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Ein Notstand, der niemanden interessiert

Randbemerkungen zum Zustand der universitären Bildung

Die Meldung verschwand schnell wieder in der Versenkung: Eine Untersuchung der Uni Bremen hatte zutage gebracht, dass Studierende mit Bremer Abitur im Vergleich zu solchen mit niedersächsischem in den letzten Jahren signifikant schlechter abschneiden. Die Reaktionen in Bremen waren mäßig, von parteipolitischer Seite überließ man es der CDU, darauf herumzureiten; auch die GEW hat nicht groß reagiert. Zurecht könnte der Fokus auf die Länderkonkurrenz – Bremen gegen Niedersachsen – von diesem Thema abschrecken und den Verdacht nähren, es ginge nur wieder um alberne Rankings. Sehen wir also davon ab, ob Bremen im Vergleich besondere Schwierigkeiten hat; graduelle Unterschiede -  die gleichwohl nicht zu bestreiten sind -  verdecken lediglich den Blick auf das Ganze, das länderübergreifend Anlass zu Bedenken gibt. Wie das Gespräch zur Lage der Fachdidaktik  anhand dreier verschiedener Fachbereiche zeigt: Vielen Studierenden fehlen elementare Voraussetzungen, etwa im Hinblick auf die Beherrschung des Deutschen als Bildungssprache oder mathematische Grundkenntnisse. Nicht eine subtil widerständige Haltung gegen verordneten Zeitdruck scheint bei den meisten am Werk zu sein, sondern schlicht Überforderung.

Die Zerfaserung des Unterrichts

Über die Zustände in Klassenzimmern ist viel geschrieben worden und auch, dass diese früher oder später bei den Universitäten ankommen. Die von Barbara Roviro im Gespräch beklagte Unruhe im Klassenraum muss nicht nur an den Lehrkräften, auch den lieben „Kindern“ zehren: Vor der Störung ist nach der Störung, Unterricht kann nur in den Zwischenräumen stattfinden. Binnendifferenzierung ist die universelle Legitimation für übergroße Lerngruppen, und wenn Klassenmitglieder sich selbst überlassen werden, lässt sich das elegant als individualisiertes Lernen verkaufen. Die körperliche Anwesenheit von Kindern mit weit auseinander driftenden Bedürfnissen und Schwierigkeiten in einem Raum unter Aufsicht einer einzigen Lehrkraft mag zwar als Inklusion betitelt werden, de facto ist es eher eine Form der Exklusion aller Beteiligten von jener Ruhe und Konzentration, die für ihren Lernprozess notwendig wäre. Das Ihre dazu beitragen Mischfächer, bei denen es oftmals vom Zufall abhängt, welche Themen behandelt und die oft fachfremd unterrichtet werden. Jener berühmte spiralförmige Lernprozess mit Wiederholung und Vertiefung dürfte so eher nicht zustande kommen. Die Konkurrenz der Schulstandorte und -formen fördert eine Praxis des Durchwinkens; letztere wird freilich auch durch die Ahnung vieler Lehrkräfte gedeckt, dass sich die Defizite des Unterrichts nicht durch schärfere Benotung aus der Welt schaffen lassen. Am Ende erstrahlen Übertrittsquoten in wahlkampftauglich rosigem Licht.

Zerstörung durch Reform

Und doch sind es nicht allein äußere Bedingungen und Spardiktate. Der Verfall kommt auch von innen: Durch die pädagogischen und didaktischen Reformen der Nach-Pisa-Zeit mit ihrer Kompetenzorientierung. Deren Kritik war Gegenstand eines Vortrags, den die Erziehungswissenschaftlerin Marion Pollmanns im letzten Jahr auf Einladung der GEW gehalten hat. Wo Wissen nur noch zum Material der kosteneffizienten Demonstration von Kompetenz degradiert wird, verkümmert die Idee der Menschenbildung, bei allem Ideologischen, was ihr auch angehaftet haben mag. Ihr Kollege Andreas Gruschka hat intensiv zu den Auswirkungen der didaktischen Reformen auf den Lernprozess geforscht. Mit scharfem Blick analysiert er, wie die vielfach gefeierten Methoden eher zur Verdunkelung als zum Erkenntnisgewinn beitragen. An einer Präsentation zum Thema Mittelalter in der achten Jahrgangsstufe protokolliert er minutiös, wie der rote Faden – die Spezifik des Mittelalters im Verhältnis zur Gegenwart – verlorengeht, weil die Methode Präsentation ihre Schwerkraft entfaltet, die auf möglichst große Aktivität zielt und auf Kosten von Substanz geht. Eine Korrektur grundlegender Fehler durch die Lehrkraft würde den ganzen Ablauf durcheinander bringen; vielleicht verbietet sie sich im Zeitalter universell funktionalisierter „Wertschätzung“ ja ohnehin. In seinem Text „Verstehen lehren“ spießt Gruschka viele solcher Widersprüche auf, etwa die Unsitte, alles und jedes krampfhaft auf die Lebenswelt der Jugendlichen herunterzubrechen, womit so manchem Gegenstand die Fremdheit genommen wird, auf die ein Bildungsprozess sich erst einmal einzulassen hätte.

Verachte nicht Verstand und Wissenschaft!

Angesichts all dessen ist es seltsam, wie bereitwillig dies weite Feld einer CDU überlassen wird, hinter deren Aufregung am Ende doch nur Sorgen um den Standort und sein Humankapital stecken. Vielleicht gibt es heutzutage ja noch kritische Wissenschaft, die sich nicht auf Politikberatung für vorausgesetzte Zwecke dressieren lassen will. Wäre es für sie nicht durchaus hilfreich, wenn die Studierenden gut lesen, schreiben und rechnen könnten? Gerade wird der zweihundertste Geburtstag eines Denkers gefeiert, dessen Beiträge zum Weltgeschehen in theoretischen Gedanken bestanden. Marx wird, im Guten wie auch im Schlechten, große Wirksamkeit bescheinigt; interessant eigentlich in einer Zeit, die alles Theoretische im Zeichen der Praxisrelevanz mit Misstrauen betrachtet. Zum toten Hund wurde er schon des Öfteren erklärt. Möglicherweise wird er es jetzt wirklich – warum soll man das „Kapital“ in drei dicken Bänden studieren – dafür gibt es doch sicher ein Youtube-Video.