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Deutscher Qualifikationsrahmen (DQR) – zukunftsweisend?

Können Sie sich vorstellen, dass zukünftig bei der Suche nach einer Lehrstelle, bei Stellenbesetzungen es nicht nur darum gehen kann nachzuweisen, was man weiß (Wissen), was man kann (Fertigkeiten), mit welcher Einstellung und welcher Energie (Fähigkeiten) - und es dabei nicht nur um das in Schule, Hochschule und Aus- oder Weiterbildung Gelernte geht, sondern auch um die Erfahrungen, die man in Jugendarbeit oder Erwachsenenbildung gemacht hat, in Freizeitaktivitäten oder Ehrenamt? Dann ist der Wert der non-formal und informell erworbenen Kompetenzen als handlungssteuerndes Erfahrungswissen im DQR verankert worden. Doch der Weg dahin ist weit.

(vgl. Zum Begriff DQR)
Über den DQR soll der Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) national umgesetzt werden. Beide Qualifikationsrahmen sind Instrumente für die Zuordnung Qualifikationen aller Bildungsbereiche auf einer Skala von acht Kompetenzniveaus, wobei die Stufe 8 mit der Promotion vergleichbar wäre. In internationaler Hinsicht soll damit die Transparenz der unterschiedlichen nationalen Bildungssystemen verbessert, in nationaler Hinsicht die Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit zwischen den Teilsystemen im Bildungssystem gefördert werden. Weitere Informationen unter
www.deutscherqualifikationsrahmen.de

Im Augenblick geht es um das Bestreben der Gewerkschaften, die Gleichwertigkeit von Beruflicher und Allgemeiner Bildung zu ermöglichen. In der sogenannten DQR-Matrix wurden im gemeinsamen Prozess der letzten Jahre für die jeweiligen Kompetenzniveaus die Kompetenzen beschrieben. (vgl. den Ausschnitt zu den Stufen 4 und 5)

Oktober 2011 – KMK gegen den Rest der Welt

Die KMK hat sich mit ihrem Beschluss vom 20.10.2011 dafür ausgesprochen, die Fachgebundene und die Allgemeine Hochschulreife dem Niveau 5 sowie die Fachhochschulreife dem Niveau 4 des DQR zuzuordnen. Sie zeigt damit ihr fehlendes Verständnis von Gleichwertigkeit zwischen schulischer und beruflicher Bildung.

Der Landesausschuss für Berufsbildung Bremen, dessen Mitglieder überwiegend aus der Bildungsbehörde und den Vertretungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeberseite benannt werden und in dem auch der DGB mit seinen Gewerkschaften vertreten ist, hat auf seiner Sitzung am 22.11.2011 den aktuellen Sachstand zur Entwicklung und Umsetzung eines Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) diskutiert und bewertet. Die GEW befasst sich seit Beginn sowohl bundesweit als auch in Bremen mit den Ergebnissen und ist durch einen Vertreter in der Arbeitsgruppe vertreten.

Die Niveaustufe 5 sollte demnach der ersten Ebene der beruflichen Fortbildungen und künftigen Kurzstudiengängen vorbehalten bleiben. Das Abitur muss auf dem gleichen Niveau wie die 3- und 3,5-jährigen Ausbildungsberufe angesiedelt werden.

Allgemeinbildende Schulabschlüsse stellen Basiskompetenzen für weiterführende Bildungswege dar und besitzen in der Regel für sich alleine keine Arbeitsmarktrelevanz. Dies gilt für die Fachkompetenz, aber insbesondere auch für die Sozial- und Selbstkompetenz, wie sie im DQR beschrieben wird. Eine Zuordnung der Fachgebundenen und Allgemeinen Hochschulreife auf Niveau 5 des DQR und damit oberhalb der drei- und dreieinhalbjährigen Ausbildungsberufe, die überwiegend dem Niveau 4 zugeordnet wurden, ist daher nicht nachvollziehbar und keinesfalls zu rechtfertigen.

Mit ihrer Entscheidung vom 20.10.2011 ignoriert die KMK die Positionen von Gewerkschaften und Arbeitgebern, der Wirtschaftsministerkonferenz, des BMBF und des Bundesinstituts für Berufsbildung.

Die KMK begründet ihre Zuordnung mit der Besonderheit des deutschen Abiturs im internationalen Vergleich, da mit dem Abitur gleichzeitig eine uneingeschränkte Hochschulzugangsberechtigung verbunden ist. Sie verkennt dabei, dass der DQR als europäisches Transparenz- und Vergleichsinstrument dienen soll und nicht als Berechtigungssystem missverstanden werden darf.
Die KMK-Entscheidung isoliert Deutschland auch in Europa, da die meisten EU-Länder, die ihre nationalen Qualifikationsrahmen fertig gestellt haben, das Abitur und die beruflichen Abschlüsse auf der gleichen Stufe ansiedeln.

Januar 2012 – Ausgeklammert und vertagt, aber was folgt?

Vor diesem Hintergrund entsteht am 31.01.2012 eine VEREINBARUNG ZUM DQR

Die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung, der Kultusministerkonferenz, der Wirtschaftsministerkonferenz, der Sozialpartner und der Wirtschaftsorganisationen werden den DQR-Prozess zügig fortsetzen und vereinbaren zum weiteren Vorgehen folgende Punkte:

  1. Für die berufliche Erstausbildung wird eine Zuordnung zunächst auf Niveau 3 (2-jährige Ausbildungen) und auf Niveau 4 (3- und 3 ½ jährige Ausbildungen) vorgenommen.
  2. Von einer Zuordnung allgemeinbildender Schulabschlüsse zum DQR wird vorerst abgesehen.
  3. Nach einem Zeitraum von fünf Jahren werden auf der Grundlage kompetenzorientierter Ausbildungsordnungen der beruflichen Erstausbildung und kompetenzorientierter Bildungsstandards für die allgemeinbildenden Schulabschlüsse unter Maßgabe der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung alle Zuordnungen erneut beraten und gemeinsam entschieden. Dabei soll die weitere Entwicklung auf der europäischen Ebene mit berücksichtigt und auch eine Höherstufung geprüft werden.
  4. Um den weiteren Arbeitsprozess des DQR mit dem Ziel einer zeitnahen Referenzierung an den EQR sicherzustellen, wird der Arbeitskreis DQR gebeten, die noch ausstehenden Zuordnungen vorzunehmen.
    Berlin, den 31.1.2012

Sollte sich der Vorschlag der KMK bei der abschließenden Zuordnung von Qualifikationen durchsetzen, würde dies letztlich der gesamten Struktur und Logik der Kompetenzentwicklung in unserem Bildungssystem widersprechen. Das Ergebnis wäre u. a. eine Abwertung der hochwertigen Abschlüsse der Dualen Berufsausbildung mit fatalen bildungspolitischen Folgen: Wie soll bspw. dem Fachkräftemangel insbesondere im gewerblich technischen Bereich wirkungsvoll begegnet werden, wenn der DQR das Signal aussendet, eine höchst anspruchsvolle Berufsausbildung ist „weniger wert“, als ihr Schulabschluss? Welcher Abiturient würde sich dann überhaupt noch für eine Berufsausbildung interessieren?

Eine Prognose

Der DQR wird erst einmal als Hilfsinstrument funktionieren, da die „Abiturienten-Frage“ zunächst ausgeklammert wurden. Das Problem der Niveaustufe 5 ist nicht gelöst, nur vertagt. Ein wenig Sicherheit gibt es im Konsens erst oberhalb im Niveau 6 (u.a. Bachelor, Fachschule, Fachwirt, Meister).
So bleibt abzuwarten, wie schnell und konkret diese Einigung in den Ländern in Form von neuen Verordnungen in den Zeugnissen umgesetzt wird (ursprünglich es Ziel 2012). Die Einigung ist letztlich nur als Meilenstein auf dem langen Weg der wirklichen Anerkennung von Gleichwertigkeiten in der Bildung zu werten.
Unsere Beschäftigung mit dem DQR ist im beruflichen Bereich angekommen. Kümmern wir uns darum, diskutieren wir über den Stellenwert der beruflichen Bildung!