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Ungleichheit als politisches Programm - die Exzellenzinitiative

Fortsetzung aus dem letzten Heft (als Download beigefügt)

Die neue Logik

Mit der Exzellenzinitiative hält eine neuartige Logik der Forschungsförderung Einzug in das deutsche Hochschulsystem, die es bisher in dieser Form nicht gab. Zunächst: die Verteilung der Exzellenzmittel folgt – wenig überraschend - weitgehend proportional der Drittmittelkonzentration an deutschen Universitäten: je mehr Drittmittel eine Uni in der zurück liegenden Zeit bekam, umso höher ihre Erfolgschance in der Exzellenzinitiative. Antragsberechtigt in traditionellen Förderprogrammen des sog. Drittmittelsektors sind allerdings einzelne WissenschaftlerInnen. Erfolge der jeweiligen Projekte werden folglich auch primär der individuellen akademischen Reputation zugerechnet. Antragsberechtigt in der Exzellenzinitiative sind ausschließliche ganze Institutionen, nämliche Universitäten vertreten durch ihre Leitung.

Man darf vermuten, dass diese Neuerung vor allen Dingen den Zweck verfolgt, Erfolge in der Exzellenzinitiative auch für die Prestigesteigerung der jeweiligen Uni, kurz: für die Vermehrung ihres symbolischen Kapitals zu nutzen. Für einen Kritiker dieser Förderlogik wie den Bamberger Soziologen Richard Münch rangiert diese Motivation einer symbolischen Aufwertung einzelner Universitätsstandorte – in den Dokumenten der Exzellenzinitiative ständig als »Erhöhung der internationalen Sichtbarkeit« beschworen – vorrangig vor jedem Interesse an wissenschaftlichem Erkenntnisfortschritt: »Man kann die Kür von ›Eliteuniversitäten‹ auch als den Versuch werten, Marken zu kreieren, die sich in Zukunft gewinnbringend auf dem Bildungs- und Forschungsmarkt positionieren lassen.« (Münch 2009: 162) So ließe sich ebenso die – an sich nahe liegende – Frage beantworten, warum man die 1,9 Mrd. Euro des ersten Förderzyklus der Exzellenzinitiative nicht genommen hat, um damit etwa das Budget der DFG, der größten Drittmittelförderorganisation, zu erhöhen. Das hätte etwa dieser ermöglicht, ihre ständig steigende Ablehnungsquote bei einer wachsenden Zahl von Anträgen zu reduzieren. Die Antwort: In einem solchen Fall wären die Zusatzfinanzen in der ›normalen‹ Forschungsförderung versickert und hätten nicht die mit der Verleihung der Prädikate »Exzellenz« und »Elite« gestützten symbolischen Absetzungseffekte vom Hochschulnormalbetrieb untermalen können.

Vergeudung von Ressourcen

Symbolhaltig ist auch die Höhe der Hürden bis zum Erfolg in der Exzellenzinitiative. Nach Angaben der DFG und des Wissenschaftsrates betrug die Bewilligungsquote bezogen auf die Gesamtzahl der eingereichten Antragsskizzen 11 Prozent. Hinter dieser Zahl verbirgt sich eine erhebliche Vergeudung von Ressourcen nicht allein des Verwaltungs-, sondern auch des wissenschaftlichen Personals der beteiligten Hochschulen, welches in den jeweiligen den Rektoraten und Präsidien zugeordneten Strategiekommissionen Anträge entwickelte.

Hier bestätigt sich noch einmal die Kritik auch aus anderen Anlässen, dass der Übergang zu einer stärker ›wettbewerblichen‹ Hochschulfinanzierung bei gleich bleibend schlechter Personalausstattung der Hochschulen immer größere Arbeitsressourcen in den Bereichen Antragswesen, Marketing und Leistungsdokumentation bindet, die dann den grundständigen Aufgaben der Hochschulen fehlen: »Es wächst das Verwaltungspersonal und es schrumpfen Forschung und Lehre.« (Münch 2011: 71)

Konzentration auf die Spitzengruppe

Eine genauere Analyse der Finanzströme aus der ersten Förderrunde der Exzellenzinitiative bestätigt exakt die Kritik. Laut Statistischem Bundesamt erhielten die deutschen Hochschulen 2008 4,85 Mrd. Euro an Drittmittel, die mittlerweile 25 Prozent ihres Gesamtbudgets umfassen (1993: 14 Prozent). Diese Zusatzfinanzen verteilen sich allerdings nicht gleichmäßig über das Hochschulsystem. Über 60 Prozent dieser Mittel konzentrieren sich auf eine in ihrer Zusammensetzung relativ stabile Spitzengruppe von 20 Universitäten bei einer Gesamtzahl von knapp über 100. DFG und Wissenschaftsrat werten es als Erfolg, dass diese Top-20-Liga auch 70 Prozent der Exzellenzfinanzen unter sich aufteilen. An der Spitze der Spitze nimmt dieser Konzentrationseffekt noch einmal zu: die ersten vier Hochschulen des DFG-Förderrankings 2009 – die beiden Münchener Universitäten, die RWTH Aachen und die Universität Heidelberg – erhielten im ersten Förderzyklus (2006-2011) alleine mit 650 Mill. Euro ein Drittel des gesamten Exzellenzbudgets.
Im Zeitraum der letzten 20-30 Jahre lässt sich zudem folgendes beobachten: In dem Maße, wie finanzielle Zuwächse nur noch in der Projektforschung erwirtschaftet werden konnten, befördert dies seitens der Hochschulleitungen auch eine tendenzielle Umverteilung und Konzentration der verbleibenden Grundausstattungsmittel, die eigentlich für die flächendeckende Gewährleistung der gesetzlichen Aufgaben der Hochschulen vorgesehen sind, in die Infrastruktur der als ›forschungsstark‹ betrachteten Fachbereiche mit dem größten Drittmittelpotential, weil die Einwerbung von Forschungsaufträgen eine bestimmte Mindestausstattung voraussetzt und um so ein für die Förderer ›attraktives‹ Umfeld zu schaffen. Das Geld fehlt dann natürlich an anderer Stelle schmerzlich, vorrangig in den Sozial- und Geisteswissenschaften, insbesondere in der LehrerInnenausbildung.
Die Studienbedingungen hier verschlechtern sich, die wissenschaftlichen Arbeitsverhältnisse werden tendenziell prekär. Diese verteilungspolitischen Effekte werden von der Exzelleninitiative verstärkt. Das bestätigen auch Indizien, dass an den geförderten Hochschulen die Exzellenzbereiche auch auf Ressourcen des restlichen ›Normalbetriebes‹ zugreifen. So wurde festgestellt, dass in den exzellenzgeförderten Graduiertenkollegs auch reguläres Lehrpersonal, finanziert aus Mitteln des Grundhaushaltes, eingesetzt und die Arbeitsleistung in einer rechtlichen Grauzone auf die gesetzliche Lehrkapazität angerechnet wird, die folglich dem regulären Studienbetrieb in gleicher Größe fehlt. Ein ähnlicher Effekt ergibt sich daraus, dass ein Teil der mit Exzellenzmitteln ausgeschriebenen Forschungsprofessuren für hochschulinterne BewerberInnen reserviert wurde – mit dem Versprechen, für den fünfjährigen Förderzeitraum von Lehrverpflichtungen und Verwaltungsaufgaben entbunden zu sein. In der Regel wird dieser Kapazitätsabbau innerhalb des Normalbetriebes nicht durch neue wissenschaftliche Arbeitsplätze kompensiert, sondern eher durch Mehrbelastung des verbliebenen Personals und prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

Die Kehrseite

Die Kehrseite der dröhnenden Hochleistungsrhetorik der Exzellenzinitiative ist also eine tendenzielle Verschlechterung der materiellen wissenschaftlichen Leistungsbedingungen in der Breite des Hochschulsystems. Das wäre nicht einmal dann gerechtfertigt, wenn dieser Leistungsabbau durch eine Leistungssteigerung in den Exzellenzbereichen kompensiert würde. Schließlich können die Studierenden und die überwiegende Mehrheit des wissenschaftlichen Personals nicht völlig unverschuldet für die brachiale Durchsetzung dieser neuartigen Wissenschaftsförderlogik mit einer Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen bestraft werden.
Allerdings scheint nicht einmal die Behauptung zu stimmen, dass durch Exzellenzpolitik die Leistungsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems in auch nur irgendeinem gesellschaftlich relevanten Sinne gesteigert würde. Ergänzend zur Kritik an der bildungsökonomischen Fehlsteuerung hat sich in den letzten Jahren auch eine fundierte wissenschaftssoziologische Kritik entwickelt, die eher davon überzeugt ist, dass durch Elitenförderung, konkret: durch Überinvestition an wenigen Hochschulstandorten und Unterinvestition an vielen Standorten die Zahl miteinander um Erkenntnisfortschritt produktiv konkurrenzfähiger – und von der materiellen Ausstattung her überhaupt arbeitsfähiger - WissenschaftlerInnen und damit zugleich die Erneuerungsrate des Wissens reduziert wird. (Münch 2011; insbes. 201, 254, 315). (Anmerkung 2) Wissenschaftliche Evolution setzt Vielfalt der Ansätze und breite Gestreutheit der wissenschaftlichen Leistungsträger über das ganze System voraus. Exzellenzpolitik fördert demgegenüber mehrfache Ausschlussmechanismen und zugleich Monopolbildung: Ausschlüsse von symbolischer Anerkennung und materiellen Ressourcen werden ergänzt durch die monopolartige Definitionsmacht der Exzellenzstandorte über »wissenschaftliche Relevanz«; im Regelfall: der jeweilige Mainstream. Unkonventionelle Ansätze, Querdenker und Dissidenten, die wissenschaftsgeschichtlich für wirkliche Innovation immer bedeutender waren als dieser, haben es entsprechend schwerer.

Ein sachlicher Grund, diese Fehlsteuerung auch in die 2. Programmphase der Exzellenzinitiative zu übertragen, existierte nicht. Eine alternative Möglichkeit wäre gewesen, die dafür bewilligten Steuergelder (2,7 Mrd. Euro) einzusetzen, um an allen deutschen Universitäten innerhalb des Förderzeitraumes das wissenschaftliche Personal aufzustocken, und zwar in den Bereichen, wo es am meisten fehlt. Damit wäre die strukturelle Unterfinanzierung zwar noch nicht beseitigt, aber zumindest gemildert. Die Studienbedingungen würden überall verbessert und der gesellschaftliche Nutzen dieser Verwendungsart wäre weitaus höher.

 

2 Hinzu kommt auch das Kriterium des ebenso in der Wissenschaftsförderung nachweisbaren abnehmenden Grenznutzens: mit schierer Größe und Bestausstattung von Einrichtungen wächst nicht analog die Leistung. Ab einer bestimmten mittleren Größenordnung des Personaleinsatzes nimmt »mit jeder weiteren Investition der Publikations- bzw. Patentertrag pro eingesetztem Personal kontinuierlich ab(…)« (Münch 2011: 308)

 

Der Autor

Torsten Bultmann
Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

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