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Fachtag Inklusion

Am Samstag d. 7. Februar fand im DGB-Haus der Fachtag Inklusion statt. Als Gäste begrüßten die TeilnehmerInnen Ilka Hoffmann, Leiterin des Vorstandsbereichs Schule im GEW-Hauptvorstand, und den Landesbehindertenbeauftragten Joachim Steinbrück. Beide gaben zu Beginn einen Überblick über den Umsetzungsstand der Inklusion aus der Sicht ihres Arbeitsfeldes. Anschließend fanden schulstufenspezifische Arbeitsgruppen statt, die einzelne Probleme erörterten und Forderungen formulierten. Wir dokumentieren von diesem Fachtag auszugsweise die Eröffnungsrede von Landesvorstandssprecher Christian Gloede und den Text eines auf dem Fachtag erarbeiteten Memorandums, für das zurzeit noch Unterschriften gesammelt werden.

 

Aus der Eröffnungsrede von Christian Gloede:

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen … Die Diskussion um Inklusion ist eine, wenn nicht die bedeutendste Frage der Umsetzung der Bremer Schulreform. Sie umfasst nämlich auch die Fragen der Oberschul- und Oberstufenentwicklung, wie die der Verbesserung der Bildungschancen. Inklusion wird dann zum Paradigmenwechsel in der schulischen Bildung, wenn sich schulischer Alltag (also die dort agierenden) grundsätzlich auf die einstellt, die da sind – in all ihrer Verschiedenheit. Das ist die große Herausforderung, die nicht mit gesellschaftlicher Realität einher geht. Herrschendes Schönheitsideal, Leistungsorientierung und Bewertungssysteme, Körperkult u.v.m. konterkarieren eher das Bild einer inklusiven Gesellschaft.

Sollten uns nicht steigende Zahlen von Schwangerschaftsabbrüchen aufgrund genetischer Indikation und nach humangenetischer Beratung aufhorchen lassen? Oder anders: Müsste nicht ein Jubelschrei durchs Land gellen, dass das Institut für Humangenetik in Bremen geschlossen oder weggekürzt werden soll – waren es nicht auch oder gerade die humangenetischen Beratungsstellen, die die Debatte um lebenswertes oder -unwertes Leben geführt und gefordert haben, deren Gipfel wir vor einigen Jahren in der Peter-Singer-Debatte (Stichwort: Kosten-Nutzen-Analyse) hatten und die sich schleichend und leise, weil kaum WiderständlerInnen, gesellschaftlich festsetzt?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bzgl. einer fortschrittlichen Behindertenpolitik kann Bremen mit seinem Inklusionsschulgesetz an den guten alten Traditionen anknüpfen: 1977 gab es in Bremen die erste Krüppelgruppe bundesweit, im Jahr der Behinderten (1981) hieß das allgemeine Motto »Miteinander leben – einander verstehen) während die Krüppelbewegung den Slogan prägte: »Jedem Krüppel einen Knüppel« (Franz Christoph machte seinerzeit ernst und schlug auf den Bundespräsidenten ein…), 1986 das erste »Zentrum für selbstbestimmtes Leben«,  wieder in Bremen; hier ging es um Selbstkompetenz behinderter Menschen und eine Auseinandersetzung mit Abhängigkeit von Hilfe. Es entstand die Idee der »Assistenz-Genossenschaft «; hier wurde quasi Hilfe auf Abruf bereit gestellt, der behinderte Mensch hatte die Personal- und Anleitungskompetenz. Aber, und auch das hat die Singer-Debatte  deutlich gemacht, Selbstbestimmung hat nichts mit grundlegender und gesellschaftlicher Akzeptanz zu tun. 1984 erste integrative Kitas in der Bremischen Evg. Kirche (mit Georg Feuser als wissenschaftliche wie fordernde Begleitung), dann erste Integrationsklassen an der Schule Robinsbalje. Lang ists her und die Ausstattung wurde nicht besser – im Gegenteil: Im Kita-Bereich haben wir vor einigen Jahren durch die Einführung der Dreigliedrigkeit »Regelkita«, Indexkita (soziale Benachteiligung), und Schwerpunktkita (als Inklusionseinrichtungen) ein gruseliges Rollback erleben müssen.

Inklusion in Kita und Schule ist dann (für behinderte Menschen) relevant, wenn die gemeinsam erlebten Bildungsprozesse dazu führen, selbstbestimmt und selbstbewusst ein Leben ohne Diskriminierung führen zu können – von beiden Seiten und verhindern, dass die Zahl der Beschäftigten in Behindertenwerkstätten (natürlich ohne Tariflohn) weiter ansteigt (bald 350.000, überwiegend nicht freiwillig!). Lasst mich hier noch erwähnen, dass noch 2004 90% der Eingliederungshilfen in den stationären Bereich flossen, obwohl das Gesetz als Grundsatz »ambulant statt stationär« vorsieht, aber kein Wunder bei ca. 16.000 Pflege- und Behindertenheimen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, entschuldigt diesen kleinen Exkurs zur Behindertenpolitik.

Wir wollen uns heute aber aus guten Gründen mit Rahmenbedingungen beschäftigen, die Inklusion zu einem schulischen Erfolgsmodell machen. Vor allem muss die Sache der Inklusion aus der Exklusivität des sonderpädagogischen Diskurses heraus! Die Inklusion fängt nicht im Klassenzimmer an, sondern im Lehrerzimmer, in den Jahrgangsteams, in den Köpfen der KollegInnen! Kommunikation, also Zeit ist hier ein wesentlicher Faktor und die Gewissheit, mich und andere als Lernende in diesem Prozess begreifen zu können. Aber, ich sage auch: diesem Lernen darf sich niemand verschließen, aber jede/r darf/muss für dieses Lernen kämpfen. Wir sind uns einig in der Bewertung des »Ist« als unzureichend, wir  müssen uns einig werden in der Entwicklung einer kleinschrittigen, aber zielorientierten Widerstandskultur, die über das Formulieren des Unbehagens hinausgehen muss! Wir wollen keine allgemeinen Verbesserungen durchsetzen, sondern Veränderungen in der Gestaltung schulischen und unterrichtlichen Alltags! Dazu benötigen wir eine andere als die jetzige Ausstattung – personell wie räumlich! Erst das führt zu Verbesserungen in der Schulqualität, zu besseren Perspektiven für Kinder und Jugendliche und zu mehr Zufriedenheit bei Lehr- und anderen Fachkräften durch Entlastung!

Wir wollen heute Widersprüche aufzeigen zwischen schulischer Realität und notwendigen Gelingensbedingungen. Wir brauchen keine ideologische Debatte, wir brauchen die Formulierung kurzfristig erreichbarer und durchsetzbarer Ziele mit den entsprechenden Handlungsoptionen.

Und gerade hier müssen wir eine Geschlossenheit entwickeln. Das brauchen wir, um die Spaltung von Kollegien, die Spaltung der GEW an dieser Frage zu verhindern! Wir müssen als GEW fachlich und bildungspolitisch die Diskussion bestimmen, gewerkschaftspolitische Konsequenzen ziehen und Bündnisse schmieden. Dann werden wir auch erfolgreich für uns und die Inklusive Schule sein!

 

 

Aus dem Memorandum: Die Inklusion in Schule und Bildungspolitik ins Zentrum rücken

Inklusion ist das selbstverständliche Zusammenleben aller Menschen im Sinne einer gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, unabhängig von individuellen Merkmalen wie Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Fähigkeiten und Behinderungen. In der Präambel der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird unterstrichen, dass jeder Mensch ohne Unterschied Anspruch auf alle in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufgeführten Rechte und Freiheiten hat. Für den schulischen Bereich bedeutet dies, dass

• alle Kinder und Jugendliche in die gleiche Schule gehen und behinderte und nicht behinderte Schülerinnen gemeinsam lernen können.

• die schulischen Mitarbeiterinnen gut ausgebildet und für alle Schülerinnen da sind, so dass diese die für sie notwendige Unterstützung erhalten.

Im Juni 2009 hat die Bremer Bürgerschaft einstimmig beschlossen, dass alle Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf das Recht haben, allgemeine Schulen zu besuchen (Bremer Schulgesetz, ß 3(4)). Damit wurde eine wichtige Voraussetzung für die schulische Inklusion in Bremen geschaffen.

Die Entwicklung und Umsetzung schulischer Inklusion ist die mit Abstand größte bildungspolitische Aufgabe unserer Zeit. Sie erfordert ein grundlegend verändertes Verständnis von Schule und eine umfassende Unterrichts- und Schulentwicklung. Die inklusive Schule ist im Interesse aller Schülerinnen ein lohnendes Ziel. Sie ist die Schule der Zukunft.
(…)

 

Die Inklusion stellt hohe Anforderungen an die politisch Verantwortlichen

Von den politisch Verantwortlichen in Bürgerschaft und Senat und von der Bildungsbehörde müssen die notwendigen Rahmenbedingungen für eine gelingende Inklusion geschaffen werden. Dazu gehören:
• Ausreichende Zeitkontingente für die multiprofessionelle Kooperation der Lehrerinnen,  Sonderpädagoginnen, Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen.
• Bildungspläne, die für das gemeinsame Lernen von Schülerinnen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf geeignet sind.
• Kompetenz- und entwicklungsorientierte Lern- und Leistungsrückmeldung verbindlich für alle Grund- und Oberschulen.
• Ausreichend Differenzierungs-, Ruhe- und Therapieräume.
• Die systematische Reduzierung baulicher Barrieren in Bremens Schulen.
• Die Ausrichtung der Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen auf inklusive Pädagogik und Didaktik bei Erhaltung einer hohen sonderpädagogischen Fachkompetenz.
• Zeitkontingente für alle an Schule Tätigen zur Fortbildung in inklusiver Didaktik und inklusiver Schulentwicklung.
• Mehr Unterstützungsangebote für die Entwicklung einer inklusiven Schul- und Lernkultur für die einzelnen Schulen.
• Ein breites Hospitations- und Schulbesuchsangebot, um von den Inklusionserfahrungen anderer Schulen lernen zu können.
• Regelschulen, die Schülerinnen mit den Förderschwerpunkten geistige und körperliche Entwicklung, Hören, Sehen und Autismus unterrichten, werden personell, räumlich und sächlich so ausgestattet, dass sie eine vergleichbare Förderung, Therapie und Pflege wie die speziellen Sonderschulen gewährleisten können. Ihre Schul- und Lernkultur muss ein erfolgreiches gemeinsames Lernen und die Potentialentfaltung aller Schülerinnen ermöglichen. Nur so wird für die Schülerinnen mit Behinderung  und ihre Eltern das formale Recht auf Inklusion zu einem wirklichen Recht.
• Eine ausreichende systemische Personalzuweisung für die Schülerinnen mit den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und emotionale und soziale Entwicklung, die sich an der tatsächlichen Zahl der im Lande Bremen vorhandenen Schülerinnen mit den Förderschwerpunkten
LSE orientiert. Für diese Schülerinnen werden Förderdiagnostik und Förderpläne aber keine Feststellungsgutachten erstellt.
• Individuelle Förderung ist das Recht aller Schülerinnen. Hierfür müssen über den  sonderpädagogischen Förderbedarf hinaus ausreichende Ressourcen zur Verfügung stehen.

 

Die inklusive Schule ist ein lohnenswertes Ziel

Ihr Gelingen erfordert die Anstrengung aller Pädagoginnen, Mitarbeiterinnen und Eltern vor Ort. Von den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung erwarten wir, dass alles getan wird, um die erforderlichen Rahmenbedingungen herzustellen. Dazu gehört eine deutliche Erhöhung der personellen, räumlichen und sächlichen Ausstattung der schulischen Inklusion in Bremen.