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Schluss mit der Testeritis!

Seit fast einem Jahrzehnt führen wir Lehrkräfte in den Bremer Grundschulen Jahr für Jahr den VERA-Test durch. Die Ergebnisse, die wir – und nicht etwa Hilfskräfte, wie dies bei anderen großen Evaluationen üblich ist – in die Computer eintragen, bestätigen regelmäßig, was uns aus der täglichen Unterrichtspraxis und aus der IGLU-Studie bekannt ist: Viele SchülerInnen aus sozialen Brennpunkten erreichen nicht die von der Kultusministerkonferenz definierten Regelstandards. Es gibt erhebliche Defizite im Aufgabenverständnis und in der Lösungskompetenz.

Sehen wir einmal von den Mängeln in der Aufgabenstellung der Tests ab, die trotz massiver Kritik des Grundschulverbandes immer wieder auftreten, so sind soziale und sprachliche Barrieren die tiefere Ursache. Seit PISA ist bekannt: In fast keinem Land gibt es einen so engen Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg wie bei uns in Deutschland.

Unser tägliches Bemühen, die SchülerInnen bei der Überwindung dieser Barrieren zu unterstützen, stößt oft an Grenzen, die wir nicht zu verantworten haben. Es fehlt an Zeit und Ressourcen für eine konsequente Förderung. Die skandinavischen Grundschulen, die uns als großes Vorbild vorgehalten werden, haben eine Schüler/Lehrer-Relation, von der wir nur träumen können.

Nach der letzten Bürgerschaftswahl wurde uns eine langsame Angleichung an solche Standards versprochen. Jede frei werdende LehrerInnenstelle sollte wieder besetzt werden, und bei leicht zurück gehender SchülerInnenzahl ergäbe die „Demographierendite“ eine Verbesserung der Lehrerversorgung. Jetzt müssen wir feststellen: Nichts dergleichen ist an den Grundschulen geschehen. 4,5% der Stellen wurden gestrichen!

Vor diesem Hintergrund mutet für uns Ihre „Offensive Bildungsstandards“, von der wir zuerst aus der Zeitung erfahren haben, wie ein Beschönigungsversuch an. Die von Ihrer Behörde verteilten Aktenordner enthielten lediglich Kopien der letzten VERA-Tests, die uns ohnehin bekannt waren. Auf der von Ihnen einberufenen Informationsveranstaltung erhärtete sich der Eindruck, dass die Zielsetzung der Maßnahme lediglich darin besteht, kurzfristig mit RisikoschülerInnen für die anstehenden Tests zu üben. Es wurden Zwangsfortbildungen für LehrerInnen des 4. Jahrganges angesetzt, deren VERA-Ergebnisse schlecht ausgefallen waren. Dieses Vorgehen kritisiert selbst die Kultusministerkonferenz in ihren Veröffentlichungen: „Vorstellungen, durch kurzfristige und kleinschrittige Übungsphasen die Unterrichtsgestaltung auf die Vorbereitung von Testsituationen zu reduzieren, - das aus einigen Staaten bekannte ‚Teaching to the test’ - sind mit dieser Zielsetzung ausdrücklich nicht in Einklang zu bringen.“

Wir wenden uns nicht grundsätzlich gegen die Evaluation von Schülerleistungen. Es ist durchaus sinnvoll, in einem gewissen zeitlichen Abstand in großflächigen Untersuchungen einen Überblick über die erworbenen Kompetenzen zu gewinnen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen: Zum Beispiel darüber, wo mehr in die Förderung investiert werden muss. Kurzfristige, hektische „Nachbesserungsaktionen“ lehnen wir jedoch ab. Wir können nicht erkennen, dass aus den bisherigen Tests angemessene und sinnvolle Konsequenzen in Abstimmung mit den Lehrkräften gezogen worden wären.

Aus der Bildungsforschung ist bekannt, dass zu häufig durchgeführte Tests eine Unterrichtskultur befördern, die das Gegenteil von selbstständigem, entdeckendem Lernen, von Projektorientierung und individueller Aufgabenstellung beinhaltet, eine Unterrichtskultur des „Teaching to the test“, die wir ablehnen.

  • Wir kritisieren den kurzfristigen Aktionismus in Mathematik und Deutsch (Übungsphase von März bis Juni).
  • Schuldzuweisungen, wie wir sie in den angesetzten Zwangsfortbildungen finden, weisen wir zurück.

Wir fordern Sie daher auf:

  • Beenden Sie den nutzlosen Versuch, durch jährliche VERA-Tests die Unterrichtsqualität zu heben – Sie schaden ihr damit nur!
  • Entlasten Sie die Lehrkräfte, damit ihnen mehr Zeit für die Vorbereitung eines guten Unterrichts bleibt!
  • Sorgen Sie dafür, dass die Grundschulen zur Verbesserung der Förderung die Stellen wieder erhalten, die ihnen in den letzten drei Jahren gestrichen worden sind!
Kontakt
Karsten Krüger
Schriftleiter des Bildungsmagaz!ns
Adresse Bahnhofsplatz 22-28
28195 Bremen
Telefon:  0421-33764-39
Mobil:  0173 6831678