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Bildungsqualität

Ort der Ertüchtigung

Gymnasiale Bildung oder Einheitsschule?

Bild aus dem Schulmuseum Bremen

Im antiken Griechenland war ein Gymnasium ein Ort der geistigen und körperlichen Ertüchtigung für die männliche Jugend. In Deutschland geht die Entwicklung der Gymnasien zurück bis zu den mittelalterlichen Klosterschulen, die nach der Reformation im 16. Jhd. zu Lateinschulen umgestaltet wurden.

1812 wurde mit der Einführung der staatlichen Gymnasialordnung die alte Lateinschule reformiert. Sie unterlag dem Prinzip der allgemeinen Bildung und stand unter besonderer Berücksichtigung klassischer Sprachen und Bildungsgüter. In der Folgezeit entwickelten die Beamten einen verbindlichen Lehrplan, der 1837 erlassen wurde. Die Zugangsberechtigung zum Hochschulstudium war nun an die gymnasiale Reifeprüfung gebunden und nicht mehr an die Geburt. Die finanziellen Mittel zum Besuch des Gymnasiums konnten allerdings nur vom Besitz- und Bildungsbürgertum, sowie dem Adel aufgebracht werden.

Nach der Einführung der allgemeinen Schulpflicht im Jahre 1844 wurde auch in Bremen das Schulwesen mehr und mehr verstaatlicht. Die Zahl der „niederen Privatschulen“ sank von 59 im Jahre 1848 auf 2 im Jahre 1889. Die Volksschulen waren eingeteilt in „Freischulen“ und „entgeltliche Schulen“. Dieses zielte darauf ab, den Kindern des finanzkräftigeren Kleinbürgertums eine bessere Schule als denen der mittellosen Arbeiter anzubieten. Beide Schultypen unterschieden sich außer in der Schulgeldfrage lediglich in den Klassenfrequenzen. Ansonsten unterrichteten einheitlich besoldete Lehrer nach dem gleichen Lehrplan. Das sprunghafte Anwachsen der Arbeiterschaft führte dazu, dass die Anzahl der Freischulen wesentlich schneller anstieg, als die der entgeltlichen Schulen. 1901 gab es 14 entgeltliche und 9 Freischulen, 1907 16 entgeltliche und 19 Freischulen.

Ständisches Schulwesen

Die Schulpolitik des Senats in dieser Zeit zielte darauf ab, die Effizienz des Schulwesens zu steigern. Es musste den sich rasch wandelnden ökonomischen Bedingungen angepasst werden. Dabei wurde der Grundsatz verfolgt, die finanziellen Aufwendungen für das Schulwesen möglichst niedrig zu halten. Die ständische Gliederung war für das herrschende Schulwesen charakteristisch.

Nebeneinander bestanden drei in sich abgeschlossene Schulsysteme: für Knaben des gehobenen Bürgertums der Weg über die privaten Vorschulen auf die verschiedenen realen und gymnasialen Schultypen; für die Mädchen der gleichen Schicht die höheren Mädchenschulen vom 1. bis zum 10. Schuljahr; für die Kinder des Kleinbürgertums und der Arbeiterschaft die entgeltliche und unentgeltliche Volksschule mit acht Jahrgängen.

Die schulischen Aufstiegsmöglichkeiten der Volksschüler waren ziemlich gering. Ein Indiz dafür ist der verschwindend geringe Prozentsatz von 0,5% Anteil Volksschüler an höheren Schulen im Jahre 1907. Der Klassencharakter dieses Schulwesens lässt sich auch an den finanziellen Aufwendungen des Senates für die einzelnen Schultypen ablesen [Anm.: vgl. Dirk Hagener: Radikale Schulreform zwischen Programmatik und Realität, S. 15 ff.]:

Schule Ausbildungskosten/ Schüler Klassenfrequenzen Verhältnis Lehrer/Schüler
Gymnasium 467,40 Mark 23,5 16,9
Realschule 205,87 Mark 28,2 20,7
Volksschule 52,72 Mark 48,6 42,5

Durch die Novemberrevolution 1918 bestand die Möglichkeit einer Umgestaltung des Schulsystems. Es entstand die Idee der Einheitsschule, einer klassenlosen, öffentlichen, kostenfreien, weltlichen, koedukativen Schule mit einheitlichen Lehrplänen.

In der Weimarer Verfassung blieb von dieser Idee allerdings nicht mehr viel übrig.

 

Reformansätze

Antonio Gramsci (1891 - 1937), 1921 Mitgründer der Kommunistischen Partei Italiens (PCdI), entwickelte ein Schulkonzept, basierend auf einem humanistischen Ansatz, wonach eine allgemeine Bildung einer den gesellschaftlichen Realitäten entsprechenden Persönlichkeitsentwicklung dienen soll. Er entwarf ein Konzept der „kreativen sozialistisch-humanistischen“ Einheitsschule. Seine Kritik am gegliederten Schulsystem begründet er damit, dass es soziale Ungleichheiten zementieren würde, indem für jede soziale Schicht ein eigener Schultyp geschaffen wird. Er fordert sogar die Aufteilung in allgemeinbildende und berufsbildende Schulen aufzuheben. In der Einheitsschule sollen die Schüler in allen 10 Jahrgangsstufen miteinander verbunden bleiben und kollektiv lernen. [Anm.: vgl. Wikipedia „Einheitsschule“]

 

Schulkonkurrenz in Bremen

Ähnliche Ansätze gab es auch in Deutschland, sie konnten sich in Bremen jedoch nicht durchsetzen. Eine unter der Leitung von Prof. Wolfgang Klafki eingesetzte Schulreform-Kommission kommt 1993 zu dem Schluss, dass „kein begründeter Anlass“ bestehe „eine prinzipielle Revision des Schulaufbaus nämlich des Stufenprinzips zu empfehlen“. 1992 beschließt der Bremer Senat bereits den Erhalt der zwei noch bestehenden, durchgängigen Gymnasien und den Aufbau von zwei weiteren. Der Bremer Senat geht noch weiter. In der Novellierung des Schulgesetzes 1994 wird der §3, der zur Integration des Schulsystems verpflichtete, gestrichen.

Mit dem „Ortsgesetz über die Schulstandortzuweisung und Schulstandortwahl“, das die Schulbezirke nach der Grundschule aufhob, werden bis heute alle weiterführenden Schulen einschließlich der restaurierten Gymnasien in eine gnadenlose Konkurrenz um Schüleranwahlzahlen gehetzt, die einer sozialen und leistungsmäßigen Entmischung massiv Vorschub leistet.  [Anm.; [1]vgl. Jürgen Burger: Vom Lehrerverein zur Bildungsgewerkschaft 1826-2016]

 

Wie ist die Situation heute?

Seit 2010 gibt es in Bremen ein zweigliedriges Bildungssystem, bestehend aus dem Gymnasium und der Oberschule, die sich aus der Umwandlung von Sekundar- und Gesamtschulen gebildet haben.

Mittlerweile ist Konsens, dass der Bildungserfolg eng mit der sozialen Herkunft verknüpft ist. Parallel dazu hat sich die Zahl der Abiturienten seit 1950 nahezu verzehnfacht. Damit einher geht ein dramatischer Verlust von Bildungs- und Unterrichtsqualität und eine Inflation von Noten und Schulabschlüssen.

Aus Angst vor schlechteren Bildungschancen steigen die Schulanwahlzahlen der Gymnasien kontinuierlich. Oberschulen ohne eigene Oberstufe verkommen zunehmend zu Restschulen. Der Bildungshaushalt ist seit Jahrzehnten chronisch unterfinanziert. Die Arbeitsbelastung aller an Schulen Beschäftigten ist auf ein unerträgliches Maß gestiegen. Die Schulgebäude sind weitestgehend in einem desolaten Zustand.

 

Es ist Zeit zu handeln!

Das deutsche Schulsystem, mit seiner frühen Aufteilung, steht im internationalen Vergleich völlig isoliert dar. Auch das Zwei-Säulen-Modell überwindet die soziale Spaltung der Gesellschaft nicht, es reproduziert sie. Unter Bildungsforschern wird die „Schule für Alle“ als besseres System anerkannt, aber derzeit als politisch nicht durchsetzbar eingeschätzt. Also beschränkt man sich auf kleinere Reparaturen des Systems. [Anm.: vgl. Jürgen Burger: Die soziale Spaltung wird reproduziert, 2018]

Vor diesem Hintergrund und der Umsetzung der Inklusion in allen Schulformen, kann die einzigmögliche Konsequenz nur eine grundlegende Umgestaltung des deutschen Schulsystems hin zu einer demokratischen Gemeinschaftsschule, einer Schule für Alle, einer Einheitsschule sein, die eine wirkliche Chancengleichheit herstellt und sich an humanistischen Bildungsidealen und nicht an wirtschaftlichen Interessen orientiert.

Voraussetzungen dafür sind die Abschaffung der Gymnasien, die Aufhebung der freien Schulwahl (Schulen als Spiegel ihres Stadtteils), eine bedarfsgerechte Ressourcenverteilung der Bildungsausgaben und eine enge Verzahnung und ebenbürtige Wertschätzung von allgemeiner und beruflicher Bildung.