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Gymnasium

GEW Bremen sollte ihre Haltung zu G8 überdenken

Gedanken zur Schulzeitverkürzung und ihren Auswirkungen

Spätestens seitdem in Niedersachsen das sogenannte „Turbo-Abi“, also das Abitur nach dem 12. Jahrgang bzw. nach 8 Jahren auf dem Gymnasium (G8) rückabgewickelt wurde, steigt der Argumentationsdruck in Bremen, auch hierzulande wieder das früher übliche „G9“ einzuführen. Mittlerweile haben sich weitere große Bundesländer (Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Bayern) zu einer Rückkehr ins G9-System entschlossen, die 2024 bzw. 2025 abgeschlossen sein wird. In Hessen besteht Wahlfreiheit für die Gymnasien. In Baden-Württemberg laufen an einige Schulen Modellversuche. Rheinland-Pfalz war als einziges westdeutsches Bundesland von vornherein bei G9 geblieben.

Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Ursprünglich war G9 in den westdeutschen Bundesländern das Standardmodell. In den neuen Bundesländern, die zu DDR-Zeiten G8 hatten, blieben nur Sachsen und Thüringen dabei, die anderen wechselten ebenfalls auf G9. Nach dem PISA-Schock im Jahr 2000 wurde dann als eine von mehreren diskutierten Maßnahmen in fast allen Bundesländern auf G8 umgestellt. Der Wechsel basierte allerdings weniger auf bildungstheoretischen, sondern auf wirtschaftlichen Überlegungen, konnten doch die ein Jahr früher ins Wirtschaftsleben entlassenen Abiturient*innen ein Jahr länger Steuern und Sozialabgaben zahlen. Auch die Kultusminister konnten sich mittelfristig für einen gymnasialen Jahrgang Lehrkräfte in der Sek-1 sparen.

Der Systemwechsel wurde beim Umstieg auf G8 unterschiedlich vollzogen. Da keine Bildungsinhalte wegfallen sollten und auch die Gesamtzahl der besuchten Unterrichtsstunden beibehalten werden sollte, erhöhte sich die durchschnittliche Wochenstundenzahl der Gymnasiast*innen von 30 auf 34, was regelmäßigen Nachmittagsunterricht bedeutete. Wollte man jüngeren Jahrgängen zu dichte Stundenpläne ersparen, so musste man im Gegenzug höheren Jahrgängen noch mehr Stunden aufdrücken. Die Folge war ein höherer Leistungs- und damit auch Selektionsdruck. Hobbies am Nachmittag lassen sich unter solchen Bedingungen nur noch durch strikte Zeitplanung ermöglichen. Die Jugendlichen erleben bereits in jungen Jahren einen starken „Freizeitstress“.

Unerfüllte Hoffnungen

Sollten mit der Reform Hoffnungen auf höhere Leistungen der Schülerinnen und Schüler verbunden gewesen sein, so wurden diese nicht erfüllt. Die Rückmeldungen aus den Universitäten zeigen, dass zumindest die fachlichen Kompetenzen der Abiturient*innen eher abgenommen haben. Natürlich fehlt den Studienanfänger*innen heute ein Jahr nicht nur an Lernzeit, sondern auch an Lebenserfahrung.

Die Umstellung auf G8 ging nicht ohne Probleme einher. So mussten die Curricula zeitlich gestrafft werden, in aller Regel nicht um den Faktor 9/8, sondern – um die Jahrgänge 5 und 6 sowie die Oberstufe nicht zu ändern – um den Faktor 4/3. Nicht vergessen werden sollte, dass dieses verschärfte Lernen, das den Fokus komplett auf Stoffvermittlung statt auf Entwicklung kritischer Haltungen setzt, auch noch in Klassen mit 30 Schülerinnen und Schülern in der Sek 1 und 25-28 Schülerinnen und Schülern in Kursen der Sek-2 durchgeprügelt werden muss (oftmals werden diese Zahlen noch überschritten). Dabei müssen aber insbesondere die Gymnasialen Oberstufen in Bremen auf Schülerinnen und Schüler eingestellt sein, welche die Sek-1 in entweder fünf oder sechs Jahren durchlaufen haben, je nachdem, ob sie diese an einem Gymnasium oder einer Oberschule verbracht haben. Herausgekommen ist eine Einführungsphase, die in seltsamer Zwitterform gleichzeitig Teil der Sek-1 als auch der Sek-2 ist, was teilweise wiederum auf Kosten der vermittelten Inhalte geht. Im Fach Physik merkt man das beispielsweise am Thema Radioaktivität (ein gesellschaftlich relevantes Thema, haben alle es behandelt oder muss ich es in der E-Phase für manche noch ein zweites Mal durchnehmen?), in Mathematik z. B. bei den Exponentialfunktionen (werden manchmal nur noch minimal behandelt, obwohl sie in anderen Fächern benötigt werden).

Rückkehr zu G9?

Aus fachlicher bzw. didaktischer Sicht gäbe es also gute Gründe, wieder zu G9 zurückzukehren. Die Sicht darauf fällt je nach Standpunkt und Interessenlage allerdings unterschiedlich aus, auch innerhalb der GEW. Ein Antrag des AK Gymnasiale Oberstufe beim Gewerkschaftstag im November 2019, welcher auf die Abschaffung von G8 zielte, wurde nicht angenommen. (Näheres zum Antrag siehe: „Gemeinsame Aktionen statt Konkurrenz der Schulformen“ | FG GyO)
Dahinter steckt offenbar die Haltung vieler GEW’ler zum Gymnasium selbst: Aus der Überlegung heraus, dass „Eine Schule für alle“ zu bevorzugen sei, folgt im Umkehrschluss, dass die Gymnasien möglichst unattraktiv sein sollten. Eine Rückkehr zu G8 müsse demnach unbedingt verhindert werden. Die Sorge dahinter: In der Wahrnehmung der Eltern würde dann ein gutes Argument für die Oberschulen entfallen. (Vgl. Eine gemeinsame Erklärung der GEW-Fachgruppe Gymnasiale Oberstufe und der GEW-Fachgruppe Oberschule – Eine Schule für Alle, Bremen 2020)

Eine solche Haltung kann sich die GEW aber nicht leisten, schließlich sollte sie für vernünftige Arbeitsbedingungen aller Lehrkräfte kämpfen. Beschäftigte an Gymnasien und gymnasialen Oberstufen für ihre Schulform zu „bestrafen“, ist unredlich und verlogen, zumal der Bestand der Gymnasien durch den erst im vorletzten Jahr bis 2028 verlängerten „Schulfrieden“ vorerst feststeht. Der Kampf für „Eine Schule für Alle“ muss demnach auf politischer Ebene erfolgen – idealerweise unter Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen an Gymnasien! Die GEW sollte sich zu einer anderen Haltung in Bezug auf G8 durchringen.