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(K)Eine Chance für die Atomkraft?

Sechs Monate hatten die CDU/CSU und FDP Zeit, um sich über die künftige Energiepolitik zu verständigen. Herausgekommen ist eine schwarz-gelbe Kakophonie und Handlungsstarre. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle versprach den AKW-Betreibern gleich nach dem Wahlsieg einen zügigen Beschluss über längere Laufzeiten. Er verlangte als Gegenleistung aber mehr als die Hälfte der zusätzlichen Gewinne aus der Deregulierung von Laufzeiten für den Staatshaushalt. In einer Reihe von Interviews verblüffte hingegen Bundesumweltminister Norbert Röttgen: Die Atomkraft dürfe kein "Alleinstellungsmerkmal" der CDU sein. Die Bundesregierung werde bis zum Herbst darlegen, wie die Reaktoren schrittweise durch erneuerbare Energien abgelöst werden sollten.

Die gesellschaftlichen Widerstände gegen die Atomkraft seien zu groß, erklärte Röttgen. "Kernenergie hat auch nach vierzig Jahren keine hinreichende Akzeptanz in der Bevölkerung." Deshalb dürfe die Union ihren Erfolg nicht davon abhängig machen, dass Kernkraftwerke störungsfrei laufen.
Röttgen mochte zwar kein Datum für das Abschalten von Kraftwerken nennen, dafür nannte er das Ziel: "Der Ökostromanteil muss noch von heute 16 auf 40 Prozent ansteigen, dann ist es soweit. Selbst nach den skeptischsten Annahmen ist das 2030 der Fall." Im Klartext: er plädierte für eine Laufzeitverlängerung der Meiler um 8 Jahre. "Muttis Bester", wie er in Berliner Journalistenkreisen getitelt wird, erntete für seine Gedankenspielereien in Interviews großer deutscher Tageszeitungen heftigen Widerspruch von Seiten der FDP, der CSU und des Wirtschaftsflügels seiner eigenen Partei.

"Ausstieg aus dem Ausstieg"

Der "Ausstieg aus dem Ausstieg" erschrickt die Atomkraftgegner nicht, denn in den acht Jahren, in denen der angebliche Atomausstieg stattfinden sollte, hat es nur zwei kleinere Kraftwerke gegeben, die stillgelegt wurden, Obrigheim und Stade, unter anderem weil deren Nachrüstung viel zu teuer geworden wäre. Der rot-grüne "Atomkompromiss" erwies sich als Bestandsgarantie für die Atomkraftwerke, die Konzerne konnten durch die Übertragbarkeit von Stromkontingenten die Meiler durch das wechselnde politische Fahrwasser schippern und – sofern ein älteres AKW steuerlich abgeschrieben war – täglich 1 Mio. Euro kassieren.
Doch jetzt stehen einige "Brocken" an, denn ob die Nachrüstung der Reaktoren aus den siebziger Jahren sich rechnet - dazu gehören die Siedewasserreaktoren Brunsbüttel, Isar 1, Philippsburg und Krümmel sowie die Druckwasserreaktoren Biblis A und B, Neckarwestheim 1 und Unterweser –, ist mehr als zweifelhaft.

Extraprofite? – Zunächst wenig zu verteilen

Der Staat kann bei einer Deregulierung der Laufzeiten vorerst nur mit geringen Einnahmen aus den Zusatzgewinnen der Energiekonzerne rechnen. Selbst bei einer Abschöpfung des Großteils solcher Gewinne seien in dieser Legislaturperiode im Schnitt 300 Millionen Euro pro Jahr zu erwarten, berichtete die "Berliner Zeitung" unter Berufung auf eine Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Die Analysten gehen davon aus, dass Nachrüstungsinvestitionen von 3,2 Milliarden Euro für einen Weiterbetrieb alter Atomkraftwerke nötig seien.
Interessant ist, dass die Analysten nach der Bundestagswahl alle Aktien der Atomstromkonzerne auf "Kaufen" hochgestuft haben - mit zum Teil erheblichem Kurspotenzial von über 30 Prozent. Vor der Wahl waren lediglich die Aktien von E.on auf "Kaufen" gestuft. Die Analysten schreiben jedoch: "Solange die Details nicht verbindlich geregelt sind, dürfte der Markt in Wartestellung verharren".

Schwarz-gelbe Steilvorlage für die Anti-AKW-Bewegung

Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen setzen in ihrer Kritik an der Atomkraft originär an der mangelnden Sicherheit und der ungelösten Atommüllproblematik an. Für sie ist der Kurs von Schwarz-Gelb auf dem Hintergrund pekuniärer Verteilungskämpfe von daher eine Steilvorlage. Das Sicherheitsniveau solle sich nach der Wirtschaftlichkeit richten und nicht danach, welche objektiven Risiken bestehen. Sicherheit ist nicht verhandelbar.
Nach dem Treck der Bauern aus dem Wendland und der großen Anti-Atom-Demonstration am 5. September in Berlin sind die Aktivitäten der Atomkraftgegner nicht abgerissen. Schon die Koalitionsverhandlungen von Schwarz-Gelb waren von dauerhaftem Protest begleitet, bis zu über 1000 Menschen beteiligten sich am anti-nuklearen Warmlaufen, das größte Transparent der Bewegung wurde in Berlin genäht. Vorläufiger Höhepunkt war 120 Kilometer umspannende Menschen- und Aktionskette am 24. April zwischen den AKWs Brunsbüttel und Krümmel mit über 120000 Teilnehmern. Nach der Havarie in den beiden Atommüllendlagern Asse II und Morsleben, nachdem immer mehr behördeninterne Akten auf den Tisch kommen, die belegen, dass es in Gorleben nie ein wissenschaftliches Auswahlverfahren gab und dass negative Erkundungsergebnisse in den 80er Jahren geschönt wurden lebt der Geist des Hüttendorfs in Gorleben am 5. und 6. Juni nach 30 Jahren wieder auf mit einer großen Wiedersehensparty und der Umzingelung des "Schwarzbaus Gorleben". Im Herbst beim nächsten Castortransport ins Elbdorf wird die Abstimmung mit den Füßen gegen die Atompolitik von Schwarz/Gelb und der Einbahnstraße Gorleben organisiert. Die Straße lebt - von wegen Akzeptanz.

Der Autor:

Wolfgang Ehmke
Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. und GEW Kollege
www.bi-luechow-dannenberg.de

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