnispartner und bezahlter Türsteher Europas zur Flüchtlingsabwehr, hat zu Anfang des Bürgerkrieges das Mörderpack des IS unterstützt, um Assad zu schaden und es gibt Hinweise, dass sie es immer noch tut. Unbestritten finanziert sie ihre eigenen dschihadistischen Gruppen, um die syrische Souveränität zu schwächen und ihre Claims abzustecken.
Während Saudi-Arabien und die Türkei regelmäßig von Europa und den USA mit Waffen beliefert werden, bemüht man sich beim Iran, das Atomabkommen wiederaufleben zu lassen, ebnete es doch den Weg für florierenden Handel.

Lektionen einer imperialen Weltordnung

Um vom Westen anerkannt zu werden, sollte die kurdische Bewegung in Syrien sich also ein Beispiel an diesen Mächten nehmen. Anstatt religiöse Toleranz zu proklamieren, ist politische Islamisierung angesagt, mit Kopftuchzwang und Gefängnis für Frauen, die sich ihm verweigern, wie Wida Mowahed. Religionskritische Blogger sollten, gleich Raif Badawi, mit einer neu einzuführenden Prügelstrafe gefoltert werden.
Oppositionelle sind von Killerkommandos im Ausland aufzuspüren und zu zerstückeln, nach des saudischen Prinzen Salmans Methode gegenüber seinem Kritiker Khashogi.
Missliebige Journalisten, wie Ahmet Altan in der Türkei, sind wegen ihrer Artikel zu lebenslanger Haft zu verurteilen. Unbedingt müssten die Kurden Bürgerkriege in den Nachbarländern anfachen. Und waffenfähiges Plutonium wird sich doch wohl besorgen lassen - so dass Europa dann mit Verhandlungsangeboten aufwartet. Ölfelder gibt es in Rojava auch. Mit brutaler Herrschaft im Inneren, militärischer Machtentfaltung nach außen und diplomatischer Verhandlungsbereitschaft wird sich ein Plätzchen in der imperialen Weltordnung der neuen Blöcke schaffen lassen. Dann kommt vielleicht sogar Außenminister Maas zu Besuch und redet, zur Abwechslung, nicht von türkischen sondern auch von kurdischen Sicherheitsinteressen. Und am Ende fällt sogar das PKK-Verbot.