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Ansprüche und Kontroversen

Neben anderen wichtigen Themen hat sich der Bundesgewerkschaftstag 2013 mit der zukünftigen Lehrer/innen-(Aus-)Bildung befasst. Gab es schon in den vorbereitenden Sitzungen des Hauptvorstandes einen unübersehbaren Diskussionsbedarf, so erscheint die beschlossene Einrichtung eines „Zukunftsforums“ als echte Chance. Aber: Die Zeit drängt. Nicht zuletzt novellierte Schulgesetze und der Fortschritt pädagogischer Wissenschaften stellen Anforderungen an die Lehrkräfte. Die Erwartungen an die GEW sind berechtigterweise hoch, eine klare Orientierung zu formulieren. Dies gilt für die Bundesorganisation ebenso wie für die Landesverbände.

Die Ausgangslage

Lehrerbildung zwischen der Inklusion als Menschenrecht, integrierten Systemen als richtiger Perspektive für die Praxis - und 16 verschiedenen Ausprägungen, junge Menschen auf diesen Beruf vorzubereiten.
Wer Spaß daran hat, dem Föderalismus anhand eines wirkungsvollen Beispiels so richtig auf die Schliche zu kommen, dem sei die GEW-Dokumentation „Lehrer_innenbildung in Deutschland“ empfohlen. Auf etwas mehr als 70 Seiten zerlegen Maik Walm und Doris Wittek das bundesrepublikanische Modell der Qualifizierung von Lehrkräften. Sie analysieren phasenspezifisch das Studium, den Vorbereitungsdienst sowie die Fort- und Weiterbildung und betrachten phasenübergreifend unter anderem den Umgang mit Heterogenität. Hat man sich auf diesem Wege vertraut gemacht mit den sechs verschiedenen Lehramtstypen und deren Verteilung über das Bundesgebiet, einen Einblick gewonnen in die unterschiedliche zeitliche Dauer des Studiums und des Referendariats oder Hinweise erhalten über die bundesweit eher zaghaften Versuche, eine Berufseingangsphase zu etablieren, schließlich Prüfungsanforderungen in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur Kenntnis genommen, so stößt man ganz am Ende der Studie auf eine nicht ganz unerwartete, aber doch ernüchternde Feststellung. Lehrer_innenbildung habe zwar „Bewegung erzeugt und erlitten“, so schreiben die AutorInnen, „ohne sich (allerdings) grundsätzlich neu zu orientieren“ (Walm, Wittek 2013, S. 66). Dieses Fazit muss eine Bildungsgewerkschaft herausfordern. Und so legt der Bundesgewerkschaftstag eine Beschlusslage vor, welche die Lehrer_innenbildung als Ganzes betrachtet und wichtige Prinzipien herausarbeitet.

Der Bundesgewerkschaftstag fordert:

Die Lehrer_innenbildung ist auf der Grundlage unserer schulpolitischen Positionen als ganzheitlicher, institutionenübergreifender Prozess zu verstehen und zu organisieren.
Mit der Zielformulierung des erwähnten Zukunftsforums wird die Lösungsidee eingeführt: „ ... vor dem Hintergrund der Forderung nach einer Schule für Alle (sind) konkrete, innovative Leitlinien zu einer inklusiven, länder- und phasenübergreifenden Lehrer_innenbildung unter der Perspektive einer langfristig zu realisierenden gemeinsamen Pädagog_innenbildung zu formulieren.“
Unterhalb dieser allgemeinen Aussage, die Grundpositionen der GEW aufnimmt, erschließt sich die Komplexität (ggf. auch die Brisanz) dieses Vorhabens erst durch die anschließenden Konkretisierungen. Dass die folgenden Punkte eine Auswahl darstellen, versteht sich, (bundes-)gewerkschaftliche Grundsatzbeschlüsse sind in der Regel umfangreicher als BLZ-Artikel.

Grundsätze

Der Kern der Inhalte der Lehrer_innenbildung ist ein umfassendes Verständnis von inklusiver Bildung. Die zentrale Herausforderung liegt in der Ausrichtung der einzelnen Phasen im Sinne einer praxisorientierten Theorie und theoriegeleiteten Praxis, wobei den Übergängen zwischen den Phasen besondere Aufmerksamkeit gebührt. Die angehenden Lehrkräfte sollen selbstbestimmt und forschend lernen. Im Weiteren wird die Bedeutung eines professionellen Selbstkonzepts, die Erhöhung des Umfangs der Bildungswissenschaften, die Kenntnisvermittlung über gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen und der Stellenwert fächerübergreifender, fächerverbindender und projektbezogener Lernformen unterstrichen.

Reform an den Hochschulen

Die GEW fordert eine bedarfs- und nachfragegerechte Anpassung der Anzahl der Studienplätze in der Lehrer_innenausbildung („freie Berufswahl“), lehnt eine Auswahl der Studienbewerber durch die Hochschulen ab („Recht auf freien Hochschulzugang“) und insistiert auf das Recht auf ein Masterstudium ohne Wartezeiten. Die Studiendauer soll einheitlich 10 Semester betragen, die Ausbildung sich nicht mehr an Schulformen, sondern an Schulstufen orientieren und das Kerncurriculum ist perspektivisch zu einer gemeinsamen Pädagog_innenbildung weiterzuentwickeln. Die GEW problematisiert in diesem Zusammenhang „Exzellenzinitiativen“ und mahnt dagegen eine Verbesserung der Qualität der Lehre und Studienbedingungen in der Fläche an. Inhaltlich legt sie den Akzent auf eine bessere Verzahnung von fach-, bildungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Anteilen sowie die Beibehaltung der allgemeinen Erziehungswissenschaft.

Weiterentwicklung von Vorbereitungsdienst und Berufseinstieg

Neben der Forderung nach einem einheitlichen Zugang zum Vorbereitungsdienst in allen Bundesländern und der bedingungslosen Anerkennung aller Abschlüsse zwischen ihnen äußert sich der Beschluss auch zur Durchführung des Referendariats. Im Zentrum steht die Ablehnung des bedarfsdeckenden Unterrichts. Dagegen setzt die GEW eine Einführungsphase mit Hospitationen und einen Hauptteil mit begleitetem und eigenverantwortlichem Unterricht, dessen Umfang die Auszubildenden im Rahmen einer Bandbreite selber bestimmen. Für die Berufseinstiegsphase sollen Stundenentlastungen sowie überfachliche, externe Beratungen und Supervision eingeführt werden. Das Recht auf Fortbildung wird für die Ausbilder (Seminarleiter, Mentoren) reklamiert.

Fortbildung von Lehrer_innen

Die GEW betont die staatliche Verantwortung dieser Aufgabe und die Beteiligung der Lehrkräfte und ihrer Vertretungen an der Programmentwicklung. Auch an dieser Stelle wird Wirksamkeit eingefordert (längerer Zeitraum, Wechsel von Praxis- und Reflexionsphasen) und auf die Bedingungen verwiesen (angeordnete Fortbildungen müssen kostenfrei sein, während der Dienstzeit stattfinden und die Pflicht zu Fortbildung setzt entsprechende Angebote voraus).
In seinem abschließenden Abschnitt widmet sich die Positionsbestimmung sogenannten „Statusfragen“. Dabei geht es im Wesentlichen um´s Geld. Die Kernforderungen lauten: A 13 / E 13 für alle, gleiche materielle Bedingungen im Referendariat, deutliche Erhöhung der Anwärterbezüge und eine angemessene Vergütung während der Praxissemester.
Soweit die bundesweite Aktenlage; die Richtung der angestrebten Veränderungen steht damit.

Entwicklungen und Widersprüche im eigenen Bundesland:

Auch die GEW Bremen braucht ein eigenes Zukunftsforum.
Nimmt man auch nur einzelne Stichpunkte des Bundesbeschlusses auf, so liegt eine Initiative zu Gunsten eines Zukunftsforums für Bremen und Bremerhaven nahezu auf der Hand.
Schon mit Blick auf die Universität haben wir:

  • uns wiederholt zu dem ursprünglichen Projektstudium der „roten Kaderschmiede“ bekannt, in Inhalt (Hervorhebung der gesellschaftspolitischen Dimension) und Form (Gleichwertigkeit im Stufensystem). Zu Recht haben wir die Restaurierung unter Bildungssenator Lemke kritisiert (alte Lehrämter, Abwertung von Primar- und Sekundarschule);
  • die Exzellenzorientierung problematisiert, insbesondere, da im gleichen Atemzug Studiengänge für das Lehramt geschlossen wurden;
  • die anstehende Erfindung eines neuen bremischen Lehramtes für die Sekundarstufen zur Kenntnis genommen, zu dem erst einmal viele Fragen einzubringen sind (pädagogisches Konzept über acht bzw. neun Jahrgänge, Wirksamkeit der neuen Praktikumsstruktur)


Im Referendariat

  • existiert weiterhin die „historische Konstante“ der viel zu geringen Bezahlung der Auszubildenden (die KollegInnen erhalten derzeit zwischen 1.100 und 1.200 € brutto);
  • sind Fehlentwicklungen unübersehbar: die Referendar_innen geben weiterhin zwei Stunden bedarfsdeckenden Unterricht mehr, damit sich ihre Mentoren der Ausbildung widmen können; sie werden durch den Mangel an Ressourcen an mancher Schule zu Aufgaben herangezogen, die nicht der Ausbildung, wohl aber dem „Überleben“ der Schule dienen;
  • erwartet man von so manchem Mentor bei diversen Aufgaben die selbstlose Haltung der Ehrenamtlichkeit;
  • erweist sich der unter dem Label einer höheren Praxisorientierung vor einigen Jahren in der Ausbildung erfolgte Abbau der LIS-Kapazitäten als Maßnahme, die Qualitätsverlust und Arbeitsverdichtung provoziert.

Den Berufseinstieg

  • als echten Praxisschock gab es den Chronisten zu Folge „schon immer“. Nur dadurch wird die Situation nicht besser.
  • Nehmen wir die Gesundheit ernst, geht es nicht nur um individuelle Strategien, sondern um schonende Strukturen – und dabei kommt es auch sehr wohl „auf den Anfang an“
  • Dann die Bezahlung. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Geld tatsächlich zählt; ganz schlicht materiell und als Wertschätzung. Das wissen auch die Grund- und Sekundarschullehrer/innen, vom ersten Berufsjahr an.


Die Fortbildung reiht sich ein. Niemand glaubt mehr, nach der zweiten Prüfung mit dem eigenen Lernen für die eigene Profession abgeschlossen zu haben.

Die Verständigung über diese beispielhaft angerissenen Gesichtspunkte liegt vor uns. Wir haben als GEW die komfortable Situation, in allen Phasen der Lehrer_innenausbildung gut organisiert zu sein. Wir sollten diese Chance nutzen. Eine Diskussion über die notwendige Konkretisierung von Positionen und die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in (gewerkschafts-) politisches Handeln ist geboten. Auch das hat etwas mit einer sinnvollen Theorie-Praxis-Verknüpfung zu tun.

 

Hintergrundinformationen

Die Kultusministerkonferenz hat kürzlich eine aktualisierte Prognose des Lehrkräftebedarfs bis 2025 veröffentlicht. Hiernach gibt es perspektivisch in den allgemeinbildenden Fächern der Sekundarstufe II ein »Überangebot « (also drohende Arbeitslosigkeit), während in den beruflichen Fächern und der Sonderpädagogik
weiterhin Mangel herrschen wird. In den ostdeutschen Ländern wird eine dauerhafte Mangelsituation erwartet. Allerdings beruht diese Prognose auf den Selbsteinschätzungen der Kultusministerien, d.h. die gegenwärtige überhöhte Pflichtstundenzahl, die mangelnde Ausstattung von Reformprojekten und die
unzureichenden Vertretungsreserven gehen in die Definition des Bedarfs ein.
Eine ausführliche Kritik von Nils Kammrath ist in der E&W 9/2013, S. 27-29 nachzulesen.

Der »Aktionplan Lehrer_innenbildung« kann von der Homepage des GEW-Hauptvorstandes(Gewerkschaftstag-Beschlüsse) heruntergeladen werden.