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Religion

Gott und Vaterland – Eine Fortsetzungsgeschichte

Schlaglichter auf den aktuellen Stand der religiösen Verdummung

Menschenrechtsaktivistinnen setzen sich für den Blogger Raif Badawi ein.

„Es ist nichts so absurd, dass Gläubige es nicht glaubten. Oder Beamte täten.“ Arno Schmidt

In vielen Teilen der Welt ist nationalistisch und patriarchal aufgeladene Religion – im Bündnis mit entsprechenden politischen Kräften - auf dem Vormarsch. Und in Deutschland? Selbst mit offen reaktionär agierenden Religionsverbänden sucht man den Schulterschluss; zur Förderung einer diffusen Toleranz und zum Erhalt von Wahlstimmen, das lässt sich am Umgang mit Ditib ablesen. Einige Schlaglichter auf die organisierte Religion, ihre Funktionäre und deren politische Rolle.

Einleitung: Ein Blick in das Jammertal des Jahres 2019

Dem unvoreingenommenen Blick in die Welt bietet sich ein wahres Potpourri der Errungenschaften organisierter Religion. Jerusalem: Orthodoxe Juden bespucken und beschimpfen jüdische Frauen, die mit Gebetsschal und Thorarolle an der Klagemauer beten wollen –  letzteres ist nach traditioneller Auffassung Männern vorbehalten. Das Gebet der „Women of the Wall“ am Weltfrauentag musste abgebrochen werden. Rom: Dem Vatikan gehen langsam die Priester aus, die „Einzelfälle“ sexuellen Missbrauchs häufen sich massiv. Kardinal Pell, seines Zeichens Finanzchef und ranghoher Kleriker, wird in Australien wegen sexueller Übergriffe verurteilt. Der Erzbischof von Lyon muss zurücktreten, da ihm Vertuschung ähnlicher Taten vorgeworfen wird. Washington: Die konservative Christin Allison Rushing, bekannt für ihre Agitation gegen die Trennung von Kirche und Staat, ist mit den republikanischen Stimmen im Senat zur Bundesrichterin ernannt worden. Teheran: Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh verteidigte Frauen, die sich dem Schleierzwang widersetzt haben; daraufhin wird sie mit absurden Anklagen vor Gericht gestellt und zu mehrjähriger Jahren Haft verurteilt. Derweil sitzt Raif Badawi weiter in Saudi-Arabien ein und bekommt wöchentlich seine Peitschenhiebe, die Antwort der Religionsgelehrten auf den von ihm betriebenen säkularen Blog. Im Gegensatz zu früher, ließe sich einwenden, wird heute niemand mehr umgebracht. Nicht unbedingt auf dem Scheiterhaufen, das stimmt: In Indien wurde 2013 die säkulare Aktivistin Gauri Lankesh erschossen, nun kamen Pläne einer hindu-nationalistischen Gruppe ans Licht, weitere 34 Menschen aus dem religionskritischen Spektrum umzubringen. Und der atheistische Verleger Shahzahan Bachchu wurde in Bangladesh im Sommer 2018 von islamistischen Tätern auf offener Straße ermordet. Abgesehen von dieser letzten, stammen alle anderen Meldungen vom März 2019.

Gleichschaltung aus Ankara, Gelassenheit in Bremen

Im Herbst letzten Jahres kam Ditib wieder in die Schlagzeilen: Plötzliche Rücktritte von gesamten Vorständen wurden gemeldet, darunter auch im niedersächsisch-bremischen Landesverband. Die Gründe wurden relativ offen kolportiert. Der Vorstand des Verbandes in der Türkei übte Druck aus, um sicherzustellen, dass Funktionäre im Verdacht einer kritischen Haltung zur AKP-Regierung ausgeschaltet werden. Für Rot-Grün in Bremen anscheinend kein Problem, wie dem Weser-Kurier vom 29.11.18 zu entnehmen war. Verhaltene Kritik an Ditib kam von der CDU, lediglich Cindi Tuncel (Linke) forderte eine Suspendierung des 2013 geschlossenen Staatsvertrages. Hingegen betonte SPD-Fraktionschef Tschöpe, die bisherige Zusammenarbeit solle fortgesetzt werden. Ausdrücklich mit Lob bedacht wurde der neue Ditib-Vorsitzende Ali Ihsan Ünlü, mit dem man, laut Tschöpe, bereits früher 'gut zusammengearbeitet' hätte.

Ansichten eines religiösen Verbandsfunktionärs

Besagter Herr Ünlü kam vor einigen Wochen wieder in die Schlagzeilen. Der Versuch des Landes Niedersachsen, Leitlinien für den islamischen Religionsunterricht in Zusammenarbeit mit den Islamverbänden zu entwickeln, scheiterte nach zweijährigen Verhandlungen, vor allem wohl am Einspruch Ditibs. Anlass dafür scheint ein Antrag von Regierungsseite gewesen zu sein, und zwar folgenden Inhalts: „Der Religionsunterricht (..) thematisiert die Ablehnung diskriminierender oder ausschließender Verhaltensweisen im Kontext der Vielfalt sexueller Identitäten.“ Eine Anforderung, mit der Ditib sich nicht anfreunden konnte. Dazu der Deutschlandfunk: „So sagt Ali Ünlü, Chef des Ditib-Landesverbandes Niedersachsen-Bremen, apodiktisch, Homosexualität sei im Islam verboten.“  Und die Idee, einen unabhängigen und gemäßigten Islamverband neben Ditib zu gründen – wie es sich in einigen Bundesländern andeutet - , bezeichnet er als „Blödsinn“. Niedersachsen brauche einen solchen Verband nicht, der nur zur 'Spaltung' der Muslime führe, die in Ünlüs Augen anscheinend einen einheitlichen Block darstellen. Ebenso bekennt er mit einer gewissen Nonchalance, seine Organisation werde eben von der Türkei aus geführt. Ein Mann mit klaren Ansichten also. Existieren möglicherweise zwei Ditib-Funktionäre mit dem Namen Ali Ihsan Ünlü? Handelt es sich um denselben, mit dem die SPD in Bremen so gut zusammengearbeitet hat? Kurz reibt man sich die Augen, erinnert sich dann der bekannten sozialdemokratischen Wendigkeit und begreift: es ist derselbe!

Ansichten einer liberalen Religionspädagogin

Die niedersächsische Regierung hat die betreffende Leitlinie nunmehr gegen den Willen von Ditib beschlossen. Auf Zustimmung trifft dies bei Religionspädagogin Annett Abdel-Rahman, die ebenfalls in der Kommission zur Gestaltung des Religionsunterrichts saß. Sich gegen sexuelle Diskriminierung auszusprechen, sei keine theologische Fragestellung, sagt sie und wird wird mit den Worten zitiert: „...es geht in dem Kerncurriculum überhaupt nicht darum zu diskutieren, ob Homosexualität erlaubt ist oder nicht, es geht darum, dass ein diskriminierendes Verhalten, dass Mobbing, jemanden auszuschließen, der anders ist als ich das vielleicht für richtig halte, dass das nicht in Ordnung ist. Es geht um ein Sozialverhalten, das wir fördern wollen. Auch wir Muslime kennen ein ablehnendes Verhalten uns gegenüber und fordern das auch von der Gesellschaft ein.“ Diese Position ist zwar gut gemeint, wirft aber ebenso Fragen auf. Werden die islamischen Gebote und Gelehrtenmeinungen zur Sexualität vornehm ausgeklammert, so kürzt sich der Unterschied zum Politik- oder Sozialkundeunterricht heraus, damit aber auch der Grund, das Thema überhaupt im Fach Religion zu behandeln. Frau Abdel-Rahman drückt sich, mit Verlaub, etwas um die strittigen Fragen herum.

Klare Worte

Dagegen macht Ali Ünlü aus seinem Herzen keine Mördergrube. Meistens steht er da und kann nicht anders. Bevor er als vermeintlichen Hardliner ans diskursive Kreuz genagelt wird, sei ihm eine kleine Apologie zugeeignet: Wer das Spektrum der islamischen Theologie, insbesondere in muslimisch geprägten Ländern, betrachtet, sucht die klare Akzeptanz sexueller Freiheit dort vergeblich. Dies betrifft neben gleichgeschlechtlichen Neigungen auch den Fetisch weiblicher Jungfräulichkeit und damit korrespondierende Bilder von Männlichkeit, Familie und Erziehung. Heranzuziehen für theologische Auskünfte wäre exemplarisch die Al-Azhar Universität in Kairo, ein Zentrum sunnitischer Gelehrsamkeit; sie reagierte übrigens schon auf die erste Imamin in Berlin ziemlich allergisch und sprach, in Gestalt ihres Dar-al-Ifta-Amtes, eine Fatwa dagegen aus (Tagesanzeiger, 26.06.17). In dieselbe Richtung ging die Stellungnahme von Diyanet, der türkischen Religionsbehörde, deren Ableger Ditib ist. Wo schon eine weibliche Vorbeterin derartige Ausbrüche hervorrufen kann, mag man nach der theologischen „Expertise“ zu freier sexueller Orientierung  gar nicht mehr fragen. Ist es Ünlü nun also vorzuwerfen, wes‘ Geistes Kind er ist, also dass er eine islamische Mehrheitsposition vertritt?

Religionskritik statt Islam-Bashing

Selbstredend sind derartige Haltungen ebenfalls im Katholizismus, bei den Evangelikalen, im orthodoxen Judentum und anderswo zu finden. Genau deswegen lässt, was hier am islamischen Beispiel geschieht, sich verallgemeinern: Konfessionsgebundenen Unterricht einerseits zuzulassen, ihm jedoch von außen, durch amtliche Vorgaben, Maßstäbe aufzuzwingen, die den zugehörigen Religionsfunktionären innerlich fremd sind, ist fragwürdig. Wie werden derartige Direktiven, verbunden mit dem Gefühl des Aufgezwungenseins, wohl unterrichtet? Das riecht nach Gewissenszwang. Andererseits, was hat religiöse Unterweisung unter Glaubensvorbehalt mit Wissenschaft zu tun? Wären die Kirchen doch einfach nie ins Klassenzimmer gelassen worden.

Vergessener Säkularismus

Die alte Forderung des Säkularismus, wie sie übrigens bereits im Kaiserreich von den gewerkschaftlich organisierten Lehrkräften, später in der Novemberrevolution erhoben wurde, hat nichts an Aktualität verloren: Wirkliche Trennung von Kirche und Staat, Konfessionen raus aus der Schule! Im Unterricht sollte von wissenschaftlicher Warte aus informiert werden, wobei der Darstellung religiöser Lehren wie auch ihrer Kritik gleicher Raum gegeben werden müsste. Bildung könnte ein Gegengewicht sein zu den weltweit sich auftürmenden Wellen des Irrationalismus – die keineswegs zwingend im Gewand des Religiösen sich präsentieren, wie unter anderem der perfide Anschlag von Christchurch zeigt. Im Weltmaßstab treten nationalistische Bewegungen jedoch fast schon im Regelfall in ideeller oder praktischer Allianz mit religiösen Kräften auf.

Wirklicher Säkularismus:  Daran müssten die regierenden Parteien freilich überhaupt erst ein Interesse haben. Meist sind sie selbst mit religiösen Instanzen verflochten, schätzen diese als ideologische Transmissionsriemen zur Verbreitung des gesellschaftspolitisch gewünschten Überbaus, sei es zum Zwecke einer rechten Kulturrevolution, wie in Ungarn, Polen, den USA, sei es zum Erhalt bestehender Machtverhältnisse wie in Saudi-Arabien oder Russland. Gemeinsam ist den Eifernden allemal das Ressentiment gegen die Moderne. In diesem Sinn sind religiöse Institutionen nicht isoliert zu verstehen, sondern als ein Element gesellschaftlicher Herrschaft. Gleichwohl bleibt Religionskritik, und nicht tolerante Gleichgültigkeit, der Anfang aller Kritik.