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Arbeitsbedingungen

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Warum der Kampf um gute Arbeitsbedingungen so wichtig ist

Stellen wir uns einen beliebigen Tag vor, an dem Frau L. nervös vor einem Schulleiterbüro steht. Man hatte ihr geraten, sich persönlich an einer Schule vorzustellen. Das hinterlässt bleibenden Eindruck. Voller Vorfreude auf das kommende Schuljahr, in dem Frau L. nun endlich als Vollzeit Lehrkraft unterrichten möchte, klopft sie an die Tür. So oder so ähnlich könnte es gewesen sein…

Klopf, klopf

SL: Guten Tag, wir freuen uns, sie bei uns begrüßen zu dürfen! Nehmen Sie Platz. Möchten Sie ein Wasser?

Frau L.: Gern, ich freue mich hier zu sein.

Beide nehmen Platz.

SL: Wir freuen uns auch über ihr Interesse. Gutes Personal ist nicht leicht zu finden. Sie brauchen nicht nervös zu sein, erzählen sie doch ein bisschen von ihren bisherigen Berufserfahrungen.

Frau L.: Studiert habe ich Mathematik und Englisch- beide Fächer habe ich bereits in der Schule sehr gemocht. Ich wollte immer unterrichten. Gerne würde ich in Zukunft eine Klassenleitung übernehmen, um eine Lerngruppe länger in ihrer Entwicklung begleiten zu können. Ich fahre gerne Fahrrad und…

SL bricht die Ausführungen ab.

SL: Alles gut- das klingt gut.

Frau L. wirkt irritiert. Passen ihre Fächer zu den Bedarfen? Wird der Schulleiter sie nun nach ihren Prüfungsnoten fragen?

SL: Wir stellen sie ein.

Frau L.: Oh, also das ist wirklich schön und auch ein wenig überraschend. Ist ja nicht selbstverständlich, dass die Schule meine Fächer auch benötigt.

SL lächelt Frau L. ermunternd zu.

SL: Das tun wir nicht. Aber seien sie völlig unbesorgt. Ich bin sicher sie werden sich wohl fühlen. Englisch und Mathe haben sie gesagt? SL überlegt kurz.  Also Deutsch und Mathe- dazu eine Schwangerschaftsvertretung bis Ende des Schuljahres in NW, zwei Förderstunden und eine Stunde freies Lernen- das könnten sie abdecken.

Nun grübelt Frau L: Sie befürchtet das könne sie nicht. Sie habe doch Deutsch nicht studiert, Schriftspracherwerb, Lesekompetenz… das sei doch alles sehr anspruchsvoll. Aber die SL ist so nett und sie könnte bald anfangen…wirklich schwierig.

Frau L.: Also ich bin etwas unsicher, was das unterrichten von Deutsch und NW angeht.

SL: Aber nicht doch. Sie haben doch eine Sprache studiert. Das ist kein Problem. Wissen sie, gar so viel Deutsch ist gar nicht gefragt bei uns, da greift ihnen ein Kollege unter die Arme. Die können ihnen in der Pause und den Freistunden zwischendurch eben zeigen wie wir das hier so machen, da ist immer etwas Luft für Austausch. Da sind sie gar nicht allein. Das machen die gern, die leiten ja auch die Referendare und Studenten nebenbei an, da können sie auch fragen, wenn sie unsicher wegen der Zeugnisse sind oder ähnliches, die Kollegen wissen Bescheid. Da fällt mir ein, würden sie gerne mal Erfahrungen im Vorkurs sammeln? Ich bin sicher, dass sie das schaffen und unsere DAZ Kraft ist gerade la...also vorrübergehend erkrankt.

Frau L. ist jetzt auch ein wenig entzückt, die SL traut ihr als Anfängerin einiges zu, sie muss wirklich Eindruck mit ihrem Auftreten gemacht haben…

Frau L.: Also, wenn das so ist, dann mache ich das gerne mit Deutsch. Kein Problem. Und NW sagten sie? Könnte ich da nicht doch lieber Englisch unterrichten? Da bin ich doch sonst wirklich viel fachfremd eingesetzt.

SL: In NW? Nein, nein. Also nicht mehr als alle anderen NW Lehrer.

Frau L.: Also, haben sie gar keine Fachlehrer an der Schule?

SL: Selbstverständlich. Aber unsere NW Lehrer sind hervorragende Biologie, Chemie und Physik Lehrkräfte- da erwarten wir schon auch ein bisschen Flexibilität und Eigeninitiativ. Das gehört doch alles irgendwie zusammen. Und - wenn ich mal so tief aus dem Nähkästchen plaudern darf- wir haben da auch eine wirklich fitte Studentin aus der Stadtteilschule, die wuppt das schon mit ihnen. Die unterrichtet den Parallelkurs und wird dort auch die Prüfungen abnehmen, damit hat sie schon Erfahrung aus dem Vorjahr.

Frau L. überlegt…Biologie, Chemie, Physik…Aber man muss ja über seinen Schatten springen, die Oberschule ist deutschlandweit bekannt, sie habe gelesen, dass es durchaus viele Erfolge dieser Schulform zu verzeichnen gäbe. Sie zögert nicht lange.

Frau L.: Gerne möchte ich Teil ihrer Schule sein!

SL: Prima, dann können sie nächste Woche als KL der 6a anfangen. Ist eine kleine Klasse, machen sie sich keine Gedanken. 20 Kinder, 5 mit Inklusionsstatus und nur zwei sprechen kein Deutsch. Und natürlich gibt es bei uns eine Sonderpädagogin. SL stolz.

Frau L. gewöhnt sich langsam an das Tempo dieser Unterhaltung.

Frau L.: Gleich eine Klassenleitung? Man wächst mit seinen Aufgaben und die Begleitung der Schüler über einen längeren Zeitraum war ja mein Wunsch. Man hört viel von der Arbeit im multiprofessionellen Team. Wann kann ich die Sonderpädagogin kennen lernen?

SL: Also Montag und Dienstag wird sie nicht da sein. Sie arbeitet in zwei Jahrgängen. Frau S. ist eine wunderbare Kollegin. Sprechen sie sie einfach Mittwoch an.

Frau L: Mittwoch haben sie also Kooperationszeit?

SL: Nein- Montag ist Präsenztag.

Frau L: Sagten sie nicht Mittwoch sei Zeit sich mit Frau S auszutauschen?

SL: Wir machen das hier so, dass unsere Kollegen sich über die Kinder, die Klassen und ihre Unterrichtskonzepte außerhalb des Präsenznachmittages austauschen. Das ist im Rahmen der Schule so vorgesehen. Damit haben wir auch ganz gute Erfahrungen gemacht- die Kollegen hängen sich da richtig rein. Wir sind da bei uns ganz flexibel und manchmal muss es ja auch schnell gehen. Erst bereiten sie vor, dann tauschen sie sich aus, dann differenziert die Sonderpädagogin. Dann gehen sie gemeinsam den Ablauf nochmal durch, dazu die Gespräche über die Entwicklung, die Situation zuhause, das Verhalten bei anderen Fachlehrern, die Strukturen in der Klasse, verbindliche Maßnahmen. Ich bin immer wieder begeistert, was die Kollegen so auf die Beine stellen! Das ist am Montag nicht auch noch zu schaffen. Da müssen wir uns Zeit für die Jahrgangskonferenzen, Fachkonferenzen, Klassenkonferenzen und Jahrgangsfachgruppentreffen nehmen. Apropos, in zwei Wochen haben wir Projektwoche? Da kann ich doch sicher auf sie zählen?

Frau L: Ja, also, natürlich…das ist jetzt wirklich alles sehr beeindruckend. Für die Projektwoche, also das könnte man doch irgendwie vielleicht in der Fachkonferenz also, dass ich das nicht alleine…?

SL: Natürlich- fragen sie die Fachleiter, wenn sie das neue Curriculum mit überarbeiteten Kompetenzen auf verschiedenen Niveaus bereits beendet haben, dann ist da sicher Luft, dass jemand mit ihnen die Projektwoche planen kann. Die müssten schon so weit sein. Nein, da fällt mir ein die arbeiten gerade noch an der Einbindung des Medienkonzeptes in das Curriculum. Das könnte knapp werden.

SL unterbricht. Sucht Medienkonzept, das müsse doch irgendwo sein oder hat die Arbeitsgruppe das noch gar nicht…Medienkonzept, da war doch…

Frau L: Prima- ein Medienkonzept. Ich habe da mal im letzten Jahr an meiner Ausbildungsschule was mit IPads…

SL: Ja, IPads! Dank des Digitalpaktes haben wir die auch, da haben alle in Bremen gleich zugeschlagen, aber wie man das nun wieder einbindet? Da müssen sie jetzt aber mal Kollege X, Y oder Z fragen. Die machen da immer mal was mit. Aber jetzt muss ich los. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen! Alles Gute, kommen sie immer gern, wenn sie fragen haben. Und gutes Gelingen, scheuen sie sich nicht auch mal ein Stündchen mehr zu machen. Wir halten doch alle zusammen hier in Bremen. Die Kollegen machen das aus Überzeugung, das ist schon eine ganz besondere Atmosphäre hier.

Frau L: Aber eine Frage habe ich noch- ich habe doch nie mit diesen Kindern gearbeitet. So leicht ist das doch nicht! Haben sie denn jemanden, der sich für den Bereich Inklusion hier verantwortlich fühlt, wo ich nochmal spezielle Fragen klären kann?

SL: Achso, ja natürlich. Das wäre Herr M. unser Leiter des Zentrums für unterstützende Pädagogik- kurz ZUP.  Können sie immer ansprechen, aber es kommt ganz drauf an, was sie fragen wollen. Herr M. ist kein Sonderpädagoge. Unter Umstände klären sie das dann lieber mit anderen Kollegen. Wie gesagt, die finden immer irgendwie Zeit. Wir planen auch gerade eine zusätzliche Fortbildung. Ist ja wirklich nicht so leicht, mit den vielen Niveaus und Lerntypen an unserer Schule, aber sie wissen ja zusätzliche Arbeitszeit und so, das kommt nicht bei allen gut an.

Frau L: Aber der Leiter des ZUP ist gar kein…?

Frau L nimmt nun einen großen Schluck Wasser. Es gibt wirklich ausgefallene Lösungen hier in Bremen. 

SL: Nun muss ich aber wirklich los. Sie schaffen das schon! Ich muss mal eben einen Blick auf eine Klasse werfen, die seit zwei Stunden mitbetreut wird, wegen Versicherung und so- sie wissen schon, manche Kollegen sind da empfindlich.

Frau L. überlegt noch kurz, was mit „mitbetreut“ gemeint sein kann. Packt dann aber ihre Sachen und verlässt das Büro. Endlich eine eigene Klasse - sie freut sich auf die Arbeit mit den Kindern! Möge es der Kollegin gut ergehen in ihrer neuen Schule. Wir hoffen, dass sie nicht überfordert ist von den Anforderungen, die an sie gestellt werden. Dass sie sich nicht alleine gelassen fühlt. Dass sie Freude hat an der Arbeit mit den Kindern. Dass sich Kollegen finden, die ihr helfen. Alles das hoffen wir für Frau L. Wäre es aber nicht großartig man müsste das nicht hoffen? Man müsste nicht die Daumen drücken für ihre Belastbarkeit und ihre psychische Gesundheit in dieser Struktur?  Zu viele KollegInnen „gelingt“ das nicht. Sie suchen z.B. den Weg in die Teilzeit, weil sie es anders nicht schaffen können, nicht, weil sie es sich wünschen. Wir wünschen uns einen neuen Blick auf unsere Arbeitszeit, um an den hier genannten Herausforderungen nicht zu scheitern und dafür setzen wir, die GEW-Personalrät*innen, uns in eurem Namen ein.