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Kolumne Internationales

Mutiges Engagement in einem autoritären Kontext

Unabhängige Gewerkschaften in Russland

Neulich auf der Leipziger Buchmesse: Welch ein Vergnügen, die Fülle und Vielfalt dieser Literatur-Welt zu erleben, die Lebendigkeit der Debatten, die Offenheit der Besucher – aber auch ihre Nachdenklichkeit; dazu die Buntheit des Treibens, die vielen jungen Leute – nicht nur die Maskerade der Cosplay-Fans. Überall lebhafte SchülerInnen mit ihren Lehrkräften. Und dann sitzt da Irina Rostorgueva, die dich mit ihrem Buch „Pop-up-Propaganda“ in eine komplett gegensätzliche Welt versetzt: in die Abgründe der russischen Staatspropaganda, in das bis ins Subtilste durchdachte Strafregime Putins und wie es die Menschen manipuliert mit Lügen, Fake News, Hass- und Hetzreden, Verschwörungsmythen; eine „Bestandsaufnahme diktatorischen Sprechens in dem Sinne, wie Victor Klemperer es einst tat“. So heißt es in der Begründung der Jury zur Verleihung des Sachbuch-Preises der Leipziger Messe.

Lehrkräfteflucht

Die Allgegenwärtigkeit der Falschinformation betrifft auch die russischen Schulen, wo Indoktrinierung und Denunziation zum Alltag gehören. Seit 2024 gibt es ein neues Fach: „Grundlagen der Sicherheit und des Schutzes des Heimatlandes“. Unterrichten sollen das unter anderem aus dem Krieg gegen die Ukraine zurückgekehrte Soldaten. Diese militärische Ausbildung ergänzt nun die ideologische Erziehung im Fach „Gespräche über Wichtiges“, das es schon seit 2022 gibt. Die „Treue zu traditionellen Werten“ soll in dem Fach „Familienkunde“ gefördert werden. In der bbz, Zeitschrift der GEW Berlin, kam kürzlich ein ehemaliger russischer Lehrer und Gewerkschafter zu Wort (Name von der Redaktion anonymisiert): „Die Veränderung im Schulleben, Beschränkungen der Meinungsfreiheit und die zunehmende Rolle der Propaganda hat zu einer Abwanderung von Lehrkräften ins Ausland geführt“. Der russische Pädagoge Dima Zitser sprach im MDR von einem Klima, in dem sich Schüler und Lehrer gegenseitig denunzieren. Ein mir von den GEW-Jahrestagungen „Internationales“ bekannter russischer Gewerkschaftsaktivist verweist aber auf weitere Gründe, dass russische Lehrkräfte ihren Beruf massenhaft verlassen (lt. russischem Bildungsministerium 2023 fast 200.000): nämlich Überlastung und schlechte Bezahlung. Das offizielle Deputat betrage 18 Unterrichtsstunden, tatsächlich arbeiteten die KollegInnen aber 30 Stunden und mehr, um über die Runden zu kommen (mit ca. 350 Euro). Für die junge, gut ausgebildete Generation sei der Lehrerberuf sowohl aus ideologischen als auch aus materiellen Gründen nicht attraktiv.

Und die Gewerkschaften? 

Die (große) regierungsnahe Bildungs-Gewerkschaft ESEUR, die zum Dachverband FNPR (Nachfolgeorganisation der sowjetischen Staats-Gewerkschaft) gehört, unterstützt Putin und seinen Krieg gegen die Ukraine. Sie sagt nichts zu den Tausenden nach Russland verschleppten ukrainischen Kindern. Die BildungsInternationale (EI), deren stellvertretende Vorsitzende Maike Finnern ist, hat deren Mitgliedschaft suspendiert. Die GEW unterstützt Lehrkräfte in Russland, die sich gegen den Krieg und für demokratische Rechte engagieren. Zu Kriegsbeginn 2022 wurde eine Erklärung von 5000 „Lehrkräften gegen den Krieg“ veröffentlicht. Dieses Engagement scheint gegenwärtig aussichtslos.

Internationale Kontaktpflege

Trotz der schwierigen Bedingungen setzen sich (kleine) unabhängige Gewerkschaften weiterhin für die Rechte und Interessen der Beschäftigten ein. Unser Gewerkschaftskollege aus Russland betont die – eher unpolitische – juristische, fachliche und psychologische Unterstützung, die dort geleistet werde. Er und die Gewerkschafter im Exil halten vom Ausland (auch von Bremen) Verbindung zu diesen Netzwerken und unterstützen sie. Sie sagen, dass die DGB-Organisationen sehr wichtig seien für die Kontakte zur internationalen Gewerkschaftsbewegung, aber auch durch Projekte, Stipendien und Seminare mit den russischen KollegInnen – ein Ausdruck der Solidarität und Hoffnung, die auch Irina Rostorgueva nicht aufgegeben hat.