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Was bringt ein bundesweites Zentralabitur?

„Billig-Abi gegen Reifeprüfung“ heißt es polemisch auf dem Titelblatt des „Focus“ am 16. April. Die Zeitschrift beklagt die „große Ungerechtigkeit“, die entstehe, weil es keine einheitlichen Prüfungen gebe in Deutschland. Wer in Bayern oder Baden-Württemberg seine Abschlussprüfung absolviere, müsse für vergleichbare Noten deutlich mehr leisten als ein Abiturient aus Bremen oder Brandenburg. Als Beleg dafür werden unter anderem die PISA-Tests und Ergebnisse von verschiedenen Bildungsforschungsinstituten angeführt. Ausgeblendet wird hierbei unter anderem, dass Pisa lediglich die Leistungen von 15-Jährigen in ausgewählten Bereichen getestet hat und keine Abiturienten und die zitierten Studien sich nur auf bestimmte Fächer beziehen. Eine irgendwie geartete Auseinandersetzung mit dem Bildungsbegriff und den Methoden der vergleichenden Tests, die diesen Untersuchungen zugrunde liegen, findet in diesem Zusammenhang gar nicht erst statt.

Es wird aber eine „revolutionäre“ Lösung präsentiert: „Bundesweit einheitliche Abschlüsse sollen Chancengleichheit garantieren.“
Es wird behauptet, zentrale Abschlussprüfungen machten die Leistungen vergleichbar und sorgten so für mehr Gerechtigkeit. Zudem dienten sie dazu, die Qualität des Unterrichts und die Leistungen der Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Was ist dran an diesen Behauptungen?

Verbessern zentrale Prüfungen den Unterricht?

Seit den 70er Jahren existieren die Einheitlichen Prüfungsanforderungen (EPA), die im Rahmen der Kultusministerkonferenz (KMK) entwickelt wurden und Vorgaben liefern für Lehrpläne bzw. Kerncurricula der Länder und einen Leistungsrahmen für Prüfungsaufgaben festlegen sollen. Seit 2008 arbeitet das ebenfalls von der KMK beauftragte Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an bundesweiten Bildungsstandards. Hier geht es um einen gemeinsamen Rahmen für Prüfungsleistungen in den Fächern Deutsch, Mathematik und erster Fremdsprache. Ziel sind gemeinsame Abituraufgaben, mit denen überprüft werden soll, ob sich die IQB-Vorstellungen in den 16 Bundesländern umsetzen lassen.
Die Pädagogikprofessorin Katharina Maag Merki von der Universität Zürich hat in Zusammenarbeit mit dem Bildungsforscher Eckhard Klieme vom Deutschen Institut für internationale pädagogische Forschung am Beispiel von Bremen und Hessen in einer bis 2012 laufenden Längsschnittstudie die Effekte von zentralen Abiturprüfungen untersucht (vgl. Frankfurter Rundschau 11.02.2011, Bericht von Ivonne Globert). „Am Anfang, wenn die zentralen Prüfungen eingeführt werden, geben sich alle Mühe“, sagt Maag Merki. Die im Test befragten Lehrkräfte und Schüler/innen konstatierten z. B. eine bessere Vorbereitung auf Tests, der Unterricht sei kognitiv anregender und die Motivation habe zugenommen. Nach einem Jahr habe sich aber vieles wieder auf dem ursprünglichen Niveau eingependelt. Kritisiert wird an zentralen Themen die mangelnde Flexibilität. Aktuelle Alltagsthemen, z. B. die Finanzkrise, könnten oft gar nicht thematisiert werden. Sehr große Probleme zeigten sich bei der (uneinheitlichen) Bewertung, die - so die Wissenschaftler - weniger die Schwäche der Lehrerinnen und Lehrer offenbare als vielmehr ein Defizit des Bewertungssystems selbst. „Das Zentralabitur sorgt dafür, dass alle die gleichen Aufgaben lösen müssen. Wie die Ergebnisse dann aber zu bewerten sind, ist oft nicht klar“, führt Maag Merki aus.
Die Professorin weist darauf hin, dass es keineswegs ausreiche, sich auf gemeinsame zentrale Prüfungen zu verständigen. Auf alle Fälle müsse eine solche Reform auch implementiert, die Pädagogen geschult und der Unterricht dafür weiterentwickelt werden. „Sonst verfehlt das Zentralabitur die gesetzten Ziele“, so Maag Merki.

Zentrale Aufgaben eher „konservativ“

Forschungen zum Zusammenhang von Unterrichtsentwicklung und Abitur und EPAs bzw. Bildungsstandards zeigen eher ernüchternde Ergebnisse. Eine aktuelle Studie der Universität Duisburg-Essen analysiert in einer Längsschnittstudie die drei naturwissenschaftlichen Prüfungsfächer Biologie, Chemie und Physik am Beispiel von vier Bundesländern (vgl. Kühn, von Ackeren: Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung? SchulVerwaltung Niedersachsen 2011, S. 45 und www.nwu-essen.de).
Hier wird u. a. festgestellt, dass - ungeachtet der aktuellen fachdidaktischen Diskurse, alltagsnahe oder authentische Probleme und Situationen im naturwissenschaftlichen Unterricht abzubilden - die meisten Abituraufgaben konservativ bleiben und den modernen Kontextbegriff praktisch nicht berücksichtigen. Auch Aufgaben, die auf Transferleistungen und Problemlösen zur Bearbeitung komplexer Fragen zielen, kommen eher selten vor. Die Bedeutung von Experimenten in den untersuchten Aufgabenstellungen sei gering. Die Studie stellt weiterhin fest, dass gerade in den traditionell zentral prüfenden Länder (hier: Baden-Württemberg und das Saarland) kaum eine Weiterentwicklung der Aufgabenkultur oder innovatives Potenzial zu beobachten seien. Bei den dezentralen, aber durchaus an den EPA orientierten Aufgaben fänden sich zumindest einige (wenn auch wenige) Aufgaben, die aus fachdidaktischer Sicht im Sinne von Best-Practice-Beispielen konstruiert seien. „Dabei scheint das Innovationspotenzial einzelner Lehrkräfte größer zu sein als das einer zentral verantwortlichen Aufgabenkommission, die gleichwohl für alle Schülerinnen und Schüler eines Landes ohne Kenntnis des Unterrichts und der Ausstattung der Schulen, z. B. im Hinblick auf Durchführung von Experimenten, Aufgaben formulieren muss.“ (SchulVerwaltung Niedersachsen 2011, S. 47) Als Fazit der Untersuchung formulieren die beiden Verfasserinnen, die bundesweite Steuerungswirkung der EPA bezüglich der Sicherung der Gleichwertigkeit schulischer Ausbildung in der Sek II, der Vergleichbarkeit der dort erworbenen Schulabschlüsse sowie der Fortentwicklung von Qualität im Abitur können auf Grundlage empirischer Befunde zur Aufgabengestaltung infrage gestellt werden. Daraus „sollten entsprechende bildungspolitische Handlungskonsequenzen abgeleitet werden.“(ebd.)
Die Einführung eines bundesweiten Zentralabiturs dürfte wohl nicht dazugehören!
Maag Merki stellt fest, dass die Lehrerinnen und Lehrer aktuell eher als ein Zentralabitur die Möglichkeiten bräuchten, Erfahrungen zu sammeln und sich über die eigene Schule hinaus auszutauschen über Innovationen im Unterricht, die Umsetzung von Lernvorgaben und Bewertungsmaßstäbe bei Prüfungen. Insbesondere bräuchten sie dafür „schlicht Zeit“. Nichts Neues also!

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