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Rassismus und Kolonialismus als Unterrichtsthema

Von der Relativität der Hautfarbe im kolonialen Befreiungskampf

Der Sklavenaufstand auf Haiti von 1791 als Unterrichtsgegenstand

Entgegen verbreiteter Gerüchte ist Rassismus und Kolonialismus regelmäßig Gegenstand des Unterrichts. Art und Stoßrichtung der Behandlung dürften allerdings durch dieselben Paradigmen geprägt sein, die auch in den gesellschaftlichen Debatten vorherrschten. Aus den Siebzigern stammt die vulgärmarxistische Tendenz, rassistische Haltungen zum bloßen Überbau ökonomisch begründeter Ausbeutung herunterzuspielen. Obwohl sie auf einem verkürzten Verständnis des Verhältnisses von Ideologie und Realität basierte, konnte sie sich zurecht darauf berufen, dass die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer dunkleren Hautfarbe der Legitimation von Sklavenarbeit diente. Sie unterschätzte grandios das Potential von Ideologien, sich zu verselbständigen und zur eigenständigen sozialen Macht zu werden, wie es etwa in den USA nach Aufhebung der Sklaverei geschah, also zu einem Zeitpunkt, wo der Rassismus seine soziale Funktion gemäß jenem engen Ideologiebegriff längst hätte verloren haben müssen.
Später kam, angestoßen im weitesten Sinne durch Foucault, Said und andere, das folgenreiche postmoderne Paradigma auf. Machtverhältnisse galten nun als wesentlich sprachlich konstruiert, die Realität ließ sich von dem Diskurs über sie gar nicht mehr so richtig unterscheiden. Ob, auf dem Gebiet der Kolonialgeschichte,  das ‚Othering‘ der Versklavten zu ihrer Versklavung führte, oder umgekehrt, verwischte sich einem politischen Bewusstsein, für das Sprache die magische Fähigkeit hat, Wirklichkeit nicht nur zu beeinflussen, sondern geradewegs zu erzeugen. Die Bedeutung des Ideologischen wurde grandios unter- wie auch grandios überschätzt.

Eine lohnendes Unterrichtsthema
Zu dieser und ähnlich gelagerten Streitfragen könnte der Geschichtsunterricht seinen bescheidenen Beitrag leisten, indem er tatsächliches Wissen über den Kolonialismus vermittelt – etwas, womit nicht alle, die sich auf Twitter und in Talkshows zum Thema hervortun, gesegnet sind. Neben vielem anderen bietet sich dafür der Aufstand von St. Domingo (1790) an, der sein lautstarkes Echo in der Neuen Welt ebenso wie in der alten gefunden hatte, zwang er doch die revolutionären Kräfte in Frankreich, in ihrem Verhältnis zu den Kolonien Farbe zu bekennen. So verfügte die jakobinische Phase Rechtsgleichheit für die Versklavten, nur damit diese unter Napoleon, dessen erste Frau eine absentistische Plantagenbesitzerin war, wieder abgeschafft wurde. Der Aufstand führte über die folgenden Jahrzehnte, nach wechselvollem Verlauf und etlichen Rückschlägen, zur ersten gelungenen Selbstbefreiung einer ,Sklavengesellschaft‘. Deren letzte Schlacht jedoch musste, wie sich zeigen wird, von den aus der Sklaverei befreiten afrokaribischen Plantagenarbeitern gegen ihren eigenen Generäle geschlagen werden.

Haiti im System des Transatlantischen Handels
Die Insel war eines der Zentren der kolonialen Plantagenproduktion, die sich seit dem 16. Jahrhundert entwickelt hatte und mit dem Anbau und der Verarbeitung von Zucker einen lukrativen und wachsenden Exportmarkt nach Europa darstellte. Mehr als andere Kolonialwaren wie Tabak oder Indigo erforderte Zucker eine Produktion auf ‚großer Stufenleiter‘, die härteste Arbeitsbedingungen unter zermürbenden klimatischen Bedingungen einschloss. Es galt somit, Arbeitskräfte in der nötigen Menge und körperlichen Belastbarkeit zu finden und mit der Bereitschaft, sich einem entsprechend mörderischen Arbeitsregime zu unterwerfen. Die Plantagenherren hatten es zunächst mit einer regelrechten Diversität von Arbeitskräften versucht, versklavten Indigenen ebenso wie europäischen Weißen, sogenannten indentured Servants, die sich für mehrere Jahre zur Zwangsarbeit verpflichtet hatten. Es waren dann weniger kulturelle Vorurteile als vielmehr schnöde frühkapitalistische Marktverhältnisse, die innerhalb einiger Jahrzehnte dazu führten, dass menschliche ‚Importware‘ aus Westafrika zur Hauptquelle der Plantagenwirtschaft in Mittelamerika und der Karibik avancierte. Eingeschleppte Krankheiten führten zum Massensterben der indigenen Bevölkerung. Indentured Servants europäischer Provenienz, auf die man zunächst gesetzt hatte, fanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmend expandierende Arbeitsnachfrage in der Heimat vor, so dass sie die Strapazen langer Knechtschaft in Übersee leichter vermeiden konnten. Es schlug die Stunde der afrikanischen Versklavten, die in den Zentren der Zuckerproduktion vom 16. bis 19. Jahrhundert die weitaus größte Gruppe unter den Arbeitskräften stellten.

Der Dreieckshandel
Für die Versorgung mit der profitablen Ware war gesorgt: Die Erschließung Westafrikas durch portugiesische Expeditionen ab 1480 ermöglichte den atlantischen Dreieckshandel. Begünstigt durch maritime Strömungsverhältnisse landeten Schiffe mit nachgefragten Fertigwaren an der afrikanischen Westküste an, luden sich mit Versklavten voll, segelten nach Brasilien, Kuba oder in andere amerikanische Häfen und verkauften ihre Fracht gegen wertvolle Rohstoffe aus den Kolonien. Damit traten sie den Rückweg an. Bekanntlich wurden vom 16. bis zum 19. Jahrhundert etwa zwölf Millionen Menschen aus Afrika zwangsweise auf die grauenvolle Passage geschickt. Afrikanische Handelsstrukturen befriedigten bereitwillig die europäische Nachfrage, kaum jemals mussten weiße Kaufinteressierte selbst auf die Jagd gehen.

Sklavenhandel in Afrika
Sklaverei in unterschiedlichen Formen gibt es in so gut wie allen bekannten Hochkulturen seit Beginn historischer Aufzeichnungen, oft durch Verschuldung und Kriegsgefangenschaft ausgelöst, häufig zeitlich befristet und in traditionelle soziale Regeln eingeordnet, also nicht unbedingt mit totaler Rechtlosigkeit verbunden. Institutionalisierter Sklavenhandel größeren Ausmaßes war in Afrika durch die Islamisierung Arabiens und Nordafrikas ab dem sechsten Jahrhundert aufgekommen: Männer und Frauen aus den subsaharischen Gebieten wurden in die arabisch-islamischen Reiche transportiert, oftmals mit Zwischenstopp in Ägypten, wo regelrechte Kastrationswerkstätten ihr Geschäft damit machten, einen Teil der versklavten Männer in Eunuchen zu verwandeln. Es ist übrigens im Kontext dieses arabischen Handels, dass Hautfarbe als Kriterium von Superiorität gedeutet wurde: Der amerikanische Historiker Ibram X. Kendi nennt in diesem Zusammenhang Gelehrte wie Ibn Khaldoun. Unter Rekurs auf die klassische aristotelische Legitimation der Sklaverei bemühte dieser das afrikanische Klima zur Untermauerung der Unterlegenheit seiner Bewohner gegenüber den ‘hellhäutigeren’ Arabern. Übrigens verweist sein Kollege N’Diaye auf die Größenordnung dieser Routen, mehr als zehn Millionen Menschen seien in islamische Reiche verschleppt worden. Nebenbei gehörten auch weiße Europäer zur gefragten Handelsware, hat doch der Verkauf von noch nicht christianisierten Slawen an die islamischen Herrscher dem deutschen Wort Sklave die Etymologie gegeben.
Innerhalb des afrikanischen Kontinents wiederum entstand Sklaverei aus Stammeskriegen und  Schuldknechtschaft, freilich auch durch gezielte Überfälle, sogenannte Razzien. Einzelne Reiche und Kriegerverbände – Wolfgang Reinhard nennt etwa die Matamba und das Kasanje-Reich – waren darauf spezialisiert und profitierten auch von der europäischen Nachfrage.

Die Chain Gang als frühkapitalistische Arbeitsform
Es lässt sich also festhalten: Menschen aller Hautfarben und Religionen haben Menschen aller Hautfarben und Religionen versklavt. Was das Schicksal der afrikanischen Opfer in den Amerikas von überkommenen Formen der Sklaverei unterscheidet ist, gewissermaßen, der Totalitarismus, mit dem das Eigentumsrecht an seinen Objekten exekutiert wurde – ihr Lebenszweck bestand bis zur Erschöpfung in Kapitalverwertung. Nicht aufgrund von ‘Rassenvorurteilen’, durch ihren ‘Hunger auf Mehrwert’ (Marx) prägten die Kolonisatoren dem Atlantikhandel seinen Stempel auf. Die Arbeit in der Chain Gang ist noch nicht maschinisiert, sondern findet unter Aufsicht peitschenbewährter Overlooker statt, darunter freigelassene Schwarze oder Mulatten. Sie antizipiert dennoch jene intensive Be- und Vernutzung der Arbeitskraft, die mit dem Fabriksystem des 19. Jahrhunderts assoziiert ist. Überarbeitung und elende Lebensverhältnisse führen zu hohen Sterberaten. Der ‘soziale Tod’ (Orlando Patterson), also die tiefgreifende kulturelle Entwurzelung der Versklavten trug neben terroristischen Strafen zu deren anfänglicher Gefügigkeit bei. Eine derart mörderische Plantagenwirtschaft bedurfte des ständigen Nachschubs an menschlicher „Arbeitsware“.

Der Aufstand auf Haiti
Ein erfolgreicher Aufstand, wie der auf Haiti ab 1791, wurde begünstigt u.a. durch Konflikte zwischen den herrschenden Mächten. Soviel wussten die politisch Bewussteren unter den mestizischen Communities wie auch bei den Sklaven: Ein großer Umbruch fand im Herzen der französischen Kolonialmacht statt, befeuert durch die Ideen der Aufklärung. Gerüchte über die Revolution sprachen sich herum. Die andere auf Haiti präsente Nation, Spanien, gehörte zu den Gegnern Frankreichs, wodurch sich historische Bündnisoptionen ergaben. Als erste begehrten die sogenannten Mulatten auf, forderten gleiche Rechte für sich, ohne jedoch den Status ihrer etwas dunkelhäutigeren versklavten Landsleute in Frage zu stellen. Revoltierende Sklaven suchten ihrerseits unter der Führung von Toussaint Louverture zunächst das Bündnis mit Spanien, schwenkten nach der Hinrichtung Ludwigs jedoch zu Frankreich. L’Ouverture und andere Generäle wie Dessalines formierten eine schlagkräftige Armee, die Briten und Spanier vertrieb. Das wiederum verschaffte Anerkennung in Frankreich: 1794 gelang der haitianischen Interessenvertretung dort, der Societe des Amis de Noirs, den jakobinisch dominierten Konvent zur Abschaffung der Sklaverei zu bewegen.

Von der Befreiung zur Lohnknechtschaft
Toussaint L‘Ouverture war zum Helden der Befreiung aufgestiegen. Allzu große Revolutionsromantik wäre hier fehl am Platz, war er bei Ausbruch der Revolution doch keineswegs selbst Sklave, vielmehr ein Freigelassener, der seinerseits Sklaven kommandierte. Doch nun zeigte sich ein Dilemma, das auch die weitere Entwicklung Haitis bestimmen sollte: Größte Einnahmequelle der Insel und somit Finanzierungsgrundlage der revolutionären Armee, von deren Schlagkraft vorerst alles abhing, blieb ja nach wie vor die Plantagenwirtschaft. Toussaints Versuch, die teilweise niedergebrannten Plantagen zu reaktivieren, traf auf erbitterten Widerstand befreiter Schwarzer, die sich für ihre Zukunft eher ein Stück Land mit menschenwürdigem Arbeits- und Lebensrhythmus vorstellten. Dagegen etablierte die neue Führung schwarzer Generäle, von denen einige sich selbst Plantagen angeeignet hatten, ein System der Zwangsarbeit unter dem Mantel freier Arbeitsverträge. Befreite Ex-Sklaven, die vom Militär ohne Arbeitskontrakt aufgegriffen wurden, galten als Vagabunden und kamen ins Gefängnis, damit wurde ihnen gleichsam ein Schnellkurs in bürgerlicher Arbeitsethik verabreicht. Im Gegenzug für den Sieg über die feindlichen Armeen sowie die Aufrechterhaltung des Exports erkannte Frankreich Toussaints Herrschaft als rechtmäßig an. Doch nicht für lange. Napoleon, den Interessen der Pflanzeroligarchie gewogen, entsandte Truppen und führte die Sklaverei wieder ein. Toussaint starb 1803 elend in Frankreich, wohin er deportiert worden war.

Der letzte Akt der Revolution
Die militärischen Führer der Revolution gaben jedoch nicht klein bei und es gelang 1804, die französischen Truppen endgültig zu vertreiben. Nach Massakern von weißer, mulattischer und schwarzer Seite, die in der Literatur als genozidal beschrieben werden, wurde die Sklaverei endgültig abgeschafft. Die Zwangsarbeit auf den Plantagen sollte jedoch gemäß dem Willen von Dessalines und anderen Generälen weitergehen, was zu nunmehr sozialrevolutionären Kämpfen führte: Dessalines und sein Kollege überlebten diese nicht, erst General Petion begriff, dass die brutalen Arbeitsbedingungen im Zuckeranbau und anderswo nicht zu halten waren. Er verteilte Land an Freigelassene und führte die Plantagen auf niedrigerem Level weiter. Haiti änderte so tatsächlich seine Wirtschaftsstruktur und wurde zur „peasant society“ (Stewart R. King), zur kleinbäuerlich geprägten Gesellschaft. Zwar wartete im Hintergrund schon die ehemalige Kolonialmacht Frankreich mit dreisten Regreßforderungen. Und heutzutage sorgt der Weltmarkt für Armut in Haiti. Dennoch gelang es ein, zwei Generationen von befreiten Sklavinnen und Sklaven, gewissermaßen eine historische Atempause zu erkämpfen auf eigenem Land. Dafür mussten sie sich gegen weiße Kolonialherren durchsetzen und schwarze Generäle und erteilten nebenbei eine Lektion über die Relativität von Hautfarbe im kolonialen Kontext.