Zum Inhalt springen

Die Personalsituation an den Schulen in Bremerhaven

Die Personallage Nüchtern betrachtet überrascht die derzeitige Personalsituation in Bremerhaven nicht. Angesichts einer Personalentwicklung, die sich über ein Vierteljahrhundert nicht an den gegebenen Realitäten sondern vielmehr an Sparauflagen orientiert hatte, ist der Ausgleich der entstandenen Unterfinanzierung dringender zu fordern denn je. Die versprochene Entlastung durch eine vermeintliche demografische Rendite wird ausbleiben. Wir stehen angesichts des Fehlens von 1,5 Generationen von Lehrkräften an den Schulen vor solch großen Herausforderungen, dass nicht wenige derjenigen, die der Schulreform offen gegenüber standen und sie mittragen wollten nun ihre Verwirklichung zunehmend skeptisch beurteilen und auch auf Nachbesserungen im Zuge des beginnenden Wahlkampfes nur wenig Hoffnung setzen.

Die Bewerberlage

Bei einem Rückblick auf die Einstellungsrunden der letzten Jahre werden zwei Tendenzen deutlich: die Anzahl der Bewerbungen ist stark rückläufig und die Lehrbefähigung der BewerberInnen stimmt zunehmend weniger mit den Anforderungen im Bremerhavener Schulbereich überein. Fächerkombinationen mit Nicht-Mangelfächern und auch die ebenfalls häufige Gymnasiallehrer-Qualifikation treffen nicht zwingend deneigentlich Lehrkräfte für alle Bereiche gesucht, insbesondere aber MINT, Englisch und im beruflichen Bereich neben vielen anderen vor allem Maschinenbautechnik und natürlich SonderpädpädagogInnen. Auch wird es immer schwieriger, Bedarf an Bremerhavener Oberschulen. Dabei werden SozialpädagogInnen und Erzieherinnen für die Schulen zu gewinnen.In den Bewerbungsgesprächen wird oft deutlich, dass den BewerberInnen die Sozialindikatoren in der Seestadt fremd sind, ebenso wie die mit neuen Strukturen geschaffene Wirklichkeit an den Oberschulen. So fällt auf, dass zahlreiche BewerberInnen gerade aus anderen Bundesländern nach erfolgter Zusage ihre Stelle nicht antreten. Entweder haben sie sich in Bremerhaven nur beworben, um Druck auf andere Einstellungsbehörden erzeugen zu können oder sie haben inzwischen die Übereinstimmung ihrer Vorstellungen über Schulalltag mit der bisherigen Verwirklichung der Schulreform in Bremerhaven genauer geprüft. Zudem wird in anderen Bundesländern wird natürlich auch wahrgenommen, dass im Land Bremen die Tarifergebnisse in den für Lehrkräfte relevanten Besoldungsgruppen nicht vollständig übertragen wurden.Zunehmend wird versucht, die entstandenen Lücken durch die Einstellung von QuereinsteigerInnen zu schließen. So sehr wir uns über qualifizierte Lehrkräfte freuen, die mit anderen als den klassischen Biografien an Schulen kommen, so sehr müssen wir bemängeln, dass unsere Forderung nach einem Personalentwicklungs- und Qualifizierungskonzept sowie für ausreichende Betreuungsressourcen etwa für MentorInnen seit Jahren ohne Erfolg geblieben ist.

Die aktuelle Lage nach den Ferien und der Unterrichtsausfall

Durch eine vor den Sommerferien vom PR durchgeführte Befragung der Kollegien in Bremerhaven (vom 12.05.-23.05.14) kann belegt werden, dass zunehmend Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen als Krankenreserve benutzt werden, wenngleich die Zahlen nur die Spitze eines Eisberges zeigen, da der Rücklauf der Befragungsbögen aus den Schulen nur einen geringen Teil der tatsächlichen Situation erfassen lässt. Belegt wurde aber der Ausfall von 121 Förderstunden und alleine in der Primarstufe wurden 60 Stunden Doppelbesetzungen aufgehoben. Rückgemeldet wurde auch, dass in 46 Stunden nur eine Beschäftigung der Kinder erfolgte, von einem wirklichen Vertretungsunterricht also nicht die Rede sein konnte. Hier spielt sicherlich der Druck durch Schulleitungen, die Angst vor Kritik von außen, Unkenntnis der Kollegien aber auch die Verhältnisse vor Ort eine Rolle, vor denen manche KollegIn nicht die Augen verschließen mag und dann als vermeintliche Helferin in der Not einspringt. Um in den Hauptfächern den Ausfall von Stunden möglichst klein zu halten, wird dieser auf die „unwichtigen“ musischen Fächer oder Sport verlagert. Es entsteht strukturell bedingt einerseits Frustration und andererseits wird Kindern die ihnen zustehende Förderung vorenthalten. Beides empfinden nicht nur wir als Skandal. Diejenigen, die solche Tendenzen zu verantworten haben, stillschweigend dulden und weiter befördern, müssen sich also ihre Ignoranz gegenüber langfristiger und teil massiver Benachteiligung von Kindern aus bildungsfernen Familien vorwerfen lassen. Die absehbaren negativen Auswirkungen in deren Sozialisation werden offensichtlich billigend in Kauf genommen, wenn man sie aus Unkenntnis nicht einfach übersehen hat.
Vertretungskräfte sind kaum noch vorhanden und weisen immer seltener die passende Schulstufe oder Fakultas auf. So springen als gern gesehene LückenbüßerInnen nun auch öfter PensionärInnen und ReferendarInnen ein. Verlängern die einen ihre Lebensarbeitszeit um bis zu drei Jahre und helfen gelegentlich als 70jährige, wo sie nur können, übernehmen die anderen schon während ihrer Ausbildungszeit Klassenleitungsaufgaben. Der junge Nachwuchs muss also immer früher `ran. Obwohl doch jeder weiß, dass die Einarbeitungszeit in unseren Beruf mehrere Jahre dauert, nämlich mindestens einen Durchlauf aller Jahrgänge der Schulstufe, um wenigstens in Ansätzen die eigene Rolle mit Professionalität erfüllen zu können, sich alle erforderlichen Inhalte anzueignen und zu vertiefen, Gruppenprozesse wahrnehmen zu lernen, erste Erfahrungen mit Elternarbeit zu sammeln und und und… Gleichzeitig gehört eine behutsame Betreuung der jungen Lehrkräfte durch ältere und erfahrene KollegInnen nicht mehr zu den Selbstverständlichkeiten, die wir früher an Schulen noch erfahren haben. Nicht nur sehen sich die Älteren selber höheren Anforderungen durch ihre Unterrichts- und Vertretungstätigkeit gegenüber, sondern sind zunehmend auch durch private, pflegerische Tätigkeiten im eigenen familiären Bereich gefordert, für die sie viel Zeit und Energie benötigen.
Bis in die letzten Tage der Sommerferien haben zahlreiche Vorstellungsgespräche statt gefunden, verbunden mit der Hoffnung, die letzten Lücken in letzter Sekunde schließen zu können. Nach offizieller Mitteilung durch das Schulamt sind dennoch in den letzten Ferientagen noch 10 Stellen im Primar und S1-Bereich unbesetzt. Es wird vorgerechnet, dass im Zeitraum von Mai bis November 2014 73 Vollzeitstellen neu besetzt werden konnten. Ein Großteil dieser Zählung umfasst jedoch ReferendarInnen, Betreuungskräfte und „sonstige Einstellungen“. Und aus den oben genannten Gründen gehen wir zudem davon aus, dass nicht alle BewerberInnen ihren Dienst in den Schulen in Bremerhaven antreten werden. Auf einer Mitgliederversammlung des Stadtverbandes am 17.9.2014 wurden diese Befürchtungen von VertreterInnen von etwa 2/3 der Bremerhavener Schulen bestätigt. Viele der angekündigten Lehrkräfte werden ihren Dienst ohnehin erst nach den Herbstferien antreten. Die scheinbar ausgeglichene Bedarfslage an einigen Schulen gelingt häufig nur durch den Einsatz von KollegInnen, die nach absolviertem 1. Staatsexamen auf ihren Referendariatsplatz warten und ihre jetzige Schule möglicherweise bald wieder verlassen. Bemerkenswert ist, dass die ReferendarInnen durchgängig direkt nach ihrem Einstieg bedarfsdeckend und eigenverantwortlich eingesetzt werden. Leider kommen zu alledem bereits am ersten Schultag nach den Ferien Langzeitkrankmeldungen – absehbar oder nicht. Die Bilanz der Mitgliederversammlung ergab ein Defizit von 14,5 Stellen.
Es ist also abzusehen, dass es wieder zu Unterrichtsausfällen und Lücken kommen wird. Wir werden als Personalrat genau beobachten müssen, wie an den einzelnen Schulen mit den zu erwartenden Engpässen umgegangen wird.

Aussichten

So fragen wir uns immer öfter, ob die Wahrnehmungsfähigkeit eigener Grenzen mit den wachsenden Anforderungen Schritt halten kann, die von außen an den jungen und motivierten Nachwuchs gestellt werden. Da diese Problematik nicht nur bei Berufsanfängern sondern auch in Findungsverfahren für Funktions- und Schulleitungsstellen zu beobachten ist, befürchten wir negative Folgen in zweierlei Hinsicht:

  • die Tendenz zur langfristigen Selbstausbeutung gefolgt von frühzeitiger Frustration bei den Lehrkräften und
  • Verlust an Souveränität bei den FunktionsträgerInnen, also an den Schaltstellen in den Schulen, die bei der Umsetzung der Schulreform und der unmittelbaren Fürsorgeverantwortung gegenüber den Beschäftigten besonders gefordert sind.


Ein Beispiel aus unserem aktuellen Kummerkasten beleuchtet diese besondere Konfliktsituation derzeit sehr deutlich: Um die in der Öffentlichkeit gelegentlich heftig kritisierten Unterrichtsausfälle zu verschleiern, müssen sich Schulleitungen hin und wieder aus der Not heraus an die Grenze zur Illegalität begeben. Das Beamtenrecht sieht zwar für besondere Notfälle vor, dass Beschäftigte für eine unbezahlte Mehrarbeit von drei Stunden pro Monat verpflichtet werden können. Die derzeitige Misere an Schulen wird von Schulleitungen zu Recht als chronische Notsituation interpretiert, dem manche jedoch durch dauernde Anwendung der genannten Regelung, etwa durch den „vorsorglichen“ Einbau „passender“ Lücken in die Stundenpläne der KollegInnen, zu begegnen versuchen. Womit sie jedoch regelmäßig die beamtenrechtliche Grundlage missachten und verlassen, die ihnen ausdrücklich nur für Ausnahmefälle gegeben ist.
Wir stimmen mit der Mehrheit der Schulleitungen überein, die erkannt haben, dass eine ständige Notsituation besondere Maßnahmen zur Folge haben muss, welche auf die Ursachen der Misere zielen. Und so beteiligen wir uns auch weiter an den Aktionen des Bremerhavener Aktionsbündnisses für Bildung: Am 20.10. mit dem Bagger nach Bremen!