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Nachruf

Wir trauern um Ulrich Thöne

Er war GEW-Vorsitzender von 2005 bis 2013

Damals, am 1. Mai, betrat Ulrich Thöne die Bühne, um die Rede zum Tag der Arbeit zu halten. Das tat er akzentuiert kämpferisch und indem er präzise den Nerv der Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer traf. Mindestens 3.000 Menschen standen während dieser Kundgebung auf dem Platz, manche zunächst mit unklaren Erwartungen, schließlich war der Vorsitzende der GEW, der Bildungsgewerkschaft, angekündigt, von Profession, es hatte sich herumgesprochen, ein Lehrer, wenn auch vorab mit solider Berufsausbildung bei der Deutschen Bank. Aber: Je länger die Rede dauerte, je mehr Ulrich die tatsächlich existenziellen Fragen und Sorgen des Publikums auf den Punkt analysierte, die ökonomischen Hintergründe auswies und gesellschaftspolitische Perspektiven ableitete, desto aufmerksamer verfolgten die Kolleginnen und Kollegen die Ansprache, nicht nur in den vorderen Reihen. Gewonnen hat Ulrich die Zuhörerinnen und Zuhörer, weil er sich in deren Situation einfinden konnte. Bei seinem Spezialthema war das naheliegend: Natürlich hilft Bildung, alle in der Menge wissen, dass Abschlüsse Eintrittskarten ins Arbeitsleben bedeuten und Zukunftschancen eröffnen, ebenso wie der erlernte Durchblick hilft, die Welt zu ordnen.

Aber der Vortrag musste die Stimmung auf den Werften treffen, ebenso jene im Energiesektor, in der Lebensmittelverarbeitung, beim Einzelhandel oder im Tourismus. Es zählen die Arbeitsplätze, von denen man ohne Aufstockung leben kann, die Ergebnisse der Tarifrunden, die Ausbildungsplätze in Branchen, die eine Zukunft haben, der Mindestlohn und die Höhe der Renten. Ulrich gelang es, diese Zusammenhänge kompetent zu benennen und das Gefühl der Leute anzusprechen – in einem, großzügig gesprochen, weltumspannenden Rahmen.

Die Stände der internationalen Vereine nämlich, die diese Maikundgebung einrahmten, waren nicht Folklore, das originale portugiesische Fischbrötchen zeigte, dass Arbeitsmigration tagtäglich stattfindet. Ulrich hat sie alle in seine Gedanken einbezogen und herausgestellt, dass die Finanzierung der Lebensumstände nicht stimmt, weder in Deutschland noch in anderen Gebieten der Erde und eine Besserung nur zum Erfolg geführt werden kann, wenn im Kampf um die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nationale Grenzen überschritten werden. Darum gelte es, so Ulrich, weiterhin zusammenzuhalten, gegen Schuldenbremse und mediale Verschleierungen, denn eine soziale und demokratische Gesellschaft müsse erstritten werden, immer wieder.

Die Ungerechtigkeit hat Ulrich angetrieben. So beginnt der zitierte Zusammenhalt bei den Jungen, überall auf dem Globus. Stetig, unabhängig von großen Versammlungen, verwies Ulrich auf die wiederkehrende Reproduktion von Elend und Armut, insbesondere die Ausbeutung von Kindern. „Bildung statt Kinderarbeit“, der Leitgedanke und die Realisierung der GEW-Stiftung „fair childhood“, sind auf Ulrichs Engagement zurückzuführen. Mit den Möglichkeiten der GEW sollte in Indien, Albanien, Uganda und anderswo konkret geholfen werden, so bescheiden sich diese Unterstützung angesichts der bestehenden Notlagen auch ausnehmen mag. Aber: Ulrich ging es um das Menschenrecht auf Bildung, zu dessen Umsetzung jeder Schritt zählt.

Am Ende eines 1. Mais werden die Fahnen noch einmal geschwenkt und der Beifall zeigte, dass der Hauptredner Ulrich Thöne die Kolleginnen und Kollegen ermutigt hatte, für ihre Interessen einzutreten und sie in der Gewissheit stärkte, durch ihre Gewerkschaft dem Druck des Kapitals nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Ulrich ist sich dabei treu geblieben: Schon bei seiner Wahl zum Vorsitzenden der GEW im Jahre 2005 stellte er das Kämpferische in den Vordergrund, seine Inhalte wie Arbeitsbedingungen, Bildungsfinanzierung, Steuerpolitik und Erhalt des Sozialstaates bleiben wichtige Felder gewerkschaftlicher Arbeit.

Analysen und Bestärkungen müssen nun jedoch endgültig andere Kolleginnen und Kollegen übernehmen. Ulrich Thöne ist im Alter von 69 Jahren in Berlin verstorben.