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Bildungsstreik in Spanien:

Als Mariano Rajoy noch Oppositionsführer war, drückte er seine Unterstützung für die Einschnitte in das englische Sozialsystem folgendermaßen aus: „Camerons Pläne sind absolut vernünftig; ich würde dasselbe auch in meinem Land tun.“ Rajoy, der jetzt selbst spanischer Regierungspräsident ist, bezog sich in seiner Aussage auf die massivsten Kürzungen im Sozialbereich in England seitdem 2.Weltkrieg. Und in der Tat hat Rajoy keine Zeit vergeudet, es seinem britischen Amtskollegen gleich zu tun. Laut einem Bericht des Forschungsinstituts der spanischen Lehrergewerkschaft (FECCOO) sollen die Ausgaben pro Student (in Spanien) um 15% über die nächsten drei Jahre gesenkt werden. Erreicht werden soll das durch gleichzeitig stattfindende Ausgabenkürzungen und eine Erhöhung der Studentenzahlen. Dabei handelt es sich überwiegend um junge Leute, die aus Mangel an Arbeitsplätzen ihre Studien wieder aufnehmen.

Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Kooperation und Entwicklung) schätzt, dass 44% der Studenten des Landes als ‚prekär’ eingestuft werden können, d.h. dass sie aus Familien mit niedrigem Einkommen und Bildungsabschlüssen oder aus Immigrantenfamilien der ersten oder zweiten Generation stammen. Die breite Mehrheit dieser Studenten ist bei staatlichen Universitäten eingeschrieben.
Für die Lehrergewerkschaften müsste ein egalitäres Bildungssystem stärker auf die individuellen Bedürfnisse dieser Studenten eingehen. Aber die verheerendsten Kürzungen werden gerade bei der Vielfalt der Angebote und den Förderprogrammen vorgenommen.
Einer der wichtigsten Kritikpunkte der Lehrergewerkschaften, die massiven Widerstand gegen die Kürzungen im Bildungsbereich organisieren, ist die Tatsache, dass die staatlichen Bildungsausgaben gekürzt werden, während gleichzeitig private Bildung öffentlich finanzierte Unterstützung bekommt. Dennoch ist es schwierig, von einem einheitlichen Trend zu sprechen, da die Bildungsstandards von den autonomen Regionalregierungen festgelegt werden und deshalb die Verhältnisse in den Regionen sehr unterschiedlich sein können.

Eine beunruhigende Vereinbarung

Die schulpflichtige Bildung wird in Spanien von der sogenannten educacion concertada, d.h. den staatlich subventionierten Privatschulen dominiert. Die römisch-katholische Kirche kontrolliert 2/3 dieser Privatschulen.
Die gegenwärtige Regierung schlägt vor, dieses Model auf die vor-universitäre Bildung auszudehnen, für die bis heute überwiegend der Staat verantwortlich ist. Juan Martínez vom Forschungsinstitut der Lehrergewerkschaft FECCOO befürchtet 10 % Mehrarbeit, die zusätzlich zu den Kürzungen und dem Einstellungsstop(p) über die Lehrer hereinbrechen. Die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse und der Mangel an Möglichkeiten zu kollektiven Tarifverhandlungen im subventionierten privaten Sektor bringen es mit sich, dass minder qualifiziertes Unterrichtspersonal eingestellt wird, das (gezwungenermaßen) willens ist, für geringere Bezahlung länger zu arbeiten.
Mindestens vier autonome Regionen haben die Finanzierung dieses Sektors zu Lasten der staatlichen Schulen in den letzten zwei Jahren erhöht, indem sie weitere Mittel zur Gründung neuer staatlich subventionierter Privatschulen zur Verfügung gestellt haben.
Grundlage für diesen Trend ist eine Gesetzeslücke im subventionierten Privatschulsektor. Der bestehende Gesetzesrahmen wird durch das königliche Dekret zur Vereinbarung von Bildungsabkommen bestimmt, einer Sammlung von Richtlinien, die auf das Jahr 1985 zurückgehen, die seitdem nicht verändert wurden und den Regionalregierungen einen großen Spielraum lassen.
„Wie kann das sein, dass in einer Zeit der Krise öffentliche Grundstücke verpachtet werden, um darauf (staatlich) subventionierte Privatschulen zu bauen, während zur gleichen Zeit keine staatlichen Schulen mehr gebaut werden?“ fragt ein aufgebrachter Lehrer in Reaktion auf die Verpachtung eines öffentlichen Grundstückes im Wert von 15 Millionen € an Opus Dei, eine (extrem konservative/fundamentalistische/faschistoide) katholische Institution, zum Bau einer (staatlich) subventionierten Privatschule in der Gegend von Madrid im Jahre 2011.
Der Präsident dieser Region, Esperanza Aguirre, hat auch öffentliches Land an zwei Privatunternehmen zu einem Preis von 5.000 - 6.000 € über einen Zeitraum von 50-60 Jahren verpachtet. Die Medien vermuten, dass die Regierung glaubt, damit einen Weg aus der Immobilienkrise gefunden zu haben, indem sie Privatunternehmen die Möglichkeit gibt, Schulen zu betreiben.
Eduardo Sabina von der Gewerkschaft FETE-UGT in Madrid erklärt, auf welche Weise diese Praktiken ein gutes Geschäft für einige Beteiligten werden: „Die Regierung verpachtet das Grundstück (für eine Schule) an ein Privatunternehmen ‚für’n Appel und’n Ei’, sorgt durch die Vergabe von Neubauwohnungen in der Umgebung für die dazu gehörige Klientel und finanziert das Lehrpersonal aus öffentlichen Mitteln. Die Privatunternehmen führen die Schulen und ziehen von den Familien Schulgeld in einer Höhe ein, die das ganze Geschäft profitabel für die Unternehmen macht. Ein absolut perverses Schulmodell.“ Hinzu kommt dabei noch, dass den beteiligten Familien Steuererleichterungen gewährt werden. In Regionen wie Madrid werden solche Steuererleichterungen seit 2009 gewährt und sie begünstigen in zunehmendem Maße gerade die Familien mit den höchsten Einkommen. Dennoch hat die subventionierte Privatbildung die wirtschaftliche Krise nicht völlig unbeschadet überstanden. Ihre Gesamtbilanz weist seit 2010 rote Zahlen auf und viele dieser Schulen erleben harte finanzielle Zeiten.

Unterrichten nach den Prinzipien des freien Marktes

Über die Diskussion der Finanzierungsmodelle von Bildung hinaus versuchen die Lehrergewerkschaften die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die sozialen Modelle zu lenken, die diese Finanzierungsweisen nach sich ziehen. Befürworter der Privatschulen betonen das Recht der Familien auf „Wahlfreiheit“, während ihre Kritiker hervorheben, dass dadurch das Prinzip der „Chancengleichheit“ geopfert würde. Dieser Aspekt wird durch das neue Schulbewertungssystem veranschaulicht, welches ausschließlich die akademischen Leistungen berücksichtigt. Im Januar hat das Bildungsministerium seine Absicht verkündet, systematische Testverfahren zur Bewertung der akademischen Leistungsstände einzuführen, die auf ein Rankingsystem der Schulen hinauslaufen. Es ist noch nicht ganz klar, ob die Resultate dieser Testverfahren veröffentlicht werden, aber sie werden jeder Familie zugeschickt, um sie bei ihrer Schulwahl zu unterstützen. Darüber hinaus werden die „besten“ Schulen finanzielle Anreize bekommen, so dass den Schulen Marktprinzipien wie die Wettbewerbsfähigkeit auferlegt werden. In Katalonien ist eine unabhängige, mit voller Geschäftsfähigkeit ausgestattete Institution gegründet worden, die die Schulbewertungen durchführen soll und Spendengelder von öffentlichen und privaten Unternehmen annehmen darf. „Diese Tatsachen lassen ernsthafte Zweifel daran aufkommen, ob diese „unhabhängige“ Institution die Bedürfnisse der Schulen im Auge hat oder doch eher politische und private Interessen verfolgt,“ erklärt die USTEC-STEs-Gewerkschaft.
In der Region Valencia kündigte der Leiter der Bildungsbehörde, José Císar, im Januar an, dass das sogenannte Modell Schule-Unternehmen eingeführt würde mit dem Ziel, Berufs- und Hochschul(aus)bildung enger mit den Erfordernissen der Unternehmen zu verbinden. Um dieses System umzusetzen, müssten die Unternehmen Ausbildungsplätze schaffen, die im Augenblick in den Unternehmen gar nicht zur Verfügung stehen und die außergewöhnliche Investitionen erforderlich machen.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Wichtigkeit von Rentabilität und Produktivität der Bildung hervorgehoben wird, welche, wie in vielen anderen Bereichen, von den Anforderungen des Marktes beherrscht werden.
„Der allgemeine Trend läuft in die Richtung, die öffentliche Universität als Ort kritischen Denkens und gesellschaftlicher Kreativität zu demontieren“, sagte A. Méndez Rubio, Professor an der Universität Valencia, der sich dabei auf eigene Erfahrungen des Unterrichtens bezieht. „Um zu überleben, müssen wir alles tun, unsere Angst zu überwinden, uns aktiv zu befreien, denn die Situation ist nicht so hoffnungslos, dass wir nichts tun könnten, aber dennoch so dramatisch, weil alles auf dem Spiel steht.“

Übersetzung von Jochen Ströh