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70 Jahre GEW - 190 Jahre Bremer Lehrervereine, Teil 2: Die Lehrervereine in der Revolution von 1848

Der Verein „Euphrosyne"
Im Jahre 1837 wurde parallel zum Kleinen Lehrerverein in Bremen eine zweite Lehrergesellschaft gegründet. Sie nannte sich Euphrosyne, nach einer Botschafterin des Frohsinns in der griechischen Mythologie. Auch dieser Verein bestand vorwiegend aus Lehrern der niederen Schulen, es waren aber auch einige an Bildungsfragen interessierte Geschäftsleute dabei. Man traf sich zweiwöchentlich im Hause des Präses. Jedes Mitglied hatte in festgesetzter Reihenfolge die Pflicht zu einem Vortrag, danach stellte der Präses die Diskussionsfragen.
Im Unterschied zum Kleinen Lehrerverein spielten hier die methodischen Fragen der praktischen Schularbeit eine untergeordnete Rolle. Vorrangige Themen waren der Bildungsbegriff, Grundfragen der Politik (Staat, Demokratie, Freiheitsbegriff) und schulpolitische Ziele. Ein Grundanliegen der Teilnehmer war dabei die Zurückdrängung des Einflusses der Kirche im Schulbereich. Man orientierte sich an den Ideen der Aufklärung und strebte ein staatliches Schulwesen an. Die Mitglieder der Euphrosyne verwendeten damals schon den Begriff der Volksschule (die es offiziell noch gar nicht gab) als Ziel einer Schulreform. Sie sollte für alle Kinder „die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten" gewährleisten. Dabei sollten „die Lehranstalten für die mittleren und ärmern Volksclassen wenigstens eine gleiche Behandlung in pecuniairer Hinsicht erhalten, wie die der vermögenden". 1846 erschien die anonyme Broschüre „Das Volksschulwesen, insbesondere das Bremische", die vom Verein positiv aufgenommen wurde. Darin werden die allgemeine, durch Steuern unterhaltene Staatsschule, die Anhebung der Lehrergehälter und ein „zweckmäßiges Schullehrerseminar" gefordert.

Der Kampf um ein Schulgesetz
Der Senat hatte zwar 1844 die allgemeine Schulpflicht verkündet (im Vergleich zu den meisten Staaten des Deutschen Bundes sehr spät), aber nichts für eine bessere Ausstattung getan. Der Reformbedarf wurde immer offensichtlicher. Zusammen mit den demokratischen Forderungen nach Pressefreiheit, freien und allgemeinen Wahlen, Trennung von Justiz und Verwaltung und Öffentlichkeit der Gerichts- und Parlamentsverhandlungen war deshalb die Schulreform eines der wichtigsten Themen, als 1848 unter dem Eindruck der Februarrevolution in Paris auch in Bremen viele Bürger sich vor dem Rathaus versammelten und die Annahme ihrer am 7. März im Bürgerverein beschlossenen Forderungen verlangten. Die Euphrosyne-Mitglieder C. Feldmann und A. Kotzenberg hatten die Petition formuliert, die an den Senat überreicht wurde.
Aufgrund der überall vorhandenen revolutionären Stimmung, die in anderen Teilen des Deutschen Bundes bald zu Barrikadenkämpfen führen sollte, wich der Senat schnell zurück und verkündete bereits am 21. März eine neue Wahlordnung, die alle Männer ab 25 Jahren, die das Bürgerrecht besaßen, zur Wahl zuließ. Am 19. April konstituierte sich eine neue Bürgerschaft, die bis Ende des Jahres eine Verfassung ausarbeitete. Schließlich wurde im April 1849 eine Bürgerschaft aufgrund der neuen Verfassung gewählt. Deren Präsident wurde der Euphrosyne-Mitbegründer C. Feldmann. Wenig später wurde er als einziger Vertreter des Bürgervereins Senator. Die Bürgerschaft setzte eine Schuldeputation ein, der vier weitere Euphrosyne-Mitglieder angehörten.
Im Januar 1850 legte die Schuldeputation „Vorschläge über die künftige Organisation des Volksschulwesens" vor. Dieser von A. Kotzenberg und dem Senatsvertreter J.D. Noltenius unterzeichnete Entwurf wurde zum Gegenstand eines 1 1/2-jährigen parlamentarischen und außerparlamentarischen Streits, obwohl er bereits starke Abstriche von der Programmatik der Euphrosyne enthielt. So wurde das Schulgeld, und damit die diskriminierende Unterscheidung in entgeltliche und unentgeltliche Schulen, beibehalten. Die Kirchspielschulen sollten nicht verstaatlicht, sondern nur einer staatlichen Kontrolle unterstellt werden. Geplant waren eine allmählich Ausdehnung des staatlichen Anteils am Schulwesen, eine Auflösung der Klippschulen und die Einrichtung eines Lehrerseminars. Aber selbst dieser Versuch, die staatliche Volksschule nach und nach durchzusetzen, stieß auf den erbitterten Widerstand der Kirchengemeinden und des Senats (bei den einen durch die Angst vor Einflussverlust, beim anderen finanzpolitisch motiviert). 1851 einigte sich der Demokratenführer Pastor Dulon über den Kopf der Schulreformer hinweg mit dem Senat auf einen Kompromiss, der lediglich den Ausbau einiger Freischulen vorsah.
Während dieser Auseinandersetzungen um ein Schulgesetz wurden die Versammlungen des Vereins Euphrosyne immer kürzer und trugen meist den Charakter einer Vor- und Nachbereitung der Sitzungen von Bürgerschaft und Schuldeputation. Der kleine Lehrerverein von 1826 tagte weiter kontinuierlich, beschränkte sich jedoch darauf, die Entwicklung zu kommentieren. Außerdem hatte sich zu Beginn des Jahres 1848 auf Initiative von A. Kippenberg ein kleiner Verein von jungen Seminaristen gebildet. Er nannte sich Iduna und diskutierte pädagogische und politische Fragen der Zeit mit dem Ziel einer Selbstfortbildung.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Vereine
In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts waren im Kleinen Lehrerverein und der Euphrosyne bis zu 40 Lehrer organisiert. Dies sind ca. 50% der pädagogischen Mittelschicht, die nach „oben“ gegenüber den akademisch gebildeten Lehrkräften und nach „unten“ gegenüber den Klippschullehrerinnen sozial abgegrenzt war. Die Gründung zweier paralleler Organisationen basierte auf unterschiedlichen geistigen Einflüssen und drückte gleichzeitig eine Differenzierung in zwei unterschiedliche Flügel aus. Diese Polarisierung ist für die Entwicklung der Lehrerorganisationen über viele Phasen bis heute charakteristisch geblieben: einerseits die Priorität der inneren, andererseits die der äußeren Schulreform. Auch der Kleine Lehrerverein forderte die allgemeine Schulpflicht, aber die Buntscheckigkeit des Schulwesens, der kirchliche Einfluss und das Schulgeld wurden nicht in Frage gestellt. In den Diskussionen der Euphrosyne zeigten sich dagegen erste Ansätze der bis heute aktuellen Forderung nach der staatlichen, einheitlichen, weltlichen und unentgeltlichen Schule.
Es wäre jedoch falsch, nur die Unterschiede zwischen beiden Vereinen hervorzuheben. Die gegen eine verbesserte Volksbildung gerichtete Politik des Absolutismus nach 1815 und die Ignoranz des hansestädtischen Patriziats hemmten die berufliche Entwicklung der Lehrerschaft, und beide Vereine setzten sich damit auseinander. Unter diesem Vorzeichen wurde die Revolution von 1848 auch im Kleinen Lehrerverein begrüßt. Andererseits nahmen die Mitglieder der Euprosyne durchaus nicht immer einen radikalen Standpunkt ein. Sie öffneten sich nur langsam für demokratische Forderungen, das „ungebildete" Volk wurde als Risikofaktor angesehen. Diejenigen Euphrosyne-Mitglieder, die ab 1848 in den politischen Gremien tätig waren, gehörten nie zum radikalen linken Flügel.
In welchem Verhältnis beide Vereine vor 1848 zueinander standen, ist aus den Protokollen nicht zu erschließen. Bekannt ist aber, dass man nach Beginn der Revolution schnell zueinander fand. Im Mai 1848 wählten 67 bremische Lehrer eine „Lehrerdeputation", der Mitglieder beider Vereine angehörten. Hier wurde die Idee zu einer „Konferenz bremischer Volksschullehrer" entwickelt, die im Juni 1849 gegründet wurde. Von den 27 Erstunterzeichnern der Statuten stammten 10 aus dem Kleinen Lehrerverein und 9 aus der Euphrosyne. Beide Organisationen hatten sich also auf dieser Ebene faktisch vereinigt, sie bildeten die Majorität und diskutierten nun gemeinsam über Schulreformen. Auch die Mitglieder der Iduna waren ab 1850 in der Konferenz vertreten.
Das gemeinsame Ziel eines fortschrittlichen Schulgesetzes konnte nicht durchgesetzt werden. Als 1852 die Restauration siegte und das Achtklassenwahlrecht eingeführt wurde, schien jede Hoffnung auf eine umfassende Schulreform begraben.


Aus den Protokollbüchern:
Die vom Hrn. Vice-Präses gestellten Diskussionsfragen lauteten:
Was hat der Staat für das Volksschulwesen zu thun?
Die hierauf geäußerten vielfachen Ansichten gingen im Resultate im Wesentlichen dahin:
Der Staat hat im Allgemeinen für die besten Schulanstalten zu sorgen u. für deren Erhaltung und zweckmäßige Einrichtung auf angemessene Weise die erforderlichen Anordnungen zu treffen. Im Besonderen wurde von einzelnen Mitgliedern für zweckmäßig u. nothwendig erachtet:
Die fragl. Anstalten sollen zu Staatsanstalten gemacht werden. Der Staat solle die Kosten im Allgemeinen tragen. Zu solchen Kosten sollen alle Glieder des Staats gemeinsam beitragen.
Sodann müsste der Lehrerstand bei dessen unverkennbarer Wichtigkeit auch in äusserer Hinsicht gehoben, seine pecuniairen Verhältnisse gründlich verbessert werden. Zugleich für die Herstellung eines tüchtigen Lehrerstandes durch Errichtung eines zweckmäßigen Schullehrerseminars gesorgt werden. (…)
Die oberste Leitung der Schulangelegenheiten solle jedenfalls unter Mitwirkung wirklicher Pädagogen geschehen; der Einfluss der Geistlichkeit von den Schulen fern gehalten werden, und in den fragl. Schulen allen Kindern ohne Unterschied der näml. Unterricht ertheilt, so dass keine Rücksichten auf Stand u. Vermögen genommen werden.
Im Allgemeinen werde auch für die Volksbildung, besonders wenn man die Kosten des Militairs damit vergleiche in pecuniairer Hinsicht viel zu wenig gethan, wenn z.B. Preussen über die Hälfte der Staats-Einnahme, also ca. 25 Millionen, für das Militair, dagegen etwa 1-2 Millionen für die in Rede stehenden Bedürfnisse verwendet, so scheine ein umgekehrtes Verhältniss weit nathürlicher und zweckmäßiger zu sein... .
Bd. 4, S. 46 - 48 (22.11.1846)