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Arbeitskraft voll erhalten

Anfang der 90er Jahre hatte die E&W ein Heft zu den Aufgaben und Tätigkeiten von Lehrkräften herausgegeben:

Der Beruf der Lehrerin und des Lehrers besteht ja eigentlich aus mehreren Berufen: zunächst das Unterrichten, das Wissen übermitteln soll, dann die Moderation, also im Unterricht Diskussionen und Fachgespräche einleiten und strukturieren. Dabei ist die Lehrkraft auch gleichzeitig noch Jury, die die einzelnen „Mitspieler“ (Schülerinnen und Schüler) bewerten soll und zwar gerecht (Was ist das eigentlich?). Diesen Teil ihres Berufes übt sie allein im Unterricht aus. Aber daneben und danach ist die Lehrerin/ der Lehrer auch in der Sozialarbeit tätig in den Pausen, im Kontakt mit den Eltern, bei Streitschlichtung, persönlichen Ängsten und vielem mehr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ihr merkt schon, worauf ich hinaus möchte: Arbeitshetze und Stress bei gleichbleibender Verantwortung für die gute Qualität unserer Arbeit.
Wir sind in den vergangenen Jahren regelmäßig beglückt worden von Bildungssenatorinnen und -senatoren, die unsere Arbeit abgewertet haben (Henning Scherf: Arbeitsplätze müssen erst geschaffen werden, dann kommt die Bildung) oder die Arbeitszeit ausgeweitet haben (Stundenerhöhung durch Bringfriede Kahrs und Willy Lemke). Dass das Gehalt dabei gekürzt wurde, ist fast zur Nebensache geworden. Der letzte Clou ist die Arbeitsverdichtung durch die Einrichtung der neuen Oberschule, die trotz erstmaliger flächendeckender Entlastungsstunden so groß ist, dass sie weiterhin in großen Teilen nebenbei umgesetzt werden muss. Keiner der Senatoren und Senatorinnen hat uns dabei jemals gesagt, wie wir unsere Arbeit bewältigen sollen. „Überraschen Sie uns doch mal!“ ist ein gern gesagter Satz.
Unsere vorrangige Verantwortung muss daher der Erhaltung unserer Arbeitskraft gelten, denn die Lebensarbeitszeit ist ebenfalls verlängert worden. (Verglichen mit den Milchkühen in der Landwirtschaft: Der Biobauer setzt auf die Lebensleistung seiner Kühe, der konventionelle Bauer setzt auf die Jahresleistung. Wenn sie nichts mehr bringt, wandert die Kuh in den Kochtopf).
Neben unseren Forderungen, die immer wieder in Demonstrationen und Streiks veröffentlicht wurden und werden müssen, haben wir schon über lange Jahre die Instrumente des Arbeitsschutzgesetzes gegenüber dem Arbeitgeber eingesetzt.
Dabei ist der Arbeitgeber partiell durchaus willig, denn der Lärmschutz, der viel zum Stressabbau beiträgt, wird inzwischen an den Schulen umgesetzt.
Auch baulichen (Schimmel, Schadstoffe) und technischen (veraltete Geräte) Mängeln wird in der Regel ernsthaft nachgegangen.

Dem Thema Arbeitsverdichtung und den dadurch entstehenden Belastungen wollten wir schon im letzten Jahr zu Leibe rücken. Dezernent, Schulamt und Personalrat waren erstmals einhellig der Meinung, dass die Gefährdungsanalyse zu den psychischen Belastungen umgesetzt werden muss. Die Ironie der Situation, die zur Verzögerung des Beginns der Gefährdungsanalyse geführt hat, ist nicht zu überbieten. Das Schulamt ist personell so unterbesetzt, dass es den Verwaltungsaufwand nicht bewältigen kann, den eine Gefährdungsanalyse an den Schulen mit sich bringt. So müssen dann bis zum Abschluss der Gefährdungsanalyse immer noch viele Steine aus dem Weg geräumt werden.
Und es ist klar, dass der Personalrat sich nicht mit Verhaltenspräventionen abspeisen lassen wird. Tanzkurse und autogenes Training sind wichtig, aber sie taugen nichts, wenn sich an den Verhältnissen nichts ändert.
In dem Sinne wollen wir tätig werden!
(Julia Diedrich)