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Bremer Jugendliche auf Lehrstellensuche

Im Lande Bremen gibt es eine vergleichsweise hohe Zahl von Lehrstellen. Schon 2009 teilte der Senat mit, die Zahl der SchulabgängerInnen werde 2010 niedriger sein als die der gemeldeten Ausbildungsplätze. Und der von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ gesponserte „Bildungsmonitor“ setzte gar in seinem Bundesländer-Ranking beim Thema Berufsbildung Bremen auf den ersten Platz. Demgegenüber hat die GEW immer betont, dass viele Bremer SchulabgängerInnen nach der 10. Klasse keine Lehrstelle finden. Diese Einschätzung wird jetzt durch die von der Bildungssenatorin in Auftrag gegebene Studie „Bildung – Migration – Soziale Lage“ bestätigt.

Der scheinbare Widerspruch:

Überdurchschnittlich viele Lehrstellen - überdurchschnittlich viele Jugendliche ohne Lehrstelle
In dem von L. Jasker und D. Kneuper geschriebenen Kapitel „Übergang in berufliche Bildungsgänge“ wird zunächst einmal das Bild bestätigt, das die Vergleichsstatistik der Länder zeigt:
„Beim Blick auf die Bremer Datenreihe fällt besonders die hohe Ausbildungsleistung in den berufsbildenden Schulen auf. Das Verhältnis der Anfängerinnen und Anfänger zu einer vergleichbaren Alterskohorte lag für diesen Bereich bei 181% und war damit deutlich höher als in Hamburg (161%), in Berlin (143%) und im Bundesdurchschnitt (140%).
Im dualen Bereich waren die Werte für das Land Bremen so hoch wie für kein anderes Bundesland: In Bezug zu einem durchschnittlichen Bevölkerungsjahrgang im relevanten Alter haben zum Schuljahr 2009/10 93,7% eine duale Berufsausbildung begonnen und besuchten in Bremen die Berufsschule. Dieser Anteil liegt deutlich über denen in Hamburg (83,3%), Berlin (64,8%) und in Deutschland insgesamt (57,8%).“
Mit anderen Worten: Ein Bremer Berufsschuljahrgang ist bedeutend breiter, als das die Zahl der Bremer SchulabgängerInnen nach der 10. Klasse vermuten lässt.

Das Übergangssystem

Gleichzeitig wird in der Untersuchung festgestellt:
„Besonders fällt in Bremen der Anteil derjenigen auf, die in das Übergangssystem aufgenommen wurden: in Bezug zu einer altersmäßig vergleichbaren Alterskohorte in der Bevölkerung begannen rechnerisch 54,5% einen Bildungsgang in diesem Sektor.“
Das „Übergangssystem“ – das sind alle Bildungsmaßnahmen, die nicht zu einem berufsqualifizierenden Abschluss oder zu einer Hochschulzugangsberechtigung führen, wobei diese Studie allein die Zahl der SchülerInnen erfasst, die noch schulpflichtig sind. Im weiteren Sinne gehören zum Übergangssystem auch alle von der Bundesagentur für Arbeit und freien Trägern angebotenen und finanzierten Maßnahmen.
Der scheinbare Widerspruch zwischen der gleichzeitig hohen Zahl der SchülerInnen im Dualen System und im Übergangssystem erklärt sich folgendermaßen:
„Eine vertiefte Datenanalyse hat gezeigt, dass der im Verhältnis zur Bevölkerung hohe Anteil von Anfängerinnen und Anfängern in Bildungsgängen der berufsbildenden Schulen Resultat der Zentrumsfunktion Bremens im Ausbildungsbereich für das Umland ist. Während im Sektor der Berufsausbildung über 40% der Anfängerinnen und Anfänger nicht in Bremen wohnten, nahmen hingegen an Bildungsmaßnahmen des Übergangsbereichs fast nur in Bremen wohnhafte Schülerinnen und Schüler teil: 99% dieser Schülerinnen und Schüler waren Landeskinder.“ So ergibt sich beim Übergang aus den allgemeinbildenden Schulen folgendes Bild, differenziert nach Ortsteilen mit überdurchschnittlichem (A) und unterdurchschnittlichem (B) Anteil von MigrantInnen und Hartz IV-EmpfängerInnen:

Soziale Disparitäten in der Region Bremen/Bremerhaven

Die Analyse zeigt, dass die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze wenig über den Versorgungsgrad der Bremer Jugendlichen aussagt. Wie schon bei PISA und ähnlichen Vergleichsstudien muss berücksichtigt werden, dass der Agglomerationsraum Bremen/Bremerhaven mehr als eine Million EinwohnerInnen hat. Den sozialen Brennpunkten in der Kernstadt steht der „Speckgürtel“ gegenüber, der nicht zum Land Bremen gehört. Wenn also manche Bremer Unternehmen äußern, „niedersächsische BewerberInnen“ um eine Lehrstelle seien besser qualifiziert, dann ist das keine Auskunft über das niedersächsische Bildungssystem, sondern über die soziale Herkunft der BewerberInnen.
Würde man die Zahl der in der Region vorhandenen Ausbildungsplätze zur Zahl der Jugendlichen in Bremen/Bremerhaven und im gesamten Umland ins Verhältnis setzen, sähe die Bilanz wahrscheinlich nicht mehr so rosig aus. Zu dieser Problematik gibt es bisher keine Bildungsberichterstattung, obwohl sie dringend notwendig wäre. Hinzu kommt, dass ein gewisser Anteil der Ausbildungsplätze an überregionale BewerberInnen geht.

Die „Bremer Vereinbarungen“ und die Maßnahmen der Bildungsbehörde

Die Bildungsbehörde hat jetzt eine ganze Reihe von Verordnungen herausgebracht, die sich mit dem Übergang in die Berufsbildung beschäftigen. Sie werden in den Deputationsvorlagen als Umsetzung der „Bremer Vereinbarungen“ deklariert. Dieses Gremium ist 2008 als Fortsetzung des „Bündnisses für Arbeit und Ausbildung“ einberufen worden, das wiederum in der Ära des Bundeskanzlers Schröder entstanden war. Es wurde damals für den Ausbildungssektor zur Vermeidung einer gesetzlichen Ausbildungsumlage für Unternehmen, die nicht oder zu wenig ausbilden, eingerichtet. Teilnehmer in Bremen sind u.a. Unternehmensverbände, Senat, Kammern und der DGB.
In den „Bremer Vereinbarungen 2011-2013“ wird die Ausbildungssituation zunächst durchaus realistisch beschrieben:
„Der bremische Ausbildungsmarkt ist von ambivalenten Entwicklungen gekennzeichnet: Einerseits entwickelt sich die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze positiv, andererseits gelingt nur einer Minderheit der bei den Agenturen registrierten bremischen Bewerberinnen und Bewerber der Einstieg in eine ungeförderte Ausbildung.“
Doch dann beginnt die Ungenauigkeit: „Die hohe Zahl von Einpendlern, die Bremen als Oberzentrum an sich zieht, führt unter anderem dazu, dass die Bremer Schulentlassenen um die eigentlich ausreichende (Hervorh. j.b.) Zahl an Ausbildungsplätzen in Wettbewerb treten müssen.“
Ob die Zahl der Plätze für die Region Bremen mit über 1 Mio. Einwohnern „eigentlich ausreicht“, muss bezweifelt werden. Da dieser Frage aber nicht nachgegangen wird, fallen die Maßnahmen, die angesteuert werden, hinter die realistische Ausgangsbeschreibung zurück:
„Die Attraktivität des Dualen Systems und seine Anpassungsfähigkeit an veränderte Herausforderungen müssen bekannter gemacht werden, damit das Matching zwischen Angebot und Nachfrage noch besser gelingen kann. Dafür sind die Beratungsangebote und –strukturen verbindlicher festzulegen und besser als bisher zu vernetzen.“
Nichts spricht gegen bessere Beratungsangebote und –strukturen, aber fehlende Lehrstellen werden auch durch sie nicht herbei gezaubert! Die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Bremer Absolventen im Übergangssystem verbleibt, kann nicht allein fehlender Orientierung auf das Duale System und „mangelnder Ausbildungsreife“ zugeschrieben werden. Die als Unterton mitschwingende Tendenz, die Verantwortung für das Dilemma den Betroffenen zuzuschreiben, wird deutlich, wenn über das Übergangssystem geurteilt wird:
„Für besondere Zielgruppen (Hervorh. j.b.) bleiben Maßnahmen des Überganssystems nach wie vor wichtig. Das Ziel einer abgeschlossenen Ausbildung ist dabei stringent zu verfolgen.“ Seit wann sind 54,5% eine „besondere Zielgruppe“?

Wenn im Anhang der Vereinbarung eine „schrittweise Begrenzung der berufsvorbereitenden Maßnahmen im schulischen und außerschulischen Übergangssystem“ gefordert wird, dann ist zu befürchten, dass dabei viele Jugendliche auf der Strecke bleiben. Aus gewerkschaftlicher Sicht muss klar sein, dass Reduzierungen im Übergangssystem erst dann erfolgen können, wenn mehr betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen worden sind.