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Kernfragen der GEW Bremerhaven Teil 2

Die Kämpfe der Jahre

Facetten des Widerstandes im Saal und auf der Straße

„Eure Demos bewegen tausende von Leuten ...“, so hatte ich, die Senioren-Fußballmannschaft zitierend, in dem einführenden Text zu dieser Serie geschrieben. Dieser zunächst schlichte Sachverhalt, in der Geschichte unserer Gewerkschaft immer wieder als probates Mittel genutzt, ist mittlerweile gar nicht mehr trivial.

16. Mai 2013: Marsch in schwarz
[Anm.: 1) 500 Lehrkräfte marschieren zu den Parteibüros von SPD und den Grünen und tragen Forderungen vor, die 14 Tage zuvor auf einer großen Demo – 7.000 Teilnehmer*innen - von Schüler*innen, Eltern und Pädagog*innen eingebracht worden waren.]

Vermutlich hat es in den vergangenen Jahren bei einem Teil der Menschen insgesamt wieder zunehmend Vorbehalte, Unsicherheiten, vielleicht auch Ängste gegeben, an „Aufzügen und Versammlungen unter freiem Himmel“ (Begriff aus dem Anmeldeformular der Ortspolizeibehörde) teilzunehmen. Schließlich „bekennt“ man sich mit der Teilnahme an einer solchen Veranstaltung zu bestimmten Zielen und Positionen oder prangert Missstände an. In diesem Zusammenhang ist die veränderte Politisierung unserer jüngeren Kolleg*innen beklagt worden, ebenso die drückende Last der „normalen“ Arbeitstage, die vieles verhindere, u.a. gewerkschaftspolitisches Engagement. Selig die Zeiten, als der Mittwochnachmittag für die Gewerkschaftsgremien reserviert war, und zwar konkurrenzlos.

12. November 2013: Tag der Schippe
[Anm.: 2) Motto der Menschenkette durch Bremerhaven mit 7.000 Teilnehmer*innen. Die „Schippe“ bezieht sich auf eine Aussage des damaligen Bürgermeisters Böhrnsen, für die Bildung müsse „eine Schippe“ draufgelegt werden.]

Müssen neue Pfade in die politische Auseinandersetzung und die damit verbundene Einbeziehung unserer Kolleg*innen gefunden werden, so nützt es nichts, auf die verflossenen Epochen zu verweisen. Mit Beginn dieses Jahrtausends, als der Einstellungsstopp nicht mehr so rigoros zu halten war, gelangten zunehmend Pädagog*innen in die Bildungseinrichtungen, deren politisches Verständnis eine Mitgliedschaft in der GEW nicht zwingend einschloss, ebenso wenig eine aktive Mitarbeit in der Gewerkschaft, wenn man denn eingetreten war. Immerhin hatte sich die GEW auf diese Situation vorbereitet.

23. Mai 2014: Von der Schippe zum Bagger
[Anm.: 3) Von verschiedenen Standorten werden Bildungsbausteine mit Forderungen von Schulen eingesammelt. Deren Anzahl – 6.000 Teilnehmer*innen - ist so groß, dass sie nur noch per „Bagger“ transportiert werden können.]

Die Entwicklung der GEW erforderte es, bundesweit Konzepte zu deren Zukunft aufzustellen. Mitgliederwerbung, Mitgliederbindung und Generationenwechsel waren dabei die entscheidenden Inhalte. Die Delegierten der Bundesgewerkschaftstage 2005 und 2009 beschlossen in diesem Sinne umfangreiche Programme mit entsprechenden Ressourcen, die in den Landesverbänden umgesetzt werden sollten.

Die Landessatzung in Bremen hatte zu dieser Zeit schon eine wichtige Änderung erfahren, die an das oben geschilderte veränderte Politikverständnis anschloss: Die Leitlinie bestand darin, dass „bis zu drei Mitglieder als Sprecherinnen oder Sprecher“ der jeweiligen Gremien zu wählen seien. Dies setzte voraus, untereinander gleichberechtigt, arbeitsteilig, vertrauensvoll und abgestimmt zu handeln. Die Maßgabe, Verantwortung zu teilen und dadurch mehr Kampfkraft zu erreichen, sollte realisiert werden.

18. Februar 2015: Politischer Aschermittwoch: Einsammeln der Pappnasen
[Anm.: 4) Die eingesammelten 5.000 Pappnasen werden im Mai der neuen Landesregierung in Person von Bürgermeister Sieling und Senatorin Bogedan umgehängt.]

Die Umsetzung in den Stadtverbänden verlief unterschiedlich. Die beste Idee in Bremerhaven bestand darin, im Jahre 2006 den sog. „Erweiterten Vorstand“ zu gründen. Liest man unsere Satzung genau, so regt sie, etwas versteckt, solche Maßnahmen durchaus an. Unter § 22, Absatz 1, Punkt d ist ein in diesem Zusammenhang bedeutender Vorschlag vermerkt: „Zu seiner Entscheidungsfindung kann der Vorstand weitere Mitglieder hinzuziehen“. Zum Zwecke des Erfolges muss man diesen Vorschlag allerdings konsequent umsetzen. Seit 2006 berät dieser Vorstand also viermal jährlich, abwechselnd in Wremen als Wochenendseminar oder als Samstagstagung im Gewerkschaftshaus. Im Mai 2019 fand somit die 54. Sitzung dieses Gremiums statt. Gewonnen wurde eine tragfähige Grundlage, in Auseinandersetzungen auch tatsächlich eintreten zu können.

7. Juni 2016 S.O.S.! Wo Sind Sie, Frau Bogedan?
Anm.: 5) Von nahezu allen Schulen in Bremerhaven werden Einladungen an die Senatorin eingesammelt, damit sie sich ein reales Bild von den Schulen machen kann (4.500 Teilnehmer*innen)]

Der Rahmen des Erweiterten Vorstandes besteht darin, den „roten Faden“ der gewerkschaftlichen Arbeit des Stadtverbandes immer wieder aufnehmen, weiterspinnen, aber auch revidieren zu können. Er gewährleistet sowohl Verbindlichkeit als auch Offenheit hinsichtlich der Teilnahme. Und er bietet die Chance auf ein gemeinsames Diskussionsund Informationsforum für den Vorstand, die Personalräte und interessierte Kolleg*innen aus den Betriebsgruppen. Vorschläge und Initiativen sollen mit der notwendigen Ruhe erörtert werden, aber auch in Umsetzungsbeschlüssen münden.

13. September 2016: Der Notstand ist eingetreten
[Anm.: 6) Das Bremerhavener Aktionsbündnis für Bildung sucht den Ausschuss für Schule und Kultur auf und konfrontiert ihn mit der Tatsache, dass zu Schuljahresbeginn 40 Lehrerstellen nicht besetzt sind.]

Die Konstruktion des Erweiterten Vorstandes ist ein Beispiel dafür, verallgemeinerbare Prinzipien veränderter gewerkschaftlicher Mitarbeit abzuleiten. Sie hat:

  • Eine Kernidee: „Wer dabei ist, bestimmt mit“;
  • eine Organisationsform, die „Zeit“ bereitstellt;
  • einen über die Jahre besonnen agierenden Moderator, der es schaffte, ausschweifende Diskussionsfreude zu handlungsleitenden Ergebnissen zu führen und damit die Organisation zu ordnen;
  • einen Einladungsgrundsatz: „Man möge dabei sein, muss aber nicht“.Auch im vierzehnten Jahr des Bestehens ist die Einladungsliste länger als die ganz und gar nicht geringe Teilnehmer*innenzahl. Wer mal nicht kann, kommt beim nächsten Mal einfach wieder;
  • eine ganz starke Orientierung auf die echte politische Praxis;
  • vor allem: Inhalte! 

26.Oktober 2017: Erzwungenes Rederecht in der Stadtverordnetenversammlung
[Anm.: 7) Mit 600 Menschen wird eine Sitzung der Stadtverordnetenversammlung unterbrochen. Das Bündnis fordert die Rücknahme der kommunal zu verantwortenden Sachmittelkürzungen. Die politischen Gremien rudern darauf zurück. Die Schulen erhalten somit in drei Jahren fast 7 Millionen Euro mehr.]

Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung besitzt deshalb der ständige Tagesordnungspunkt „Aktuelles“ einen großen Stellenwert. Das Bereithalten wichtiger Informationen aus verschiedenen Bereichen unserer Organisation, kompakt vorgetragen und zur Einschätzung zugespitzt, gibt allen Teilnehmer*innen einen soliden Hintergrund für anstehende Entscheidungen.

Die jeweils im Weiteren behandelten Hauptthemen spiegeln die Auseinandersetzungen der Gegenwart. Ein Blick zurück auf eine Tagesordnung des Jahres 2006 zeigt folgende Schwerpunkte: „Teufelskreis Armut und Bildungsbeteiligung“, „Lehrer*innenausbildung / Neueinstellungen in Bremerhaven“, „Billiglohnsektor“, „vor- und außerschulische Bildung“, „materielle Bedingungen der pädagogischen Arbeit“ sowie „Gesundheit und Arbeitsschutz“

Dieser Ausschnitt hebt hervor, wie notwendig es ist, in einem Wechsel von festen, zum Teil über mehrere Sitzungen bestehenden, und variablen Arbeitsgruppen zu tagen. Es gilt immer wieder abzuwägen, wie viel Aktualität und wie viel Fundierung in die Beratungszeit passt.

8. März 2018: Flott, flott, in den Schrott
[Anm.: 8) Anlässlich einer Personalversammlung wird der Schrott aus den Schulen eingesammelt.]

Es ist tatsächlich gelungen, mit Hilfe der Erörterungen und Beschlüsse im Erweiterten Vorstand viele Aktivitäten des Stadtverbandes in Bremerhaven für eine Umsetzung zu präzisieren. Alle Pädagogischen Wochen der letzten Zeit sind hier entstanden, von den ersten Ideen bis zur Verständigung über das Motto. Die großen Kundgebungen, man beachte die Zwischenüberschriften und die dazu gehörenden Anmerkungen, wurden bei diesen Treffen entwickelt, detailgenau geplant, für die Kolleg*innen aufbereitet. Der Rückfluss in die gemeinsamen Sitzungen von Betriebsgruppensprecher*innen und Schulleitungen erfolgte damit gut präpariert.

So manche weitere Idee, wie die Stärkung der Betriebsgruppen und Fortbildungen für deren Sprecher*innen wurde durch den Erweiterten Vorstand eingeleitet, so manch andere noch nicht umgesetzt.
Es steht noch aus, die Pendler*innen aus Bremen in den Frühzügen zu agitieren, die weißen Wände der Passagierdampfer an der Columbuskaje als Projektionsfläche für Proteste zu nutzen oder von der Dachplattform des Sail-City Hotels ein Riesen-GEW-Banner abzurollen.

28. März 2019: Zukunft Bildung Jetzt
[9) In Anlehnung an die Zukunftskommission von Bürgermeister Sieling mit einer Veränderungsperspektive bis 2035 fordert unsere Kommission sofortige Verbesserungen.]

Durch diese Arbeitsweise werden immer wieder starke Impulse für den eigentlichen (gewählten) Vorstand erzielt. Ebenso steigen neue Kolleg*innen ein, da die Mitarbeit im Erweiterten Vorstand nur eine geringe Hürde darstellt, andere lassen sich für bestimmte Aktionen gewinnen, ohne gleich eine Funktion übernehmen zu müssen, die Abstimmung zwischen Vorstand und Personalrat gelingt im Rahmen der Sitzungen oftmals“nebenbei“.

Die Balance zwischen Kontinuität und neuen Impulsen ist allerdings manchmal schwer herzustellen. Deshalb haben wir mit Akribie unsere Protokolle des Erweiterten Vorstandes geschrieben, und die Gruppe der Vorstandssprecher*innen legte im 2-Jahres-Rhythmus ausführliche Tätigkeitsberichte vor. Dieses Vorgehen erzeugt mehr Qualität als bunte Fotos von Pinnwänden. Man braucht für diese Arbeit Entfaltung, aber auch Verdichtung. Diese Papiere dokumentieren nicht nur unsere Aktivitäten, sondern bilden eine gute Reflexionsgrundlage, um die Aufgabenverteilung und Schwerpunktsetzung zu prüfen, Erfolge und Misserfolge einzuschätzen und die Ergebnisse der Überlegungen in das politische Agieren einzuspeisen.

Denn: Nicht jedes Thema kann mit gleicher Energie behandelt werden. Aber: Wer kommt, bestimmt mit - und wer ein Anliegen hat, kann dieses vierteljährlich einbringen und im Katalog der Themen abwägen lassen.

Inhalte sind nicht gleichrangig, auch nicht beliebig; Entscheidungen müssen getroffen werden. Allerdings können die Kämpfe der Zeit nur mit funktionierenden Strukturen geführt werden.