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Die Inklusion und „die denklogischen Fehler“

Der Landesbehindertenbeauftragte Dr. Joachim Steinbrück sagt, was passieren muss, damit der Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülergruppen besser gelingt.

Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn sie an Inklusion in Bremen und ihre Umsetzung denken?

Als erstes das schlechte Image. Inklusion wird oft verbunden mit Problemen im Umgang mit behinderten Schülerinnen und Schülern. Die guten Ansätze geraten so leider aus dem Blick. Zum Beispiel läuft die Integration und Inklusion an Grundschulen oft selbstverständlich mit.

Dennoch gibt es wegen der Umsetzung unbestritten großen Frust an den Schulen, es gibt überforderte Kollegien, fehlendes Fachpersonal. Was hätten Sie anders gemacht, wenn sie Bildungssenator gewesen wären, als die Inklusion beschlossen wurde?

Ich hätte als erstes 2006 den Studiengang Behindertenpädagogik an der Uni Bremen nicht geschlossen. Damals hat es massive Kritik mit dem Hinweis darauf gegeben, dass wir in Zukunft einen höheren und keinen geringeren Bedarf an sonderpädagogischen Lehrkräften haben werden. Das Zweite: Die Idee, die Inklusion über die demografische Rendite zu finanzieren, hatte von Anfang an denklogische Fehler, weil wir nicht zwei Prozent weniger Schüler haben, so waren damals die Prognosen, brauche ich auch zwei Prozent weniger Lehrkräfte. Die Proportionen sind andere. Das war ein ganz entscheidener Fehler. Das dritte Punkt: Mit dem Entwicklungsplan Inklusion im Jahr 2010 hatten wir eine gute Grundlage, wie der Prozess zeitlich und inhaltlich abgewickelt werden sollte. Dieser Plan ist zu wenig beachtet worden. Zudem gab es sogar Beschleunigungen, die sich negativ ausgewirkt haben. Dadurch konnte weniger gestaltet und konzeptionell gearbeitet werden. Den Schulen wurden Zusatzaufgaben aufgedrückt, auf die sie nicht vorbereitet waren, die sie überfordert haben. Die Förderschulen Wahrnehmung und Entwicklung wurden zu schnell aufgelöst. Die Probleme mit der Inklusion im engeren Sinne spiegeln eigentlich die Schwäche des Bildungssystem insgesamt wider.

Was sind die Folgen, wenn die Schulen mit Zusatzaufgaben überfrachtet werden?

Wenn es vielfältigste Anforderungen gibt, stößt man schnell an die Grenzen der Belastbarkeit, insbesondere dann, wenn die dazu benötigten Ressourcen nicht da sind. Und fehlende Ressourcen wirken sich ja auch immer auf die Motivation aus. Wenn ich immer auf dem Zahnfleich gehe in meiner Arbeit, dann habe nicht mehr die Bereitschaft, mich noch mehr ins Zeug zu legen. Auch weil das Gefühl bei vielen Betroffenen nicht da ist, da ist kein Licht am Ende des Tunnels, kein Silberstreif am Horizont.

Wie sollte es jetzt weiter gehen?

Es deutet sich in den Haushaltsberatungen an, dass die Ressourcen erhöht werden. Das ist auch den vielen Protesten vor allem die vom Bündnis für Bildung geschuldet. Die Proteste haben deutlich gemacht, mit schlechter Bildungspolitik kann man auch Wahlen verlieren. Bremen sollte und müsste sich jetzt offen dazu bekennen, dass sie mindestens den Standard bei den Ausgaben für Schüler/in pro Jahr der anderen Stadtstaaten erreichen will. Das ist auch deshalb wichtig, weil die Menschen, die im Bremer Bildungssystem arbeiten, dann erkennen könnten, da ist eine Hoffnung, dass sich unsere Situation verbessert.

Ganz anders klang der Einwurf von Bürgermeister Carsten Sieling, der den Inklusionsprozess abbremsen will.

Das hat ein Bürgermeister gesagt, der in den bildungspolitischen Details gar nicht so drinsteckt. Abbremsen geht mometan gar nicht. Das würde bedeuten, den Status quo einzufrieren, die schlechte Situation aufrechtzuerhalten. Ein Reaktivieren der Förderzentren ist zudem politisch und rechtlich problematisch, weil sich die Bundesrepublik verpflichtet hat, ein inklusives Schulsystem zu entwickeln. Man sollte den Inklusionsprozess nicht abbremsen, sondern besser gestalten. Es geht darum, die Strukturen zu stärken, mehr Weiterbildung zu organisieren, mehr Studienmöglichkeiten zu ermöglichen.

Sie sind also ein Befürworter des Studiengangs “Inklusive Pädagogik” an der Uni Bremen?

Ja. Er wird jetzt gebraucht, nicht in den nächsten Jahren. Je früher er wieder eingerichtet wird, desto eher wird das System entlastet.

Die Inklusion lässt sich auch deshalb nur unzureichend umsetzen, weil zu wenig Pesonal eingestellt ist. Und weitere Fachkräfte sind nur schwer zu finden.

Wie attraktiv ist denn der Bremische Schuldienst? Da sind andere Länder finanziell lukrativer. Wir sind bei der Bezahlung und der Besoldung wahrlich keine Spitzenreiter, im Gegenteil. Ich plädiere bei bestimmten, dringend benötigten Fachkräften für übertrafliche Lösungen. Die Personalpolitik muss einfach kreativer werden, damit wir auch kurzfristig Leute in unser Bundesland bekommen. Das kostet natürlich Geld.