Zum Inhalt springen

70 Jahre GEW | 190 Jahre Bremer Lehrervereine | Teil 7

Repression, Anpassung und Kriegselend | Die Bremer Lehrerinnen und Lehrer unter der Nazi-Diktatur

Lager der Kinderlandverschickung im Pinzgau (Österreich). Der Lehrer (im Vordergrund) war Paul Goosmann, der spätere erste Bremer GEW-Vorsitzende. Er war 1933 aus politischen Gründen entlassen worden, wurde aber 1940 wegen des Mangels an Lehrkräften wieder eingestellt.

Das Jahr 1933
Am 13. März 1933 wurde der Bremer Bildungssenator Spitta durch den „Reichskommissar“ von Hoff ersetzt, einen Bremer Lehrer der Oberrealschule, der Mitglied der NSDAP war. Bereits am 15. März wurden die ersten kommunistischen und sozialdemokratischen Lehrer vom Dienst suspendiert. Es folgte eine Phase von Entlassungen und Versetzungen. Dabei sorgten die neuen Machthaber dafür, dass die wenigen NSDAP- Mitglieder unter den Lehrern (1932 waren es 52 von ca. 1800 gewesen) auf möglichst viele Schulen verteilt wurden, um dort die Funktion von Wächtern und Denunzianten zu übernehmen.

Verhaftungen und Aufmärsche in der Stadt erzeugten ein Klima der Repression und Anpassung. Im April wurde eine „Säuberung“ der Schulbibliotheken verfügt, Ende Juli wurden die Lehrkräfte zum Hitlergruß verpflichtet. Häufig mussten die Klassen zu Gedenkfeiern, Massenveranstaltungen und Filmvorführungen antreten. Zugleich begannen umfangreiche „Schulungen“ durch den Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB), der die Zeitschrift „Der Erzieher zwischen Weser und Ems“ herausgab. Die Schulung hatte zwei Schwerpunkte: Rassismus und Kriegsvorbereitung. Der neue Bildungssenator hielt vor herbeizitierter LehrerInnenschaft einen rassenkundlichen Grundsatzvortrag. (Diese Tradition setzte er jährlich fort, der letzte fand im Februar 1945 statt.) Wochenlehrgänge in „Schulungslagern“ behandelten u.a. Vererbungslehre und germanische Frühgeschichte. In den Kollegien wurden u.a. Vorträge über Hitlers „Mein Kampf“, deutsche Ostkolonisation, deutsche Kolonien, Flugmodellbau und Wehrsport gehalten. Der Sportunterricht der Jungen wurde auf „Kampfspiele“, „Wehr- und Geländeübungen“ ausgerichtet. Es wurde ein klares frauenfeindliches Rollenbild vermittelt. Alle noch im Dienst befindlichen verheirateten Lehrerinnen wurden entlassen.

Die Ausrichtung der Schule auf den NS-Staat
Die Umorganisation der Schulen begann mit der Abschaffung der Schulleiterwahl. Den Lehrkräften wurde das Recht entzogen, ihre Personalakte einzusehen. Gleichzeitig begann man, dort die Organisationszugehörigkeit einzutragen. Der Übertritt vom Bremischen Lehrerverein in den NSLB musste individuell erfolgen. 1936 waren noch 46 Lehrkräfte nicht eingetreten. Die Mitgliederzahl der Partei war bis zum Aufnahmestopp im April 1933 auf 133 angestiegen. Die meisten Lehrkräfte traten unter dem bestehenden Druck in eine „anerkannte“ gleichgeschaltete Organisation ein, wie den „Volksbund für das Deutschtum im Ausland“, den „Reichsluftschutzbund“ oder die „NS-Volksfürsorge“. Alle Turnlehrer wurden verpflichtet, in die SA einzutreten.

Ein völlig neuer dominanter Faktor im Schulleben war die Hitlerjugend. Der bisher schulpflichtige Samstag wurde zum „Staatsjugendtag“ erklärt, der der HJ und dem „Bund Deutscher Mädel“ gehörte. HJ-Veranstaltungen während der Unterrichtszeit nahmen zu, z.B. die Sonnenwendfeier im Weser-Stadion, Gemeinschaftsempfänge von Radiosendungen, der Besuch von Ausstellungen wie „Der ewige Jude“ (ab Klasse 8) und „Weltfeind Nr. 1, der Bolschewismus“.

Mit den Nürnberger Gesetzen verschärfte sich die Diskriminierung jüdischer SchülerInnen.1935 wurde verfügt, „nichtarische Schüler“ in einer besonderen Schule zusammenzufassen. Aufgrund der geringen Zahl von 69 SchülerInnen wurde dies zunächst nicht realisiert. Erst später wurden sie aus den Schulen verwiesen und im „Judenhaus“ in der Kohlhökerstraße notdürftig unterrichtet. 1941 wurden sie zusammen mit den Erwachsenen deportiert. Ebenfalls 1935 erschien ein detaillierter Erlass, welche Kinder zur „Hilfsschule“ zu schicken seien. Ihnen drohte die Sterilisation.

Sehr früh begann die systematische Kriegsvorbereitung. 1933 wurde Trauerbeflaggung zum Jahrestag des Versailler Vertrages angeordnet und eine „Rüstungskarte Europas“ herausgegeben, ab 1934 gab es „Verdunklungsübungen“ und der „Heldentod“ wurde zum Thema des Deutschunterrichts gemacht.

1937 änderte die NSDAP ihre Aufnahmepolitik. Jetzt wurde die Parteimitgliedschaft der Beamten gefordert. Die Zahl der eingetretenen Lehrkräfte erhöhte sich auf 633.

Charakteristisch für die NS-Diktatur ist die Verschlechterung der LehrerInnenbildung. Das in Teilen des Reiches durchgesetzte Universitätsstudium der VolksschullehrerInnen wurde wieder abgeschafft. Die Ausbildung wurde auf zwei Jahre verkürzt und fand in „Hochschulen für Lehrerbildung“ statt. 1941 kehrte man mit den „Lehrerbildungsanstalten“ zu einer fünfjährigen seminaristischen Ausbildung zurück. Die LBA's lagen oft abgelegen von den großen Städten. Voraussetzung für die Aufnahme war ein Führungszeugnis der HJ.

Krieg und „Kinderlandverschickung“
Nach dem Überfall auf Polen wurden die ersten Lehrkräfte zur Wehrmacht eingezogen, etwa zwei bis drei pro Schule, an erster Stelle die jungen Hilfslehrer. Um dem Lehrermangel zu begegnen, wurden die verheirateten Lehrerinnen und die vom Berufsverbot Betroffenen zum Teil als „Kriegshilfsangestellte“ wieder beschäftigt. Es mehrten sich verbindliche Sammelaktionen, Ernteeinsätze und nach den ersten Bombenangriffen im Mai 1940 Luftschutzwachen in den Schulgebäuden.

Im Januar 1941 begann wegen des Bombenkrieges die „Kinderlandverschickung“ (KLV), zunächst auf freiwilliger Basis. Die überwiegend zehn- bis vierzehnjährigen Kinder und Jugendlichen wurden in Österreich und Oberbayern in Sammelunterkünften untergebracht. Die „Lager“ unterstanden der Leitung von LehrerInnen, die sich in ausreichender Zahl hierfür gemeldet hatten. Sie erteilten dort Unterricht und organisierten das Gemeinschaftsleben. Oft waren daran die Ehefrauen von Lehrern maßgeblich beteiligt. Die HJ ernannte jeweils „Lagermannschaftsführer“, mit denen es zuweilen zu Konflikten kam. Nach Zunahme der Bombenangriffe wurde aus der freiwilligen KLV im August 1943 eine fast vollständige Evakuierung. Neue KLV-Lager wurden in Sachsen eingerichtet.

Für die wenigen zurück gebliebenen Kinder (u.a. wegen Krankheit) wurden „Sammelschulen“ eingerichtet. Ausgenommen von der KLV waren die Oberklassen der höheren Schulen, die zunehmend als Flakhelfer und als Wehrmachtshelferinnen eingesetzt wurden. Viele leerstehende nicht zerstörte Schulen wurden zu Obdachlosensammelstellen oder Zwangsarbeiterlager.

Im Februar 1945 wurden die KLV-Lager in Sachsen wegen der sich nähernden Ostfront aufgelöst. Die Rückführung nach Bremen fand in Zügen statt, die ständig durch Bombenangriffe bedroht waren. Ab Ende Februar fand in den verbliebenen Schulgebäuden wieder notdürftig Unterricht statt. Lehrer mussten im Volkssturm an Schanzarbeiten teilnehmen. Schließlich wurde Bremen am 25./26. April militärisch erobert, da die militärische Führung sich den Alliierten nicht ergab. Die Bevölkerung verbrachte die letzten Tage in den Bunkern. Während der Eroberung Bremens kam auch der NS-Bildungssenator von Hoff ums Leben.

Überleben und Widerstand unter den NS-Diktatur
Diejenigen Lehrkräfte, die 1933 ohne Pension entlassen worden waren, hatten ihre materielle Existenz verloren. Andere erhielten geringe Pensionen. Alle mussten einen neuen Lebensunterhalt finden. Der bisherige Schulleiter der Helgolander Straße, F. Aevermann, betrieb zusammen mit C. Paulmann eine Kohlen-Handlung. P. Goosmann, der spätere GEW-Vorsitzende, lieferte Waren für das Reformhaus Lichte aus und wurde von nahestehenden Kollegen unterstützt, die der Entlassung entgangen waren, wie dem Versuchsschullehrer und Kinderbuchautoren C. Dantz. Einige gaben Privatunterricht, wie der Kommunist und Chorleiter H. Böse.

Auch unter den nicht entlassenen Lehrkräften gab es widerständiges Verhalten. Hier ist besonders ein Kreis von Lehrerinnen aus der Stephani-Gemeinde zu nennen, die jüdische Kinder vor ihrer Deportation betreuten, deswegen angezeigt wurden und nur knapp einer Verhaftung und Entlassung entgingen. Sie wurden mit einer Gehaltskürzung bestraft.

Über organisierten Widerstand ist wenig bekannt. Über R. Argus, vor 1933 aktives BLV-Mitglied und Bürgerschaftsabgeordneter der KPD, der bereits 1933 in die SA eintrat, wurde von Zeitzeugen gemutmaßt, dass sein Eintritt im Auftrag der illegalen KPD erfolgte. Der einzige bekannte Vertreter des organisierten Widerstandes war H. Böse. Er hatte Kontakte zur Hamburger KPD-Widerstandsgruppe und zur Berliner Gruppe von A. Harnack/H. Schulze-Boysen („Rote Kapelle“). 1943 wurde er im Alter von 73 Jahren verhaftet und in das KZ Mißler deportiert. Er starb zwei Tage nach seiner Entlassung. Die Schule, an der er Musiklehrer war, ist heute nach ihm benannt.