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Zeitlupe

Mit ständiger Abwertung und ohne Dach

Obdach- und Wohnungslosigkeit ist auch in Bremen ein großes Problem

Foto: privat

Obdachlose und wohnungslose Menschen werden oft abgewertet. Becher werden umgetreten, dumme Sprüche und auch Gewalt kommen vor. Besonders am Wochenende machen sich beispielsweise junge alkoholisierte Menschen häufig einen Spaß daraus, Obdachlose zu quälen, das Ganze mit dem Handy aufzunehmen und zu verbreiten. Dies führt teilweise bis zu lebensbedrohlichen Situationen, wie zuletzt in Hamburg, als ein Obdachloser in seinem Schlafsack angezündet wurde. Die Betroffenen beschreiben, dass sie sich als Menschen zweiter, dritter oder vierter Klasse behandelt oder überhaupt nicht mehr als Mensch wahrgenommen fühlen. Abwertungen haben in der Regel mit eigenen Ängsten und Hochmut zu tun. Man möchte dem Glauben erliegen: Das passiert mir nicht, nur faulen Menschen und Schulabbrechern. Aber immer mehr Menschen sind von Obdach- oder Wohnungslosigkeit betroffen. Dennoch spielt das Thema in der Gesellschaft nur selten eine Rolle. Viele Menschen schauen weg, wenn sie an Obdachlosen vorbeigehen, weil sie sich hilflos fühlen – auch aus dem Gefühl, nicht jedem helfen zu können.

Obdachlose sind die Menschen, die auf der Straße leben. Wohnungslose dagegen haben keine Wohnung, können aber anders unterkommen – bei Freunden beispielsweise oder in Wohnprojekten. Sie werden immer jünger. 2022 lag der Schnitt bei 32 Jahren, Anfang dieses Jahres ein Jahr darunter. 40 Prozent der erfassten Wohnungslosen waren jünger als 25 Jahre. Anfang 2024 waren in Deutschland fast 440.000 Wohnungslose in Notunterkünften untergebracht. Ein starker Anstieg im Vergleich zu 2022, als es weniger als die Hälfte waren.

Vorurteile als zusätzliche Last

Die Gründe für Obdachlosigkeit sind vielfältig. Eigenbedarfskündigungen, Zwangsräumungen sind nur zwei Beispiele. Und Vorurteile erschweren die Lage für die Betroffenen. Etwa, dass Obdachlose freiwillig in dieser Situation leben würden oder dass sie faul seien. Emotional ist das für viele sehr belastend. Sozialarbeiter:innen dagegen bewundern die enorme Kraft von Obdach- und Wohungslosen, den schwierigen Alltag trotz ständiger Abwertung zu bewältigen. Auch das pauschale Vorurteil, dass Obdachlose keine Hilfe annehmen würden, weisen Expert:innen zurück. Das Problem hat strukturelle Ursachen. In erster Linie wird der „katastrophale“ Wohnungsmarkt genannt.

Erst mal eine Wohnung

Beim Bremer Modellprojekt „Housing First“ ist die Idee, Obdachlosigkeit dadurch zu bekämpfen, dass man Obdachlosen erst mal eine Wohnung gibt. In Bremen werden seit 2021 Obdachlose, die auf der Straße leben und in den regulären Notunterkünften nicht unterkommen können oder wollen, systematisch aufgesucht mit dem Angebot, ihnen eine Wohnung zu vermitteln. Zu Konflikten mit der Sozialbehörde als Geldgeberin kam es über die Frage, wie lange die Obdachlosen bleiben dürfen. Ein zentrales Prinzip von „Housing First“ ist, dass Hilfe und Unterstützung so lange erfolgen sollen, wie es die Teilnehmer*innen benötigen. Der Bezug der eigenen Wohnung ist für die meisten ein „großer Lebenseinschnitt“. Manche hätten tagsüber weiterhin die alten Plätze besucht, die Wohnung nur zum Übernachten betreten oder zum Drogenkonsum. Die meisten hätten sich aber eingerichtet, Probleme mit Nachbarn und Vermietern wurden fast immer gelöst. 

Bis 2030 soll es in Deutschland keine Obdachlosigkeit mehr geben, das hat die Bundesregierung beschlossen. 

Janita-Marja Juvonen liest am Dienstag, 17. Dezember um 19 Uhr im Kukoon (Buntentorsteinweg 29) aus ihrem Buch „Die Anderen: Die harte Realität der Obdachlosigkeit“. Verdrängung stoppen, Lösungen schaffen: (weibliche) Obdachlosigkeit im Kontext aktueller Bremer Entscheidungen.