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Der „Praxisschock“ vor 150 Jahren

Ist es zweckmäßig, daß in der Elementarklasse die jüngsten Lehrer angestellt werden? Vortrag in der Konferenz bremischer Volksschullehrer, 4.12.1852 Einführung von Jürgen Burger

Über die Bedingungen des Berufseinstiegs Mitte des 19. Jahrhunderts und die Art, wie darüber diskutiert wurde, informiert uns ein Referat, das 1852 in der „Konferenz bremischer Volksschullehrer“ gehalten wurde. Diese Institution, die monatlich in der Alten Börse tagte, hatte sich 1849 konstituiert. Sie war ein Ergebnis der Revolution von 1848, vorher hatte es nur informelle Zusammenschlüsse von Lehrern gegeben. Die Konferenz war bis in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts die repräsentative Bremer Lehrerversammlung und wurde erst ab 1884 durch die Monatsversammlungen des neu gegründeten „Bremischen Lehrervereins“ abgelöst. Die Protokolle sind sämtlich erhalten und stehen im Staatsarchiv.
Jürgen Burger

J.C. Meyer:
Ist es zweckmäßig, daß in der Elementarklasse die jüngsten Lehrer angestellt werden?
Vortrag in der Konferenz bremischer Volksschullehrer, 4.12.1852

Herr Meyer zeigt zunächst, wie es für den jungen Lehrer selbst unzweckmäßig seie, zuerst in der Elementarklasse angestellt zu werden. Er fragt: der junge Mann der sich zum Lehrerstande vorbereitet hat, wünscht von dem Gelernten nun auch einen passenden Gebrauch zu machen, und vielmehr seine Leistungen zu erproben. Er muß sich ferner auch noch dem ernsten, fortgesetzten Studium widmen. Wird nun der junge Mann in solchen Classen angestellt, wo er schon von seinem Wissen einigen Gebrauch machen kann, so wird er selbst das Bedürfniß fühlen, sich tüchtig vorzubereiten und diese Vorbereitungen gerade sind für ihn von großem Nutzen. Es spornt zum Weiterstreben und emsigem Fleiße wohl Nichts mehr an, als wenn der junge Lehrer sieht, daß ihm seine Schüler nicht so ganz ferne stehen, u. wird er sich um so ernster anstrengen, einen Vorsprung zu gewinnen… Wenn nun aber, und zwar mit Recht, eingewendet wird, die Schule sei nicht des Lehrers wegen da, sondern umgekehrt, so wird 2t. bezweifelt, daß überhaupt ein Anfänger sich in einer Elementarklasse nützlich machen könne. Zum Beweise dieser Behauptung giebt der Verfasser ein ausführliches Bild von dem Leben in einer Elementarklasse von 100 Schülern, die in II Abteilungen getheilt sind. Ein solches Bild einer einstündigen Schularbeit giebt schon den Beweis, wieviel Umsicht und Gewandheit dazu gehöre, einen solchen vielräderigen Schulwagen in steter Bewegung zu erhalten. Die Schüler werden nur dann mit Nutzen in der Schule sein, wenn sie in reger Thätigkeit bleiben, und diese wird nur dann bestehen können, wenn man jedem Schüler, also auch dem Ankömmling die Beschäftigungen zuertheilt, die seinen Kräften durchaus angemessen sind. Es ist nicht leicht, den Kleinen gerade die Arbeit zuzuweisen, die für sie passen, aber auch nicht unmöglich. Jedes Kind tritt zuerst mit Bangen in die Schule ein, doch wird das Kind bald Muth bekommen, wenn man ihm nur das bietet, was es kann, und Zutraulichkeit wird dann bald eintreten. Wenn es nun schon schwer ist, die Kleinen gehörig zu beschäftigen, wie viel mehr muß es das sein, wenn noch außerdem andere Abtheilungen auf den Lehrer warten. Die Wahrheit dieser Behauptung muß selbst der gewandteste Lehrer eingestehen.
Wie sollte nun ein junger, unerfahrener Lehrer dem bestehen können; wird er nicht bald die Geduld u. den Muth verlieren u. statt der rechten Mittel die verfehlten Mittel wählen? Es wird sich ein guter Lehrer durcharbeiten, aber unter einem jungen Lehrer würde die Schule leiden und der Lehrer vielleicht selbst zu Grunde gehen.