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Let's talk about Islam, Baby!

Die Islamdebatte verläuft zwischen den Extremen von Dämonisierung und Apologetik. Dabei gibt es einen dritten Weg, den von Säkularismus und Religionskritik.

Iranische Frauen machen Fotos ohne Kopftuch

Deutsche Diskussionskultur

Im Sommer der Attentate 2016 inszeniert die 'Welt' einen intellektuellen Debattenhöhepunkt, indem sie Henryk M. Broder und die als Islamwissenschaftlerin vorgestellte Eva Marie Kogel in einen Raum zusammensetzt und über die Frage diskutieren lässt: „Was hat das alles mit dem Islam zu tun?“. In diesem Raum findet dann tatsächlich etwas statt, was sich formal als Gespräch bezeichnen ließe. Dem Inhalt nach ist es typisch für die Art, wie Debatten zu diesem Thema in Deutschland und vielleicht auch anderswo ablaufen. Natürlich gibt Broder den islamkritischen Part. Er bezieht sich auf die Ausgangsfrage, mit der auf das oft gehörte Bekenntnis angespielt wird, all die Gewalt habe nichts mit dem Islam zu tun. Hier noch halbwegs geistreich merkt er an, dass Alkoholismus ja wohl auch etwas mit Alkohol zu tun habe und auch islamistische Attentäter sich auf Glaubensinhalte berufen können. Dann zeigt seine Islamkritik jedoch, wes' Geistes Kind sie ist: Offensiv sucht er den Vergleich zu Christen- und Judentum, um religiös begründete Militanz als exklusive islamische Besonderheit darzustellen. Dafür muss er nicht nur sein historisches Gedächtnis ausschalten – Stichwort Kreuzzüge, christlicher Antisemitismus u.ä. - er darf auch bei seiner täglichen Zeitungslektüre nicht zu weit von den bevorzugten Spalten verrutschen, könnte er doch auf religiös-nationalistische Siedler in den von Israel besetzten Gebieten stoßen, die das Land Gottes von palästinensischer Fremdherrschaft 'erlösen' möchten. Noch ein paar Zentimeter weiter, und er findet amerikanische Christen, die zum Ruhme ihres Allerhöchsten Abtreibungskliniken in die Luft sprengen. Gewiss, zahlenmäßig wird all dies momentan deutlich von weltweit agierenden islamistischen Gruppen übertroffen, aber die Beispiele zeigen zumindest, wozu auch Gläubige anderer Couleur fähig sind, wenn sie sich im Besitz einer offenbarten absoluten Wahrheit inklusive gottgewollter Moralgebote wähnen.

Das Elend der Apologetik

Das Elend der Apologetik wiederum verkörpert Kogel, die zunächst jeglichen inhaltlichen Zusammenhang zwischen Islam und Dschihadismus bestreitet, es sogar 'blöd' findet, überhaupt die Frage danach zu stellen. Sie gesteht dann gleichwohl zu, dass es einen gebe, belässt es jedoch bei dem abstrakten Hinweis, mit Konfession ließen sich Menschen gegeneinander aufhetzen. Die Attentäter legten ihrer Ansicht nach jedoch ein eher 'geringes Islamverständnis' an den Tag. Die Frage stellt sich, wo denn das von ihr heraufbeschworene wahre 'Islamverständnis' vorherrscht. In der Herkunftsregion des Islam, in Saudi-Arabien, dem Iran, Ägypten nach Kogels Maßstäben ja wohl nicht. Die Zeit, in der die Türkei als diesbezügliches Musterland galt, ist vorbei. Ist wenigstens Europa ein Hort des aufgeklärten Islam? Viele, darunter auch die sogenannten Kulturmuslime, pflegen zweifellos einen friedlichen und modernen Lebensstil. Andererseits, angesichts der mit Umfragen belegbaren Tatsache, dass frauenverachtende, antisemitische oder theokratische Vorstellungen bis in den Mainstream europäischer Muslime hineingehen, scheint Kogels 'Islamverständnis' eher ein akademisches Phänomen liberaler Islamwissenschaftler und von Publikumslieblingen wie Navid Kervani zu sein. Als Beispiel für modernen islamischen Lebensstil wird von Kogel Indonesien herbeizitiert. Auch Kogel sollte bei ihrer Zeitungslektüre aufpassen: Sonst stößt sie noch auf den Bericht, wonach in der indonesischen Provinz Aceh die Scharia wieder eingeführt wurde und eine Frau Peitschenhiebe dafür bekam, dass sie während des Ramadan ihre Imbissbude geöffnet hatte.

Mut zur Kritik

Es bedarf offenbar Menschen islamischer Herkunft, um die Auseinandersetzung zu führen und zu beweisen, dass Religionskritik gleichzeitig differenziert und radikal sein kann und keineswegs zwingend mit einer pauschalisierenden Übertragung auf alle Gläubigen einhergeht. Ein paar Fälle aus den letzten Wochen mögen dies aufzeigen. So kritisiert Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Exmuslime, dass Menschen, die sich als Atheisten vom Islam abwenden, kaum wahrgenommen werden und in Flüchtlingsheimen oftmals religiösen Anpassungsdruck erfahren. Noch immer gilt im überwiegenden Teil der muslimischen Welt das Verbot der Apostasie. Ein Austritt aus dem Islam ist nicht vorgesehen. Zwar ist er nur in zehn islamischen Staaten mit der Todesstrafe bedroht, was übrigens durchaus in der islamischen Rechtstradition verwurzelt ist, auch wenn die Todesstrafe in der historischen Praxis nicht immer Anwendung fand. Zumindest müssen 'Abtrünnige' mit sozialer Ächtung rechnen, dazu mit Zwangsscheidung, da nach einer verbreiteten schariarechtlichen Auffassung ein Apostat nicht mit einer Muslima verheiratet und kein Vorstand einer muslimischen Familie sein darf. Ahadi, die als Linke aus dem Iran flüchten musste, sagt: 'Wenn man den Islam kritisiert, hat man ein Problem mit linken Intellektuellen.' Gleichzeitig stellt sie sich Versuchen der Vereinnahmung entgegen, etwa durch die AfD, deren Einladung sie ostentativ abgelehnt hat. Die lesenswerte Begründung findet sich auf der Website des Zentralrats.
Bassam Tibi meldete sich in der Zeitschrift Cicero zu Wort. Er stammt aus Syrien, hat bei Adorno studiert und sich Jahrzehnte als Hochschullehrer für einen, wie er sagt, 'Euro-Islam' eingesetzt. Das Ablegen des Kopftuchs war für ihn ein Symbol dieses modernisierten Islams. Nun schreibt Tibi: 'Ich kapituliere'. Der 'Kopftuch-Islam' habe gewonnen, mit seiner Tendenz zur konservativen Re-Islamisierung. Büsra Delikaya beklagt im Tagesspiegel das Ausmaß des Antisemitismus unter den deutschen Muslimen. Sie arbeitet als Muslima in der Salaam-Shalom-Initiative mit, in der es um jüdisch-muslimischen Dialog geht. Die Reaktion vieler ihrer Glaubensbrüder und -schwestern auf dieses Engagement beschreibt sie als feindselig: „Ich war mir der Dimension des Antisemitismus gerade in Teilen meiner eigenen Community nie bewusst, bis ich persönlich Zeugin davon wurde.“ Sie besitzt den Mut, ihre Erfahrung öffentlich zu machen. Safeta Obhadjas ist Schriftstellerin und Opfer rassistischer Gewalt. Als Angehörige der bosnischen Muslime wurde sie aus Jugoslawien vertrieben. Sie mischt sich in die Diskussion über den verweigerten Handschlag eines Imams ein, auf den eine Lehrerin in Berlin damit reagierte, dass sie ein anberaumtes Gespräch abbrach. Obhadjas lobt dieses Verhalten und begründet: „Lehrerinnen haben viel zu lange diese patriarchalischen Strukturen des Islam mitgetragen.“ Sie bezieht das auf dieTeilnahme muslimischer Mädchen an Klassenfahrtenan Klassenfahrten und ähnliches. Auch sie beklagt sich über mangelnde Unterstützung 'linksliberaler deutscher Frauen': „Jede Kritik an den unemanzipierten Verhältnissen wurde mir als Hetze gegen den Islam ausgelegt.“

Zwischen den Stühlen

All diese Menschen kennen den Islam aus eigener Anschauung. Manche haben ihm den Rücken gekehrt, wie Mina Ahadi. Andere sehen sich als fromme Gläubige, wie Büsra Delikaya. Wieder andere positionieren sich irgendwo dazwischen, wie der Achtundsechziger Tibi oder Obhadjas, die sich eine Verbundenheit zu bestimmten Aspekten der islamischen Kultur erhalten hat. Aber keiner hat Scheu, Kritik zu äußern, obwohl das oft ein mutiger Schritt ist. Aus der rechten Ecke versucht man sie zu vereinnahmen, das ist vorhersehbar. Von muslimischen Verbandsfunktionären werden sie als Nestbeschmutzer angefeindet, was ebenfalls nicht überrascht. Und von den linksliberalen Hohepriestern des Antirassismus werden sie bestenfalls ignoriert, schlimmstenfalls als Stichwortgeber der Rechten diffamiert.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist nötig

Religion bildet nun einmal vielerlei Anknüpfungspunkte für ideologische Kreuzzüge. Der Islam macht da keine Ausnahme, liefert er doch bei entsprechender Deutung der Quellen ein Feindbild – die Ungläubigen - , einen Endkampf um die Welt, ein Paradies, wo Belohnung winkt, wozu auch die Ehre gehört, als Märtyrer in die Geschichte einzugehen und ähnliches. Wenn dann radikale Jugendliche, mit Kalaschnikows und Koranzitaten bewaffnet, zur Tat schreiten, wird nach sozialpädagogischer Betreuung gerufen. Was aber ist mit der inhaltlichen Auseinandersetzung?
Der Staat setzt auf die Islamverbände. Dabei ist ihm relativ gleichgültig, ob diese Verbände ein konservatives Gesellschaftsbild repräsentieren. Allenfalls werden als Korrektiv Ansätze liberaler islamischer Theologie gefördert, wie etwa bei der Einrichtung des Lehrstuhls für Mouhanad Khorchide in Münster. Die Ausbildung islamischer Religionspädagogik mit freiheitlich-demokratischen Siegel soll in einen Religionsunterricht münden, der quasi eine vom deutschen Staat beglaubigte Variante islamischen Selbstverständnisses propagiert. Dies soll dann in Abstimmung mit Verbänden geschehen, denen wiederum jemand wie etwa Khorchide zu liberal ist, weshalb bereits Rufe nach seiner Absetzung laut wurden. Und auch die liberalen Muslime arbeiten als Theologen unter Glaubensvorbehalt, also kann von ihnen gar nicht verlangt werden, ihre Quellenkritik so weit zu treiben, dass zentrale Dogmen in Frage gestellt werden. Im islamischen Kontext betrifft dies vor allem die Vorstellung, der Koran sei die wortwörtliche Gottesrede, ohne jegliche menschliche Beifügung. Damit wird es schwer, fragwürdige Stellen wie die zur zur Verdammung Ungläubiger, der Rolle der Frau, des Prinzips der Wiedervergeltung u.ä. theologisch aus dem Verkehr zu ziehen. Ufuk Özbe hat hierzu einen lesenswerten Aufsatz verfasst, der die Widersprüche darstellt, in die sich auch solche wohlmeinende Exegese verstrickt, wenn sie an das Dogma selbst nicht herangehen will. Özbe wurde übrigens streng religiös erzogen, hat sich später der Philosophie zugewendet, und tritt jetzt in einem Aufruf mit anderen wie Ahadi für Säkularismus ein.

Säkularismus kann nicht an religiöse Verbände abgeschoben werden

Die Aufgabe, Säkularismus und Aufklärung zu vertreten und das heißt: argumentativ zu fundieren, kann nicht an religiös gebundene Verbände delegiert werden, auch nicht an politisch gewünschte Vorzeigetheologen, es wäre eine Aufgabe gesellschaftlicher Institutionen wie beispielsweise der Schule oder auch einer Bildungsgewerkschaft. Doch um in dieser Hinsicht glaubwürdig zu sein, müsste sich die Gesellschaft eingestehen, dass ein konsequenter Säkularismus in Deutschland nicht existiert. Erst wenn die Privilegierung der christlichen Kirchen fällt, kann die Gesellschaft überzeugend eine säkulare Haltung der Muslime einfordern. Dazu gehört auch das Ende des konfessionsgebundenen Religionsunterrichts. Religionsgeschichte muss in der Schule von einem historisch-kritischen Standpunkt dargestellt werden, also nicht in irgendwelchen Bekenntnisfächern, vielmehr in Fächer wie Geschichte. Was jedoch noch schwerer wiegt: Solange die Rolle imperialer Intervention des Westens im Nahen Osten nicht thematisiert wird, die Unterstützung islamistischer Bewegungen im Kalten Krieg, das ökonomische Elend, in dem der religiöse Fanatismus gedeiht, die andauernde Zusammenarbeit mit Staaten wie Saudi-Arabien oder dem Iran - solange bleibt das Rätselraten über 'Radikalisierung' irgendwie lächerlich.

Kontakt
Karsten Krüger
Schriftleiter des Bildungsmagaz!ns
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