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Willkür als Regierungsprinzip

Situation in der Türkei / Veranstaltung des GEW-Arbeitskreises Internationales

Der erst seit wenigen Monaten existierende GEW-Arbeitskreis Internationales hat zu einer Informationsveranstaltung zum Thema Türkei: Gleichschaltung der Bildung? eingeladen und etwa 100 Menschen kamen. Auf dem Podium saßen die Soziologen Dr. Cetin Gürer und Dr. Ulrike Flader sowie die Generalsekretärin der türkischen Lehrergewerkschaft Egetim Sen, Sakine Yilmaz, die alle drei aus politischen Gründen die Türkei verlassen mussten.

Zuerst beschrieb Flader, die Frau von Cetin Gürer, die Willkür des System, die sie am eigenen Leib dadurch erfahren hat, dass sie genauso wie ihr Mann ihre Stelle an der Universität in Istanbul verlor, weil ihr Mann die Petition der Akademiker für den Frieden zusammen mit 1117 anderen unterschrieben hatte. Flader beschrieb die Stationen der Eskalation der vergangenen zwei Jahre: Von der Nichtakzeptanz der vorletzten Wahlen über Massaker und willkürliche Angriffe vor allem auf Städte in Kurdistan und die Entlassung vieler Menschen führte die Entwicklung zu einer totalen Militarisierung der kurdischen Städte, in denen viele Schulen zu Polizeistationen gemacht werden. Es werden willkürlich vor allem Frauen und Kinder erschossen und sogar verhindert, dass die Angehörigen die Toten bestatten können, so dass die Leichen tagelang auf den Straßen liegen. Aufgrund dieser Zustände spricht die Petition der Akademiker für den Frieden von Krieg gegen die eigene Bevölkerung: "Die Petition hat den Staat auf frischer Tat ertappt" und die Geschehnisse beim Namen genannt. Verbale Kritik wird als Gewalt bezeichnet und mit dem inflationären Gebrauch des Wortes "Terrorismus" durch Erdogan wird jegliche Kritik, die nicht auch die Kritiker kritisiert, zum Verbrechen.

Danach bezeichnete Dr. Gürer das Regierungssystem in der Türkei als faschistisch, auch wenn es noch nicht soweit ist, dass alle Oppositionsparteien und Organisation verboten sind. Dass der Faschismusvorwurf berechtigt ist, wird nicht nur durch die enge Verzahnung der Regierungspolitik mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem deutlich, sondern auch durch die so genannte Gleichschaltung durch Treudienst in allen öffentlichen Ämtern, das heißt nach der Entlassung von mehr als 30.000 Staatsbediensteten werden nach und nach alle öffentlichen Ämter mit AKP-treuen Personen besetzt und wenn davon nicht genügend zu finden sind, begleitet eine AKP-treue Person auch schon mal mehrere Ämter (Uni-Präsident, Dekan, Rektor, etc.) gleichzeitig. Insgesamt ist festzustellen, dass auf allen Ebenen Wahlen abgeschafft werden und Hochschulrektoren und Richter einfach nur eingesetzt werden.

Ähnlich wie 1933 der Reichstagsbrand Adolf Hitler sehr zu pass kam - auch damals fing die Verfolgung aller kritischen Kräfte an - so war auch der Putsch in der Türkei für Erdogan ein Geschenk Allahs: Ab sofort reichte für alle kritischen Kräfte der bloße Terrorismusvorwurf aus, um jemanden zu verfolgen, Beweise waren nicht mehr nötig und der juristische Weg, sich gegen solche Vorwürfe zu wehren, wurde unterbunden: "Wenn die Macht auf das Leben abzielt, wird das Leben zum Widerstand gegen die Macht!"

Zum Schluss ordnete die Generalsekretärin der Lehrergewerkschaft Egetim Sen Frau Sakine Yilmaz die Gleichschaltung des Bildungswesens politisch ein: Während früher das Bildungswesen laizistisch, wissenschaftlich und demokratisch aufgebaut war, wird es jetzt zunehmend islamisiert und im Sinne der AKP ideologisiert. Und die kurdische Sprache wurde früher und wird heute noch in den Schulen verboten. Mehr als 70.000 Lehrkräfte wurden suspendiert, davon allein 9.400 von der Lehrergewerkschaft Egetim Sen. Für 120.000 Kinder ist das Recht auf Bildung so gut wie abgeschafft. Vor allem in den Kurdengebieten wurden viele Schulen und Krankenhäuser zu Polizeistationen umfunktioniert. Nach ihrer Aussage ist das Ziel des Erdogan-Regimes, Angst zu verbreiten und die Bildung niedrig zu halten, denn wenig Bildung führt zu mehr Kindern, die dann zu Kinderarbeit und früher Verheiratung herangezogen werden können.

Gleichzeitig ist aber der Waffenimport aus Deutschland enorm angestiegen. D.h. in Deutschland und auch besonders in den Gewerkschaften in Deutschland sollte man sich überlegen, wie die Waffenproduktion zu drosseln oder ganz eingestellt werden kann, was insbesondere in Bremen - eines der Zentren deutscher Rüstungsindustrie - wichtig ist. Sakine Yilmaz forderte der Globalisierung der Unternehmen eine Globalisierung von unten entgegen zu setzen und ein erster Schritt dahin wäre, wenn die Gewerkschaften dafür sorgen würden, dass auf deutschen Boden keine einzige Waffe mehr produziert wird.