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Forderungen der GEW zur Inklusion in Bremer Schulen

Inklusive Pädagogik ist Allgemeine Pädagogik und damit Aufgabe aller Beteiligten. Sie fördert alle Kinder und Jugendliche umfassend in ihrer Entwicklung, um ihnen eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe am Bildungssystem und im gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Inklusion ist ein fortlaufender Prozess. Insofern sind auch die Positionen und Forderungen dieser Stellungnahme Ergebnis unserer Erfahrungen mit der bisherigen, durchaus vielfältigen Praxis.

Gemäß § 3 Abs.4 BremSchulG (2009) haben Schulen im Bundesland Bremen den Auftrag, sich zu inklusiven Schulen zu entwickeln. „Die Schule hat der Ausgrenzung von jungen Menschen mit Behinderungen entgegenzuwirken. Sie soll Beeinträchtigungen in der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen durch geeignete Maßnahmen vorbeugen sowie Auswirkungen von Behinderungen mindern und ausgleichen…..“ (§ 4 (5) ) (Hervor­hebungen durch die Verfasser).

Bremen ist ein Bundesland, das im Vergleich zu anderen Bundesländern große soziale und räumliche Disparitäten aufweist. Hier leben sehr viele Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Armut, darunter besonders viele Kinder und Jugendliche (siehe Armutsberichte Bremen der vergangenen Jahre). Dies macht besondere bildungs­politische Anstrengungen notwendig, um die ungleichen Bildungs­chancen zu kom­pen­sieren.

Das 2-Säulenmodell und die steigende Anwahl von Privatschulen zementieren aber die sozialen Ungleichheiten. So wird der Auftrag der Inklusion in der Sekundarstufe faktisch nur den Oberschulen übertragen, einzelne Gymnasien kooperieren lediglich mit Klassen des W und E- Bereichs.

Der Inklusionsauftrag an die Schulen verlangt derzeit von den Beschäftigten, einen weit­reichenden Reformprozess umzusetzen trotz struktureller Unterversorgung im Hinblick auf personelle, fachliche, sächliche und räumliche Ressourcen. Inklusion kann aber nur ge­lingen, wenn Politik und  Behörden die Voraussetzungen dafür schaffen, dass den Schulen sowohl im Regelbereich als auch in der sonderpädagogischen Ausstattung entsprechend den realen Bedarfen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Inklusion darf nicht unter Haushaltsvorbehalt gestellt werden.

Insbesondere der Primarbereich ist hinsichtlich der tatsächlichen Bedarfe so gering aus­gestattet, dass die Ressourcen sowohl für die sonderpädagogische Förderung als auch für präventives Arbeiten nicht ausreichen.

Im Bundesland Bremen wird weiterhin in Hinsicht auf Bedarf und Stundenzuweisung zwischen Kindern mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache und Verhalten auf der einen Seite und Kindern mit Behinderungen (Wahrnehmung und Entwicklung, Körperbehinderung, Sinnesbehinderte usw.) unter­schieden. Was sich als Behinderung erweist, kann aber nur in der Praxis, im Einzelfall festgestellt werden und erfordert deshalb eine individuelle Diagnostik, Förderplanung und die Bereitstellung entsprechender Ressourcen.

Ein großes Versäumnis bei der Umsetzung der Inklusion besteht darin, dass dieser Prozess sowohl im Primar- als auch im Sek. I- Bereich nicht wissenschaftlich begleitet wird. Noch immer gibt es keine verbindlichen Standards, die besagen, wie und unter welchen Bedingungen Inklusion gelingen kann. Völlig unzureichend sind die Rahmen­bedingungen für notwendige Fort- und Weiterbildungen für alle Beteiligten.

 

Damit sich Bremer Schulen erfolgreich in inklusive Schulen entwickeln können, bedarf es noch großer Anstrengungen in struktureller und konzeptioneller Hinsicht sowie einer wesentlichen Verbesserung der finanziellen Grundausstattung:

  • Statt des 2-Säulen-Modells verlangt die Inklusion eine „Schule für alle“ von Jahrgang 1 bis 10. Solange dieses Ziel nicht erreicht ist, muss der Auftrag der Inklusion verbindlich auch für Gymnasien und private Schulen formuliert werden. Diese Schulen haben nachzu­weisen, dass sie den Auftrag zur Inklusion in einem vergleichbaren Umfang wie  die Grund- und Oberschulen wahrnehmen.
  • Die inklusive Schule ist in personeller, räumlicher und sächlicher Art so auszustatten und vorzubereiten, dass es auch den Schüler*innen mit besonderen Beeinträchtigungen oder mit Behinderungen in ihrer Schule ermöglicht wird, sich optimal zu entwickeln. Dies gilt insbesondere auch für die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Problemen im sozial-emotionalen Bereich.
  • Die Existenz der Spezialförderzentren1 kann damit auf längere Sicht überflüssig werden. Dabei dürfen die bisherigen Standards, nach denen die Schüler*innen in diesen Förderzentren (einschließlich des W und E- Bereichs) unterrichtet wurden, in der inklusiven Schule nicht unterschritten werden! Entsprechende Ressourcen müssen unabhängig von den allgemeinen schulischen Auf­gaben wie LRS- und Dyskalkulie­förderung, DaZ-Förderung von Deutsch-Sprachanfänger*innen usw. ge­geben werden.
  • Es muss eine ausreichende Vertretungsreserve für alle in der Schule Beschäftigten wie Regelschullehrer*innen, Sonderpädagog*innen, Sozialpädagog­*innen, Be­treu­ungskräfte und Assistenzen vorgehalten werden:
    - Doppelbesetzungen dürfen grundsätzlich nicht aufgelöst werden!
    - Die Betreuung durch pädagogische Mitarbeiter*innen ersetzt keine Vertretung des Unterrichts durch Lehrkräfte!
    - Vertretungskräfte müssen fachkompetent sein und zeitnah ein­gesetzt werden!
  • Die bisherige Berechnung der personellen Ressourcen nach Preuß-Lausitz 2008 hat sich eindeutig als unzureichend erwiesen! Eine sonderpädagogische Förderquote von mindestens 4 Stunden für 10% aller Schüler*innen ist nach den bisherigen Erfahrungen im Bundesland Bremen realistisch und muss umgesetzt werden. Das entsprechende Stundenkontingent muss bedarfsbezogen auf die Schulen verteilt werden.  Zusätzlich müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden, mit deren Hilfe Nachsteuerungen bei besonderen Bedarfen ermöglicht werden können.
  • Um dem Aufwand für die Entwicklung der inklusiven Schule und für die Vorbereitung von inklusivem Unterricht Rechnung zu tragen, muss die Arbeitszeit der Beschäftigten angepasst werden. Die Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräfte muss für den erhöhten Zeitaufwand für Vorbereitung, Kooperation und Elternarbeit deutlich reduziert werden. Entsprechend muss den sozialpädagogischen Fachkräften mehr Kooperations- und Vorbereitungszeit zugestanden werden.
  • Für die Schulen in besonderen Problemlagen müssen schlüssige Konzepte zur Gestaltung des Inklusionsprozesses entwickelt werden.
  • Es muss sofort eine wissenschaftlichen Begleitung für den Primar- und Oberschulbereich eingesetzt werden in der Form, dass auch die Praktiker*innen bei der Auswahl der Kriterien einbezogen werden (wissenschaftliche Begleitung auf der Grundlage einer fortlaufenden internen Evaluation).
  • Innerhalb der Schulbehörden von Bremen und Bremerhaven müssen klare personelle Verantwortlichkeiten mit Steuerungskompetenz benannt werden, die den Inklusions­prozess in den Schulen begleiten und vorantreiben.
  • An der Universität Bremen muss dringend der Studiengang Inklusive Pädagogik/ Behindertenpädagogik für alle Schulstufen sowie den Elementarbereich eingerichtet bzw. ausgebaut werden. Inklusive Pädagogik muss zudem integraler Bestandteil in der gesamten Lehrer*innenausbildung sein.
  • Wir schlagen eine Ombudsstelle bei dem Landesbehindertenbeauftragten vor, an die sich Eltern, Pädagog*innen u.a. wenden können.
  • Die ReBUZ müssen so ausgestattet sein, dass sie in eskalierten Situationen mit verhaltensschwierigen Schüler*innen sofortige Hilfe vor Ort leisten können. Dies schließt ggf. zusätzliche therapeutische Maßnahmen ein.
  • Im Primarbereich müssen die ZuP-Leitungen mit zusätzlichen Schulleitungsstunden ausgestattet werden in Abhängigkeit von der Größe der Schule bzw. des Schul­verbundes und der sozialen Lage.
  • Schulische Sozialarbeit muss in allen Schulstufen ausgeweitet und verstetigt werden.
  • Im Bereich Sekundarstufe 2 und der Beruflichen Bildung müssen ZuP-Strukturen mit entsprechenden Steuerungsmöglichkeiten aufgebaut werden. Inklusive Bildung ist auch hier als Querschnittsaufgabe anzusehen.

1Spezialförderzentren in Bremen: Schule für Hörgeschädigte in der Markusallee, Schule für Sehgeschädigte An der Gete, Schule für körperliche und motorische Entwicklung an der Louis-Seegelken-Straße, Förderzentrum für sozial-emotionale Entwicklung an der Fritz-Gansberg-Straße

Bericht der Fachgruppe vom Gespräch mit der Senatorin

Anfang März 2016 trafen sich Mitglieder der Landesfachgruppe (LFG) „Inklusive Schule und Sonderpädagogik“ mit der Bildungssenatorin zu einem Gespräch über den Stand der schulischen Inklusion. Ausgangspunkt waren „Forderungen der GEW zur Inklusion in Bremer Schulen“.

Auf die Frage der Senatorin, wie die Haltung der Lehrkräfte zur Inklusion einzuschätzen sei, berichteten wir aus unseren Erfahrungen in Primarstufe und Oberschule. Dabei wiesen wir u.a. auf dringend notwendige Entlastungen in zeitlicher Hinsicht hin.

Weiter kritisierten wir die durchgängig fehlende Steuerung der Entwicklungsprozesse an den Schulen sowie die fehlende Qualitätssicherung des inklusiven Unterrichts durch die Behörde.

Auch die fehlenden Assistenzkräfte und die schleppenden Antragsverfahren v.a. für Kinder mit emotional-sozialen Auffälligkeiten thematisierten wir.

Unbesetzte ZuP-Leitungsstellen im Primarbereich – die Senatorin stimmte unserer Einschätzung nach dringendem Handlungsbedarf zu. Diese Stellen müssen finanziell attraktiver und mit mehr Verwaltungsstunden ausgestattet werden. Hierzu haben wir die Einführung eines ZuP-Verbandes für mehrere Grundschulen als Modellversuch angeregt.

Für die notwendige Weiterführung des Weiterbildungsstudiums „Sonderpädagogik“ fehlen bislang die Haushaltsmittel.

Zum Schluss sprachen wir die geplante Evaluation der Schulreform an. Wir erklärten, diesen Prozess gerne begleiten zu wollen, und nannten als mögliche Gutachterinnen Dr. Irmtraud Schnell bzw. Prof. Annedore Stein.

Senatorin und LFG bekundeten ihr großes Interesse, weiter im Gespräch zu bleiben.

Für die LFG

Rudolf Siemer