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„Junge Menschen gehen verloren“

Strukturwechsel in der Beratung und die negativen Folgen

Es hat für den gesamten Bereich Ausbildungsvorbereitung für schulpflichtige SuS in Bremen seit Schuljahresbeginn erhebliche Veränderungen und Auswirkungen gegeben: Nicht nur unsere Berufspädagogische Beratungs- und Steuerungsstelle (BEST) wurde abgeschafft, sondern es wurde auch eine neue Verordnung zur Regelung der Ausbildungsvorbereitenden Bildungsgänge (AVBG) in Kraft gesetzt. Beides erfolgte trotz zum Teil massiver Proteste. Die Unzufriedenheiten über Unzulänglichkeiten, Fehlentwicklungen, unklare, falsche Entscheidungen oder Vorgaben dauern an. Das Ganze ist leider nicht nur ein ‚Kinderstreich‘, sondern hat Auswirkungen auf viele Schülerjahrgänge. Die letzte AVBG bestand bekanntlich rund 25 Jahre, sie lief zwar auch erfolgreich.

Die Problemursache

Die Einrichtung und insbesondere die Umsetzung und Ausgestaltung der Jugendberufsagentur (JBA) in der jetzigen Form in Bremen bilden entscheidende Ursachen für die Probleme: Alle SuS, die nach zehn Schulbesuchsjahren die allgemeinbildende Sek. I verlassen, z. B. keine weitere Regelschule, duale Ausbildung usw. besuchen, sollen sich über den Umweg in den Jugendberufsagenturen Mitte oder Nord melden. Als SuS, die in Bremen grundsätzlich einer zwölfjährigen Vollzeitschulpflicht unterliegen, haben sie sich dort an die Zentrale Beratung Berufsbildung (ZBB) der Bildungsbehörde zu wenden und werden von dort nach einem Gespräch z. B. in schulische AVBG-Bildungsgänge überwiesen, um ihrer Schulpflicht nachzukommen. Der weitaus größte Teil geht dann in die Allgemeine Berufsbildende Schule (ABS), für die anderen kleineren AVBG-Standorte gilt das vergleichbar. Damit ist die Arbeit, die Vermittlung, durch die JBA abgeschlossen. Die AVBG-Schulen erhalten SuS nach festgelegtem Kontingent zugeteilt und sind dort entsprechend der neuen AVBG-Verordnung (eine weitere Baustelle, die hier im Moment nicht zu vertiefen ist!)  nach Vorstellung der Behörde ‚zu beschulen‘. Ob sie denn überhaupt nach erfolgter Zuweisung durch JBA/ZBB in der Schule ankommen, bleibt natürlich offen. Ausschulungen, Rücküberweisungen, Fehlerkorrekturen bei falscher Bildungsgangs-/Standortszuweisung, individuelle Lösungen, soziales Verständnis, Begleitung, nachhaltige Unterstützung usw. – all das ist in dem System der Zuweisung nicht mehr vorgesehen, es gibt weder Rahmen, Gelegenheit noch Zeit dafür in der JBA/ZBB. Die schulischen Standorte sind verantwortlich, so heißt es.

Keine pädagogische Reaktion

Eine effektive und flächendeckende Überprüfung der Schulpflichterfüllung in Bremen findet nicht mehr statt. Es gibt bereits jetzt viele Hundert bildungsmäßig unversorgte SuS der Sekundarstufe II in Bremen, Tendenz steigend. Nach den alljährlichen Erfahrungen wachsen nun zum Ende der Probezeit durch Schul- und Ausbildungsabbrüche die Zahlen. KuK fragen sich natürlich: In welchem Verhältnis steht das zu dem (JBA-/ZBB-Werbe-)Anspruch: „Keiner soll verloren gehen!“?  Fest steht eines: Im alten Organisationssystem gingen nachweislich keine SoS verloren! Ausgemachte Schulmeider wurden nämlich von der BEST zügig an das ReBUZ gemeldet, mit ggfs. vorliegenden Erkenntnissen abgeglichen und dann in der Regel sofort an die Behörde weitergeleitet. Dass hier dann keine hinreichende pädagogische oder wie auch immer von der Behörde für angemessen angesehene Reaktion erfolgte – das ist wiederholt von der BEST/ABS und beteiligten Institutionen nachdrücklich beklagt und angemahnt worden! Um Schulmeidung in Bremen effektiv entgegenzuwirken, dafür gab es seit Jahren konkrete Vorschläge von uns, und zwar für einen Bruchteil der Kosten, die entstehen aus dem aufwändigen Beteiligungsapparat der Schulbehörde an der JBA - für ohnehin vollzeitschulpflichtige SuS!

Das BEST-/ABS-Kollegium hat im Vorfeld immer wieder in der Behörde verdeutlicht, dass Trennung, Abspaltung und vollständige räumliche Auslagerung aus der einzigen Schule (ABS) mit 100 % AVBG-Bildungsgängen schädlich ist, wir haben argumentiert, Bedenken vorgetragen, gewarnt, Alternativen aufgezeigt, Wünsche und Vorschläge dargestellt, auch z. B. in Kooperation und gemeinsamer Sichtweise mit dem ReBUZ, um dem besonderen Schülerklientel in der Ausbildungsvorbereitung weiterhin angemessen gerecht zu werden.

Mit der Brechstange

Wichtig, deshalb klar gesagt: Es geht nicht um eine Schelte der JBA, schon gar nicht ihrer Mitarbeiter, der KuK der ZBB! Sie leisten motiviert und engagiert, bemüht um die SuS, ihre Arbeit. Probleme liegen in den unpassenden Strukturen und vorgegebenen z. T. völlig falschen Rahmenbedingungen.

Der Hintergrund der Jba im Bundesland Bremen entspricht nicht dem im Rest der Republik, schon gar nicht in bildungsföderaler Hinsicht! Warum soll hier mit der Brechstange identisch gemacht werden, was pädagogisch und inhaltlich und rechtlich absolut nicht gleich ist?

Kunden der Arbeitsagentur

Die bremische Bildungspolitik hat sich in den vergangenen Jahrzehnten um die Klientel ‚benachteiligte Jugendliche‘ durchaus bemüht und verdient gemacht. Ich meine, dazu dürfte man in Bremen durchaus stehen, vielleicht sogar mit etwas Stolz. Es gab hier im Bundesland die bereits angesprochene breit angelegte, ausdifferenzierte, gewachsene und bewährte schulische Ausbildungsvorbereitung. Bislang war diese im erfreulichen Gegensatz zu vielen anderen Ergebnissen und Untersuchungen über die bremische Bildungslandschaft sogar recht erfolgreich – bislang. Gäbe es die im Zusammenhang mit der alten Bremer Bildungs-Konzeption PeBeSch (Perspektiven Beruflicher Schulen, 1990) stehende 12-jährige Vollzeitschulpflicht in Bremen nicht, gäbe es die AVBGs in dieser Form und Ausprägung nicht, und diese SuS wären folgerichtig wie in den allermeisten Bundesländern in ihrem Alter zum größten Teil „Kunden“ der Agentur für Arbeit (AfA). Sind sie aber nicht: In Bremen sind diese Jugendlichen Vollzeitschüler, werden von der AfA auch nicht mit den für die Agentur hohe Kosten verursachenden Maßnahme-Angeboten versorgt.

Ganzheitliches Programm

Die Zuständigkeiten sind somit deutlich anders verteilt. Aus dieser Situation und Chance heraus hatte sich ein hervorragend arbeitendes stabiles, bewährtes ganzheitliches Programm der Ausbildungsvorbereitung entwickelt: Aufforderung zur Einschulung, Information zur Einschulung, Vermittlung in einen passgenauen Bildungsgang oder sogar Klassenverband, individuelle Beratung, unterrichtliches verzahntes Angebot von Theorie und Praxis der unterrichtlichen Abteilung, Möglichkeiten der Inanspruchnahme berufspädagogischer Folgeberatungen zu Unterstützung, Hilfe, Umorientierung bei eingetretenen Veränderungen im Lebensbereich der Jugendlichen - alles aus einer Hand. Die langjährig erfahrenen Berufspädagogischen Beratungslehrer/innen der ehemaligen BEST waren alle selber tätig genau in diesen AVBG-Bildungsgängen, sie kannten die Bedingungen aus eigenem Erleben, schulstandorttypische Besonderheiten, pädagogische Spezifika auch von Parallel-/Klassen, es waren individuelle Betrachtungsweisen und Entscheidungen im Interesse der SuS möglich. Wer die Klientel kennt, weiß, wie besonders wichtig das ist!

Ein Reparaturergebnis

Das ist seit Schuljahresbeginn nun endgültig vorbei. Die Ganzheitlichkeit ist zerstört worden – trotz vehementer Proteste der betroffenen Kollegien. Die aufbrechenden Probleme und erheblichen Defizite der neuen JBA/ZBB-Regelung mit Abschaffung der BEST blieben der Behörde nun nicht verborgen. Als Lehrkräfte sind wir natürlich in erster Linie fast ‚geprägt‘, jede Verbesserungschance für unsere SuS zu nutzen. Insofern werten wir es im Kollegium als einen Erfolg im Sinne von ‚Linderung der Probleme‘, dass es uns an der ABS gelungen ist, zumindest für die ABS-internen SuS aufgrund unserer umfangreichen Anträge, Planungen und Konzepte einen neuen Rahmen für Beratung durchsetzen zu können. Diese hausinterne Beratung BABS (Berufspädagogische Beratung an der ABS) wird aktuell von uns im BABS-Team aufgebaut, und es wird hoffentlich gelingen, die pädagogischen Bereiche der alten BEST, die in den Strukturen des JBA-/ZBB-Geschäfts nicht wahrgenommen werden können, nun zumindest in der ABS weiterzuführen.

Schade nur, dass ein Reparaturergebnis – obwohl unvollständiger und teurer – das Original kaum erreichen kann!