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Haushalt 2014/2015 – Warum die Bremer Schulen einen Nachtragshaushalt von 20 Mio. € jährlich brauchen

Am 30. Dezember war im Weser-Kurier unter dem Titel „Was das neue Jahr für Bremen bringt“ zu lesen: „Eins steht – so hoffen die Bildungspolitiker - 2014 nicht an: Eine Diskussion um die Lehrerversorgung. Zwar sind viele Interessenverbände mit der Ausstattung immer noch nicht zufrieden, mit zusätzlichen Mitteln im Haushalt sollte aber zumindest die grundlegende Unterrichtsversorgung nun abgedeckt sein.“

Offensichtlich haben die Autoren dieses Artikels die Erklärungen des Senats für bare Münze genommen und weder den Bildungshaushalt gelesen noch den Bericht des Landesrechnungshofes zur Kenntnis genommen, der schon 2012 einen Mehrbedarf von 20 Mio. € jährlich für die Bremer Schulen attestierte. Der Senat verfährt nach der Devise, die schon Heinrich von Kleist in den „Regeln des französischen Journalismus“ entlarvt hat:

„Was man dem Volke dreimal sagt, das glaubt es.“
Aber die Behauptung, es gebe jetzt „mehr“ für die Schulen wird auch durch ständige Wiederholung nicht richtiger. Ein Nachtragshaushalt von 20 Mio. jährlich ist das Minimum, wenn auch nur die aktuelle, höchst unzureichende Versorgung aufrechterhalten werden soll. Aufgabe der „Interessenverbände“ (GEW, ZEB, GSV u.a.) wird es sein, in den nächsten Monaten schlüssig in der Öffentlichkeit nachzuweisen, dass von einem „Mehr“ für die Schulen nicht die Rede sein kann.

1. Die „Schippe drauf“ war keine

Nach seinem Beschluss über die Haushaltseckwerte hatte der Senat im April 2013 verkündet, es werde 7,5 Mio. mehr für die Schulen geben. Schon damals hatte die GEW das bezweifelt. Und tatsächlich bezog sich das „Mehr“ ausschließlich darauf, dass die vorherige Bildungssenatorin von Seiten des Rathauses und der Finanzsenatorin drastische Kürzungsauflagen erhalten hatte, die der neuen Senatorin zum größeren Teil erlassen wurden. Im Haushaltsanschlag finden wir jetzt bei den Personalausgaben des Bildungsressorts 291,5 Mio. für 2014 und 288 Mio. für 2015. Das bedeutet gegenüber 2013 (291,9 Mio.) eine Kürzung um 3,9 Mio. oder 1,3%. Trotz dieser Kürzung weist der Haushaltsanschlag für 2015 gegenüber 2013 eine leicht erhöhte „Beschäftigtenzielzahl“ auf: Sie soll um 54 Stellen von 4913 auf 4972 ansteigen (wobei in dieser Zahl nicht nur die Lehrkräfte erfasst sind). Diese Prognose stützt sich u.a. darauf, dass aufgrund der Altersstruktur viele Beschäftigte über 55 den Schuldienst verlassen und die Neueingestellten, denen vor acht Jahren die Eingangsbesoldung abgesenkt wurde, weniger verdienen.

2. Mittel für neue Ganztagsschulen – aber nicht für neues Personal

Kurz vor der Verabschiedung des Haushaltes beschlossen die Fraktionen von SPD und Grünen, dass weitere Ganztagsschulen eingerichtet werden sollen, obwohl schon jetzt eine ausreichende Grundfinanzierung der Schulen nicht gesichert ist. Im Haushalt wurden bei den investiven Mitteln 1,05 Mio. für 2014 und 1,45 Mio. für 2015 neu eingestellt. Die Grundschulen Rechtenflether Str., Delfter Str., Witzlebenstr., Borgfeld und In der Vahr sollen zu offenen, die Stader Str. in eine gebundene Ganztagsschule umgewandelt werden. Außerdem werden dafür im Jahr 2015 0,83 Mio. an konsumtiven Mitteln eingeplant. Keinerlei Niederschlag findet der Ganztagsschul-Beschluss der Fraktionen bei den Personalausgaben, sie verbleiben bei 291,5 bzw. 288 Mio. Das alte Leiden bei den Ganztagsschulen wird in die Zukunft fortgeschrieben: Es wird gebaut, es werden prekäre Beschäftigungsverhältnisse eingerichtet, aber die reguläre Personalversorgung fehlt. So baut man neue potemkinsche Dörfer für die Statistik und die Selbstdarstellung in Wahlprogrammen.

3. Der Mehrbedarf für die Inklusion und den Aufbau der Oberschulen wird nicht gedeckt

Der Landesrechnungshof hatte im April 2012 festgestellt, dass die Umsetzung der 2008-2010 beschlossenen Maßnahmen bei Einhaltung der damals festgelegten Parameter (Klassenfrequenz von max. 25 in der Oberschule und von 17+5 in Inklusionsklassen, 3 Lehrerwochenstunden sonderpädagogischer Förderbedarf für 6% der SchülerInnen) einen Mehrbedarf von ca. 20 Mio. jährlich hervorruft. Das Rathaus und die Senatorin für Finanzen haben diesen Bericht immer totgeschwiegen, nur die GEW und das „Bündnis für Bildung“ haben die dort genannten Zahlen aufgegriffen. Jetzt, nach Abschluss der Haushaltsberatungen, geht die Senatorin für Bildung in einer Deputationsvorlage (G 99/18) auf den Rechnungshof ein und bestätigt, dass der Mehrbedarf für Inklusion und Oberschul-Entwicklung 414 Stellen im kommenden und 442 Stellen im übernächsten Jahr beträgt. Rechnet man diese Stellen in Geld um, so entsprechen sie der vom Rechnungshof genannten Summe von ca. 20 Mio.

4. Rechenkunststücke der Behörde: Die „demographische Rendite“

Diesem anerkannten Mehrbedarf stellen die Autoren der Deputationsvorlage einen Minderbedarf im Umfang von 354 bzw. 419 Stellen durch die „demographische Rendite“ gegenüber, sodass nur noch ein Fehlbedarf von 60 Stellen errechnet wird. Gemeint ist mit dieser „Rendite“ eine geschätzte Kürzungsmöglichkeit durch den Rückgang der SchülerInnenzahl. Dabei gestehen sie selbst ein: „Für die Ermittlung der demographischen Rendite gibt es kein anerkanntes oder abgestimmtes Berechnungsverfahren“. Und nach Prüfung aller Zahlen bestätigen sie ihre eigene Einschränkung: Ihre Berechnung kann nicht nachvollzogen werden.
Seit dem von ihnen gewählten Basisjahr 2009/10 hat sich die SchülerInnenzahl folgendermaßen entwickelt:

Entwicklung der SchülerInnenzahl | Stadtgemeinde Bremen | öffentliche Schulen

 

2009/10

2013/14

Veränderung

in %

allgemeinb.

49504

46308

- 3196

- 6,4 %

berufsb.

21050

19531

- 1519

- 7,2 %

gesamt

70554

65839

- 4715

- 6,7 %


Quelle: Schulstatistik der Bildungsbehörde

Die Beschäftigtenzielzahl des Jahres 2010 betrug 4941 Stellen. Zieht man hiervon linear 6,7% ab, so ergibt das für 2014 ein Kürzungspotenzial von 331 Stellen (und nicht, wie von der Behörde – wahrscheinlich auf Weisung der Senatorin für Finanzen - beziffert, 354 Stellen).

5. Warum die „demographische Rendite“ ein betriebswirtschaftliches Luftschloss ist

Jedoch lässt sich ein solcher SchülerInnenrückgang bei Betrachtung der schulischen Realität nicht linear auf den Lehrkräfte-Bedarf umrechnen. Eine Klasse, die zwei SchülerInnen weniger hat, kann nicht mit der Parallelklasse zusammengelegt werden. Und sie kann auch nicht 8% weniger Unterricht erhalten, als in der Stundentafel vorgesehen ist. Die Entwicklung der Klassenverbände zeigt daher ein anderes Bild, als die allgemeine Entwicklung der SchülerInnenzahl:

Jedoch lässt sich ein solcher SchülerInnenrückgang bei Betrachtung der schulischen Realität nicht linear auf den Lehrkräfte-Bedarf umrechnen. Eine Klasse, die zwei SchülerInnen weniger hat, kann nicht mit der Parallelklasse zusammengelegt werden. Und sie kann auch nicht 8% weniger Unterricht erhalten, als in der Stundentafel vorgesehen ist. Die Entwicklung der Klassenverbände zeigt daher ein anderes Bild, als die allgemeine Entwicklung der SchülerInnenzahl:

Entwicklung der Klassenverbände | Stadtgemeinde Bremen | öffentliche Schulen

 

2009/10

2013/14

Veränderung

in %

allgemeinb.

2054

2014

- 40

- 1,9 %

berufsb.

1018

953

- 65

- 6,3 %

Quelle: Schulstatistik der Bildungsbehörde

Aufgrund der genannten Faktoren ist die Zahl der Klassenverbände also trotz der geringeren SchülerInnenzahl in den allgemeinbildenden Schulen kaum gesunken. Hieraus ergibt sich folgende korrigierte Rechnung:
Für die allgemeinbildenden Schulen betrug die Beschäftigtenzielzahl im Jahr 2010 3904 Stellen. Bei einem Rückgang der Klassenverbände um 1,9% kann also höchstens ein Minderbedarf von 74 Stellen in Rechnung gestellt werden. Im Berufsschulbereich beträgt die „Rendite“ bei damals 1037 Stellen höchstens 69 Stellen. In der Summe ergibt das 143 und nicht – wie von der Behörde behauptet – 354 Stellen. D.h. 211 Stellen Mehrbedarf sind in der Behördenrechnung spurlos verschwunden.

6. Die „PEP-Quote“: 108 Stellen wurden schon gestrichen

Allerdings macht das Bildungsressort in derselben Deputationsvorlage gegenüber dem Finanzressort geltend, dass durch die „PEP-Quote“ bereits 108 Stellen gekürzt wurden und daher ein Fehlbedarf von 168 Stellen bestehe (108+60). Addiert man zu dieser Behördenzahl die „verschwundenen“ 211 Stellen, so beträgt der reale Fehlbedarf 379 Stellen. Demgegenüber erhält das Bildungsressort nach den Senatsbeschlüssen vom April nur 96,5 Stellen finanziert. Der „Rest“ (laut Behörde 72, laut Gegenrechnung 283 Stellen) soll durch Umverteilungen im Ressort erbracht werden.

7. Fazit der Berechnung

Mit ihrer Deputationsvorlage rechnet sich die Bildungsbehörde die Welt schön. In Wirklichkeit fehlen selbst unter Berücksichtigung des SchülerInnen-Rückganges mindestens 283 Stellen. Das sind in Geld umgerechnet ca. 14 Mio. € jährlich. Hierbei ist noch nicht einmal die dringend nötige Aufstockung der unzureichenden Vertretungsreserve mit einberechnet. Außerdem fehlt die künftige Regelversorgung der neuen Ganztagsschulen.
Eine weitere Schönrechnung besteht in der Aussage: „Im investiven Bereich sind im Wesentlichen keine Kosten angefallen.“ Der Rechnungshof hat 2012 nachgewiesen, dass der bis 2016 veranschlagte Investitionsbedarf von 22 Mio. jährlich weit überschritten wird (2011 betrug er 67 Mio.). Es kann also angesichts der geplanten Um- und Neubauten im Zusammenhang mit der Oberschulentwicklung ohne Übertreibung von einem Mehrbedarf von jährlich mindestens 6 Mio. € ausgegangen werden. Und damit wäre die von Rechnungshof veranschlagte Summe von 20 Mio. auch aktuell bestätigt.