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Der Kapitalismus fährt gegen die Wand

… und niemand erforscht den Bremsweg

Der Kapitalismus ist zum Untergang verdammt. Er benötigt Wachstum, aber in einer endlichen Welt kann es unendliches Wachstum nicht geben. Viele Kapitalismuskritiker frohlocken, sobald sie diese Prognose hören, doch darf man sich das Ende nicht friedlich vorstellen. Der Kapitalismus wird chaotisch und brutal zusammenbrechen – nach allem, was man bisher weiß.

Dieser Pessimismus mag zunächst übertrieben wirken. Schließlich fehlt es nicht an Konzepten, wie eine ökologische Kreislaufwirtschaft aussehen könnte, die den Kapitalismus überwinden soll. Einige Stichworte lauten: erneuerbare Energien, Recycling, langlebige Waren, öffentlicher Verkehr, weniger Fleisch essen, biologische Landwirtschaft und regionale Produkte.

Doch das zentrale Problem ist leider ungelöst: Es fehlt die Brücke, die vom Kapitalismus in diese neue „Postwachstumsökonomie“ führen soll. Über den Prozess der Transformation wird kaum nachgedacht. Der Kapitalismus fährt gegen eine Wand, aber niemand erforscht den Bremsweg.

Kein stabiles System

Die Vorschläge für eine Postwachstumsgesellschaft basieren immer auf der Idee, Arbeit und Einkommen zu reduzieren. Doch der Kapitalismus ist keine Badewanne, bei der man die Hälfte des Wassers einfach ablassen kann. Er ist kein stabiles System, das zum Gleichgewicht neigt und verlässliche Einkommen produziert, die man ruhig senken kann. Stattdessen ist der Kapitalismus ein permanenter Prozess. Sobald es kein Wachstum gibt, droht chaotisches Schrumpfen.

Wie dieser Strudel funktioniert, hat der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger beschrieben, der unter anderem die Ökosteuer erfunden hat. Binswanger trieb die Frage um, ob der Kapitalismus auf das zerstörerische Wachstum verzichten könne. Seine Antwort lautete: Nein. Denn die „Investitionsketten“ würden reißen, wie er es technisch ausdrückte. Übersetzt: Firmen investieren nur, wenn sie Gewinne erwarten. Gesamtwirtschaftlich sind diese Gewinne aber identisch mit Wachstum. Ohne Wachstum müssen die Unternehmen also Verluste fürchten. Sobald aber Profite ausbleiben, investieren die Unternehmen nicht mehr, und ohne Investitionen bricht die Wirtschaft zusammen. Es würde eine unkontrollierbare Abwärtsspirale einsetzen, die an die Weltwirtschaftskrise ab 1929 erinnert: Arbeitsplätze gehen verloren, die Nachfrage sinkt, die Produktion schrumpft, noch mehr Stellen verschwinden.

Nicht wenigen Wachstumskritikern ist diese systemische Sicht suspekt, die die Wirtschaft von „oben“ betrachtet. Sie würden lieber von „unten“ beginnen, indem jeder Einzelne seinen Konsum, aber auch seine Arbeitszusammenhänge verändert. Sie stellen sich die Wirtschaft als eine Summe vor, bei der viele kleine Nischen am Ende ein neues Ganzes ergeben.

Doch damit machen die Wachstumskritiker den gleichen Fehler wie ihre neoliberalen Gegner: Sie glauben, dass die Wirtschaft nur eine Summe aller Unternehmen sei. Sie verwechseln Betriebs- mit Volkswirtschaft und verstehen nicht, dass der Kapitalismus ein Prozess ist, der Einkommen nur erzeugen kann, wenn es die Aussicht auf Wachstum gibt. Binswanger hat dieses Dilemma richtig beschrieben, und es verschwindet nicht, nur weil man es ignoriert.

Da sich das Wachstum nicht einfach abschaffen lässt, machen neuerdings Konzepte wie „Green New Deal“ oder „nachhaltiges Wachstum“ Karriere. Sie wollen Wachstum und Rohstoffverbrauch „entkoppeln“, indem die Effizienz gesteigert wird.

Kerosin kontra Klimaziele 

Diese „Entkoppelung“ ist nicht völlig abwegig, denn seit 1970 hat sich der Energieverbrauch pro Wareneinheit halbiert. Die Umwelt wurde allerdings nicht entlastet, weil prompt der „Bumerang-Effekt“ zuschlug. Die Kostenersparnis wurde genutzt, um die Warenproduktion auszudehnen, so dass der gesamte Energieverbrauch nicht etwa fiel, sondern sogar zunahm.

Als Ausweg reicht es auch nicht, auf regenerative Energien umzustellen. Denn weite Bereiche der Wirtschaft lassen sich nicht mit Ökostrom betreiben. Das Elektroauto befindet sich noch immer im Versuchsstadium, und auch Passagierflugzeuge heben nur mit Kerosin ab. Allein der Flugverkehr zerstört aber jede Hoffnung, die Klimaziele zu erreichen, wie eine einfache Rechnung zeigt: Wenn die Erderwärmung begrenzt bleiben soll, darf jeder Mensch nur noch 2,7 Tonnen CO2 pro Jahr verursachen. Ein Flug von Frankfurt nach New York schlägt aber bereits mit 4,2 Tonnen zu Buche, und nach Sydney sind es gar 14,5 Tonnen. Damit wird wieder das böse V-Wort unvermeidlich, das das Wachstum bedroht: Verzicht.

Es ist ein Dilemma: Ohne Wachstum geht es nicht, komplett grünes Wachstum gibt es nicht, und normales Wachstum führt unausweichlich in die ökologische Katastrophe. Es bleibt nur ein pragmatisches Trotzdem: trotzdem wenig fliegen, trotzdem Abfall vermeiden, trotzdem auf Wind und Sonne setzen, trotzdem biologische Landwirtschaft betreiben. Aber man sollte sich nicht einbilden, dass dies rein „grünes“ Wachstum sei. Wie man den Kapitalismus transformieren kann, ohne dass er chaotisch zusammenbricht – dies muss noch erforscht werden.