Zum Inhalt springen

Aufrücken nach rechts!

Eine Nachlese zum Wahlerfolg der AfD

Sofort nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse geisterte der Begriff vom Rechtsruck durch die Nation. „Ruck“ - gehört zu jenen subjektlosen Ausdrücken, mit denen sich Naturhaftes, quasi Automatisches suggerieren lässt. Ein Land „rückt“ nach rechts, so wie ein Krieg „ausbricht“. Wenn Deutschland nach rechts „rückt“, dann deshalb, weil es von politisch oder öffentlich Agierenden dorthin gerückt wird. Und diese Macht hat die AfD in ihrer Oppositionsrolle nicht. Die Bewegung kann nur von der Mehrheitsgesellschaft ausgehen. Etwa von Parteien, die ihre „rechte Flanke“ schließen wollen, wie Seehofer es ausgedrückt hat, zu denen aber vermutlich nicht nur die CSU gehören dürfte, wenngleich diese in ihrem Zehn-Punkte-Papier am deutlichsten nach neuem „Patriotismus“ ruft. Auch das liberale Menschenbild des blonden männlichen Supermodels scheint einer weiteren Verschärfung der Flüchtlingspolitik nicht im Weg zu stehen: Schon wird seitens der FDP Zustimmung dazu signalisiert, die Maghrebstaaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären.

Überfordert?

Aufschlussreich ebenfalls die Debatte in der Presse. Zwar verwahrt sich Silke Hellwig im Weser-Kurier zurecht dagegen, den Menschen in Ostdeutschland das Problem zuzuschieben. Sie verweist fast süffisant auf die 15% rechter Stimmen in Bremerhaven-Leherheide. Und die Süddeutsche erinnert an einige Gegenden in Niederbayern mit gleichsam „sächsischen“ Ergebnissen. Dort ist der Anteil Fremder gering, wobei dies wiederum nicht die oft kolportierte Behauptung rechtfertigt, Rassismus blühe, wo keine persönlichen Erfahrungen mit Zuwanderung existieren; die Menschen, die in Düsseldorf-Marxloh zu 30% Prozent rechts gewählt haben, dürften über persönliche Kontakte mit Nicht-Deutschen verfügen. Interessant jedoch, wie Hellwig dieses Ergebnis kommentiert: Es spreche dafür, dass viele durch Merkels Flüchtlingspolitik „überfordert“ seien. Wieder so ein verräterischer Begriff, kaum überhörbar die pädagogischen Konnotationen. Ein politisches Urteil, das im Wahlakt gefällt wurde, wird zum psychologischer Zustand verharmlost, der zugehörige Mensch zum Objekt seiner eigenen Schwäche entmündigt. Implizit steckt darin das Verständnis für die kindlichen Gemüter, denen einfach zu viele Fremde zugemutet wurden.

Bildungsfern?

Von Bildungsferne ist die Rede, obwohl die parlamentarische Repräsentation der Partei mehrheitlich aus Leuten mit Schulabschüssen der höheren Art besteht. Allen voran das Führungsduo, eine Bankerin und ein Jurist; der radikale völkische Flügel wird durch einen Geschichtslehrer vertreten; ausgetreten als angeblich moderate Vertreterin eine Chemikerin mit Einserschnitt. Jedenfalls rekrutiert sich das höhere Führungspersonal der Partei aus den bundesdeutschen Funktonseliten und lässt sich nicht - bequem - auf die sogenannte Unterschicht reduzieren, die ja seit dem ideologischen Umschwung im Kontext der Agenda 2010 an allem schuld sein soll, nicht zuletzt an ihrer eigenen Armut bzw. Arbeitslosigkeit. Formale Bildung hat sich ja schon im Dritten Reich mit ideologischer Verdummung gut vertragen, siehe Martin Heidegger. Für einen Abschluss an einer deutschen Hochschule hat es bei der AfD in der Regel gereicht.

Soziale Unzufriedenheit?!

Eine Mehrheit unter den Sympathisierenden der Partei bekundet in Umfragen, sie sei persönlich nicht von Arbeitslosigkeit und Prekarisierung betroffen. Vorschnell wäre es wiederum, von dieser Tatsache darauf zu schließen, die Unzufriedenheit mit der eigenen gesellschaftlichen Lage kürze sich bei der Analyse des Rechtsrucks heraus – und das nicht nur, weil in vielen armen Gegenden die Wahlergebnisse der AfD überdurchschnittlich sind. Schon Adorno wies darauf hin, dass der Einzelne in der bürgerlichen Gesellschaft nicht unbedingt persönlich von krisenhaften ökonomischen Umwälzungen betroffen sein muß, um deren Omnipräsenz zu spüren: „Noch inmitten der Prosperität, selbst während des temporären Mangels an Arbeitskräften fühlt insgeheim wahrscheinlich die Mehrheit der Menschen sich als potentielle Arbeitslose, Empfänger von Wohltaten und eben damit erst recht als Objekte, nicht als Subjekte der Gesellschaft: das ist der überaus legitime und vernünftige Grund ihres Mißbehagens. Daß es im gegebenen Augenblick nach rückwärts gestaut und für die Erneuerung des Unheils mißbraucht werden kann, ist offenbar.“

Eingebürgert hat sich dafür gerade unter kritischen Geistern die Vorstellung vom fehlgeleiteten Protest. Sie hat ein Moment von Wahrheit darin, dass Unzufriedenheit mit prekären Verhältnissen nach deren Ursachen zu suchen hätte: Und die liegen sicher nicht in der Präsenz von Zugewanderten. Wut wird also in gewisser Weise umgelenkt. Andererseits schwingt ein Hauch von Entschuldigung mit, wenn das, was im Kopf der Betreffenden vorgeht, plump als Prozess der Manipulation genommen wird. Offenbar haben diese sich von einer nationalistischen Deutung ihrer sozialen Erfahrungen überzeugen lasse

Nationalismus!?

Zugrunde liegt das Schema einer homogenen '“Volksgemeinschaft“, in der alle ethnisch Zugehörigen aufgehoben wären, sofern nicht Störungen vorlägen, die dann ja nur von außen kommen können. Dies Schema macht alles Fremde potentiell verdächtig und gibt so die Perspektive vor. Wer suchet, der findet: Preissteigerungen am Wohnungsmarkt zum Beispiel kommen nicht etwa von Spekulation und unterlassenem Wohnungsbau, sondern von Migration. In diesem Akt der Schuldzuweisung wird jedoch vom Grund der eigenen Unzufriedenheit zugleich abgerückt; wer sich beklagt, Fremde nähmen Deutschen die Wohnungen (oder Arbeitsplätze) weg, hat anscheinend nichts gegen die Konkurrenz um Ressourcen, sofern sie zwischen Deutschen stattfindet. Geurteilt wird gewissermaßen über die nationale Berechtigung, überhaupt am Kampf um knappen Wohnraum und anderes teilnehmen zu dürfen, und zumindest die für fremd Erklärten sollen davon ausgeschlossen sein. Der befriedigte Hass auf die Nicht-Zugehörigen entschädigt ideell für die eigenen Abstiegsängste, während das Geschacher um Wohnraum oder die Streichung bezahlter Arbeit fröhlich weitergeht.

Oder nur verrückt?

Letztendlich liegt im Ausgangspunkt soziale Unzufriedenheit vor, die dann nationalistisch instrumentalisiert wird. Doch damit hört sie im Grunde auf, wie auch immer verbogene Artikulation benachteiligter Interessen zu sein: Das konstruierte nationale Kollektiv wird zum Dreh- und Angelpunkt allen Urteilens, so dass im Kopf neue Problemlagen erdacht werden, die mit materiellen Schäden nichts mehr zu tun haben. Von solchen Problemen sind rechte Foren voll. Da fantasiert der eine von Burkinis, die ihn im Schwimmbad bedrohen, ein anderer beklagt den Verfall deutscher Tugenden. Die Vergangenheitsbewältigung ist bleibender Stein des Anstoßes. Und so weiter. Diese zugegeben verrückte Dimension des Nationalismus wird in der Debatte benutzt, um dessen vermeintlich völlige Irrationalität zu demonstrieren und jeglichen Zusammenhang mit gesellschaftlich begründeter Sorge um Arbeit und Lebensperspektiven zu bestreiten.

Versuch eines Fazits

Doch die durchaus berechtigte Angst vor sozialem Abstieg ist eben der Nährboden für das nationalistische Bewusstsein der abgehobenen Art. Denn ohne die Stimmen aus den „strukturschwachen“ Gebieten wären Gauland und Konsorten auch nicht da, wo sie heute sind. Dazwischen stehen freilich ideologische Transformationen, die nicht einfach durch mehr Sozialwohnungen oder Arbeitsplätze wieder aus den Köpfen verschwinden. Abgesehen davon gibt es nur einen vernünftigen Grund, mehr Wohnungen zu bauen, nämlich damit Menschen ein Dach über dem Kopf haben. Wo sie gebaut würden, um Rechtsextremismus zu bekämpfen, wäre bereits etwas schief. Und die ideologische Verblendung in den Köpfen wird, wenn überhaupt, nicht durch Wohnungen, sondern Argumente aufgelöst.