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2. Mai 2013: Bildungspolitischer Wandertag in Bremerhaven

Der zentrale Platz vor der „Großen Kirche“ war tatsächlich „voll“. In zwei großen Marschsäulen hatten sich jeweils mehrere tausend Menschen auf die Innenstadt zubewegt. Manch Ältere fühlten sich zurückversetzt an den Zusammenbruch der bremischen Werften in den 1980 -er Jahren. Auch damals war dieser Platz übersät mit Einwohnern der Stadt, die sich mit aller Macht und Verzweifelung für den Erhalt so wichtiger Arbeitsplätze einsetzten.

Natürlich wissen alle, wie die Sache seinerzeit ausgegangen ist. Bremerhaven ist nicht mehr der Schiffbaustandort, der er einmal war. Aber am 2. Mai waren Energie, Einsatzwille und Optimismus in den vielen Demonstrationsreihen spürbar.
Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, viele sind ja jung genug dafür, stellte sich erstmalig ein Gefühl einer Generationen übergreifenden Solidarität ein. In einer derart großen Gruppe von Menschen für ein gemeinsames Ziel einzutreten machte deutlich, dass dieser Tag etwas absolut Herausragendes darstellt.

Gegen „schwarze Tage“ für die Bildung

„Bessere Bildung“ und „Rettungsschirm für Bremerhavener Schulen“ lauteten zentrale Losungen, die in ihrer Allgemeinheit für jede Schule oder Schulstufe hinreichend Gelegenheit boten, die eigenen spezifischen Anliegen einzubringen. Viele Plakate und Transparente legten davon Zeugnis ab. Gleichzeitig bildeten diese Losungen aber auch die „Klammer“ des Protests: In Bremerhaven gibt es zu wenige Lehrerstellen! Und: Die Schülerinnen, Schüler, Eltern und Lehrkräfte haben die Nase voll von den „Rechenkunststücken“ der Kommunal- und Landespolitiker, die glauben machen wollen, dass „weniger eigentlich mehr“ ist. Tagtägliche Erfahrungen in den Schulen widersprechen deren Propaganda, alles sei ausreichend ausgestattet. Vielmehr stellten alle Rednerinnen und Redner auf der Kundgebung den Verantwortlichen eine verheerende Bilanz ihrer aktuellen Politik aus, die sich folgendermaßen zusammenfassen lässt:

  • Es reicht nicht aus, ein neues Schulgesetz, mit dem man das gemeinsame Lernen aller Kinder und Jugendlichen fördern möchte, nur zu beschließen. So ein Schulgesetz kann nur klappen, wenn auch genügend Geld dafür zur Verfügung gestellt wird;
  • dass hinreichend Lehrkräfte in den Schulen unterrichten würden, wenn Tag für Tag das Gegensteil bewiesen wird. 170 zusätzliche Lehrkräfte sind das Gebot der Stunde;
  • es reicht nicht aus, schicke Wohnungen am Neuen Hafen zu bauen (den Bewohnern sei es gegönnt), wenn nicht jede Schule so gut hergerichtet ist, dass alle Beteiligten sagen: Meine Schule lädt mich zum Lernen ein;
  • es reicht nicht aus, den Lehrkräften mitzuteilen: Wir brauchen jeden Tag vollen Einsatz, aber dem überwiegenden Teil verweigern wir Politiker die Gehaltserhöhung. Wir fordern die Umsetzung des Tarifergebnisses für alle Lehrkräfte;
  • es reicht nicht aus, Ganztagsschulen zu versprechen, um dann auf die Bremse zu treten, wenn man festgestellt hat: Die kosten ja Geld;
  • es reicht außerdem nicht aus, Schülerinnen und Schüler durch alle möglichen Tests und Vergleichsarbeiten zu jagen, um hinterher zugeben zu müssen, das es für die wirklich individuelle Förderung hinten und vorne nicht langt – wenn z.B. die Ergebnisse in den Lesetests nicht zufriedenstellend sind, dann braucht jede Schule u. a. eine Bibliothek, die von Fachpersonal betreut wird;
  • und schließlich reicht es nicht aus, nur einige junge Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, wenn absehbar ist, dass Hunderte in Pension gehen. Wir brauchen viel, viel mehr dieser neuen Kolleginnen und Kollegen.

Die größte Demonstration seit 20 Jahren

Nur: Ein ungewohntes aber ermutigendes Gefühl massiver Stärke bringt noch keinen politischen Umschwung, auch keinen bildungspolitischen, auch nicht in Bremerhaven. Dennoch ist diese „Protestkundgebung der 7.000“, die größte Demonstration in der Stadt seit 20 Jahren (siehe Werften), ein unglaublich kraftvoller kollektiver Ausdruck, sich die eigene Zukunft – und die der Stadt – nicht widerstandslos durch eine falsche Politik der so genannten „Schuldenbremse“, vermasseln zu lassen. Die mit dieser Politik verbundene radikale Kürzung öffentlicher Leistungen und die daraus folgenden Einschnitte in die Qualität derselben werden nicht hingenommen – das ist die zentrale Botschaft dieses Tages.
Die Lage bleibt allerdings angespannt: Dass 14 Tage später 500 Lehrkräfte – und wir haben bekannterweise, wenn man alle mitzählt, nur etwas über 1.100 – in schwarz gekleidet zu den Parteibüros von SPD und Grünen gehen und auf diesem Wege ihren Protest gegen die Verweigerungshaltung in Sachen Beamtenbesoldung auf die Straße bringen, zeigt den Zorn gegenüber einer Regierung, die viel Bildung versprach, aber wenig das eigene Personal als Träger dieses Prozesses vernachlässigte.
7.000 Personen bei einem „bildungspolitischen Wandertag“ sind ein Signal in 2 Richtungen: Die Lage ist tatsächlich dramatisch und die Bildung in Bremerhaven steht am Scheideweg einerseits, andererseits: Selten waren die Menschen so entschlossen, sich für ihre Interessen einzusetzen, das Zusammenwirken im „Aktionsbündnis für Bildung“ zeugt davon. Der Untergang der Werften, um den historischen Faden wieder aufzunehmen, reicht als Katastrophe für Jahrzehnte, die Stadt hat sich davon lange nicht erholt. Ein möglicher „Untergang der Bildung“ wäre jedenfalls unumkehrbar.